Verkehrspolitischer Sprecher der Grünen hatte dem Bahn-Projekt von Hamburg nach Bad Oldesloe überraschend die Dringlichkeit entzogen.

Hamburg. Wer als Politiker die Sommerpause nicht durchgehend für den Urlaub nutzt, der feilt gern mal am eigenen Profil. Es ist die Zeit, in der man sich einer vergleichsweise großen Aufmerksamkeit sicher sein kann, etwa wenn man öffentlich gegen den Strich gebürstete Auffassungen vertritt. So wie Anfang dieser Woche, als Hamburg für kurze Zeit um den Bau der S-Bahn-Linie 4 von Hamburg über Ahrensburg nach Bad Oldesloe bangen musste. Andreas Tietze, verkehrspolitischer Sprecher der Grünen im schleswig-holsteinischen Landtag, entzog dem gemeinsamen Projekt überraschend die Dringlichkeit. Eher sollte eine Straßenbahn in und um Kiel gebaut werden. Hamburgs SPD-Fraktionschef Andreas Dressel, der die Sommerpause seinerseits für eine Polit-Tour durch Hamburgs Wahlbezirke nutzen will, musste seine Reise kurz unterbrechen, um die Verwirrung aufzulösen.

Tietzes Vorstoß kam für alle überraschend. "Schließlich gibt es gleichlautende Beschlüsse der Hamburgischen Bürgerschaft und des Schleswig-Holsteinischen Landtags mit Stimmen der Grünen, dass die Planung für die S 4 angegangen werden soll", sagt ein Hamburger SPD-Fraktionsmitglied. Auch zwischen Bürgermeister Olaf Scholz und Ministerpräsident Torsten Albig (beide SPD) gibt es darüber Einigkeit.

Schließlich handelt es sich um eines der wichtigsten Bahnprojekte in der Metropolregion. Eine eigene Schienenstrecke für die S 4 würde laut Expertenmeinung nicht nur sehr viel mehr Pendler vom Auto auf die Bahn umsteigen lassen, sondern auch den Hamburger Hauptbahnhof entlasten. Dort wäre dann Platz etwa für die Marschenbahn. Davon profitierten auch die Schleswig-Holsteiner, argumentieren die S-4-Befürworter.

Nachdem Dressel von der Distanzierung vom S-4-Projekt erfahren hatte, nahm er Kontakt mit der SPD-Fraktionsspitze in Kiel auf. Dabei ging es um die Frage, ob die Genossen in der schleswig-holsteinischen Hauptstadt wohl bei ihrer bisherigen Position blieben oder doch über Nacht davon abgerückt seien. Schnell war klar, dass dem nicht so war. Aus der Kieler SPD hieß es, dass es nun darum gehe, "den Tietze wieder einzufangen".

Torsten Albig soll "not amused" gewesen sein, als er von dem Vorstoß des Grünen erfuhr. Aber der war nicht das einzige Problem: Wirtschaftsminister Reinhard Meyer (SPD) hatte die Diskussion mit einer unbedachten Äußerung befeuert. Im Koalitionsvertrag stünden sehr viele interessante Projekte, die finanziert werden müssten, ließ er wissen und schob dann nach: "Es wird deshalb einen Wettbewerb zwischen den Projekten geben."

In Hamburg sorgte das für heftiges Stirnrunzeln. "Es steht viel im Koalitionsvertrag, vielleicht zu viel", ätzte ein SPD-Mann. Meyer sei wohl noch nicht in alle Themen gleichermaßen eingearbeitet. "Da schreibt ihm das Ministerium etwas auf, und er liest es vor." Leidenschaftslos und ohne eigene Meinung sei er bei dem Thema S 4 vorgegangen.

Ein zugegeben hartes Urteil. Schließlich arbeitet die Koalition von SPD, Grünen und dem Südschleswigschen Wählerverband erst seit einem Monat zusammen. Die drei Partner müssen sich erst noch aufeinander einstellen. "Die genießen eben nicht die Vorteile einer Alleinregierung", heißt es aus Senatskreisen. Im Rathaus herrschte anfangs Verwunderung ob der vermeintlichen Prioritätenveränderung. Zwar stand man noch auf dem Standpunkt, dass Tietzes Äußerung "nur von einem Abgeordneten und nicht von der Regierung" stammte. Doch Gewissheit am gemeinsamen Kurs wollte man doch haben.

Die gab es auch kurz darauf. Die Landesregierung in Kiel gab dem Senat das Signal, dass nicht mit einem Sinneswandel zu rechnen sei. In Hamburg kam ebenfalls an, dass Albig seinen grünen Umweltminister Robert Habeck in Gang setzte, damit der seinen Parteifreund Tietze anspreche. Und der ließ wenig später eine Pressemitteilung veröffentlichen, in der er zurückruderte. Die Koalition werde die verschiedenen großen Verkehrsprojekte nicht gegeneinander ausspielen, hieß es darin.

In Hamburger Verwaltungskreisen haben die Kieler Misstöne wenig Eindruck gemacht. Möglicherweise habe es politisch Aufregung gegeben, auf der Arbeitsebene laufe alles wie gehabt, heißt es. "In Hamburg und Kiel arbeiten nach wie vor die gleichen Leute." Und die Kieler signalisierten bereits sehr früh: "Wir halten an der S 4 fest." Das wird dann wohl auch noch einmal Thema bei dem ersten Treffen zwischen Wirtschaftssenator Frank Horch (parteilos) und seinem Amtskollegen Meyer im August sein.

Nachdem die Wogen geglättet waren, konnte Andreas Dressel seine Sommer-Tour doch noch ungetrübt in Fuhlsbüttel starten. Ein "Sturm im Wasserglas" sei das gewesen. "Wenn der etwas Gutes hatte, dann, dass nun alle Planungsschritte für die S 4 mit höchster Aufmerksamkeit verfolgt werden."