Zahl der Staatsdiener im Ruhestand steigt bis 2018 stark. Welche Kosten auf Hamburg zukommen. Einschnitte bei aktiven Mitarbeitern zu erwarten.

Hamburg. Den Kampfmittelräumdienst kennt fast jedes Kind in Hamburg - kein Wunder, wird doch alle paar Tage irgendwo eine Straße oder ein Viertel abgeriegelt, um ein Relikt aus dem Krieg zu entschärfen. Die riesige Zeitbombe, die - sinnbildlich - im Rathaus tickt, kennt dagegen kaum jemand, obwohl sich Experten seit Jahren den Kopf zerbrechen, wie sie entschärft werden kann. Aufschrift des explosiven Stoffs: "Pensionen" oder im Verwaltungsdeutsch: "Versorgungsausgaben im öffentlichen Dienst der Freien und Hansestadt Hamburg".

So lautet der Titel einer Drucksache, die der Senat jetzt beschlossen hat und deren Sprengstoff in zwei Prognosen besteht: Die Zahl der pensionierten Beamten und Angestellten der Stadt wächst rasant, und wenn es ungünstig läuft, werden die Versorgungsleistungen, die ihnen zustehen, bis 2030 von derzeit gut einer auf knapp zwei Milliarden Euro steigen.

Aber der Reihe nach. Dem mehr als 40-seitigen Papier zufolge, das dem Abendblatt vorliegt, wird die Zahl der "Versorgungsempfänger" von derzeit 60.826 bis 2018 auf 63.757 anwachsen - ein Plus von knapp 4,8 Prozent. Danach geht sie wieder zurück, bis sie im Jahr 2030 bei 57.693 liegen wird.

+++ 1,14 Milliarden Euro für Pensionäre +++

+++ Scholz bestätigt Einstellungsstopp für Verwaltung +++

Am Anstieg der Kosten wird das aber nichts ändern, die Frage ist nur, wie stark sie steigen werden. Das Personalamt der Stadt, das die Drucksache erstellt hat, spielt dazu zehn Szenarien durch. Die günstigste, aber unrealistische Variante geht davon aus, dass es keinerlei Tarifsteigerungen gibt. Dann würde die Summe von 1,14 Milliarden Euro, die Hamburg in diesem Jahr für seine Versorgungsempfänger ausgibt (etwa ein Drittel des Personaletats), bis 2023 auf 1,21 Milliarden Euro ansteigen, danach aber wieder auf 1,15 Milliarden Euro sinken. Die weiteren Varianten sehen Steigerungen um ein bis drei Prozent vor. Dabei würde die Stadt selbst im Optimalfall - also bei einprozentiger Tariferhöhung - 2030 schon 1,35 Milliarden ausgeben. Im ungünstigsten Fall wären es knapp 1,94 Milliarden Euro - also 800 Millionen Euro mehr als in diesem Jahr. Der Senat selbst kalkuliert im Haushalt mit Tarifsteigerungen von 1,5 Prozent - dann würden die Ausgaben 2030 bei 1,54 Milliarden Euro liegen .

Dass diese Rechenspiele des Personalamts nicht völlig aus der Luft gegriffen sind, zeigen die jüngsten Abschlüsse. Für den öffentlichen Dienst wurde im Frühjahr eine Steigerung um stattliche 6,3 Prozent für zwei Jahre beschlossen. Und die Bezüge der Beamten stiegen 2011 um 1,5 sowie 2012 um 1,9 Prozent - zudem hat Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) den Gewerkschaften schriftlich zugesagt, die Verhandlungsergebnisse stets für die Hamburger Beamten zu übernehmen. Und höhere Grundgehälter ziehen automatisch immer auch höhere Pensionen nach sich.

"Die Versorgungsausgaben stellen die Stadt vor eine große Herausforderung", sagte SPD-Fraktionschef Andreas Dressel dem Abendblatt. Da die Empfänger einen Rechtsanspruch auf die Zahlungen haben, seien die Steuerungsmöglichkeiten aber begrenzt. Wichtig sei es daher, jetzt Rücklagen zu bilden und zum Beispiel den Hamburgischen Versorgungsfonds (HVF) aufzustocken. Der 37-Jährige kritisiert, dass in früheren Jahrzehnten die Verwaltung ohne große Rücksicht auf die finanziellen Folgen aufgebläht wurde: "Es wäre gut gewesen, wenn es solche Berichte schon in den 60er-, 70er- und 80er-Jahren gegeben hätte", sagte Dressel zu der Drucksache. "Dann hätte man schon gesehen, was später an Pensionsverpflichtungen auf die Stadt zukommt."

Eine der wenigen Möglichkeiten zum Gegensteuern war die Kürzung des Weihnachtsgeldes für Beamte. Wie aus der Drucksache hervorgeht, sinken allein die Versorgungsausgaben der Stadt dadurch um 45 bis 50 Millionen Euro jährlich. 2011 hatte der Senat das Weihnachtsgeld, das zuvor bis zu 66 Prozent des Dezembergehalts betrug, für aktive Beamte auf pauschal 1000 Euro plus 300 Euro pro Kind gekürzt und es den Pensionären weitgehend gestrichen. Nur Rentner, die unteren Besoldungsgruppen angehörten, erhalten noch pauschal 500 Euro, darüber gibt es gar nichts mehr. "Das war eine schmerzliche Entscheidung, aber mit Blick auf die Versorgungsausgaben der Stadt unvermeidlich", sagte Dressel.

Weitere Einschnitte sind eher im Bereich der rund 65.000 aktiven Mitarbeiter der Stadt zu erwarten, deren Zahl der Senat um mindestens 250 pro Jahr reduzieren will. "Durch die Prognose, dass in den nächsten Jahren mit einem Anstieg der Versorgungsausgaben zu rechnen ist, fühlen wir uns in unserem Kurs bestätigt, die Ausgaben im Haushalt zu begrenzen und Personal in der Verwaltung abzubauen", sagte Senatssprecher Jörg Schmoll.

Die enormen Risiken im Bereich der Pensionen sind auch eine Erklärung dafür, dass die extrem positiven Steuereinnahmen keine Euphorie im Rathaus auslösen. Wie das Abendblatt berichtet hatte, hat Hamburg im ersten Halbjahr 2012 schon mehr als 4,5 Milliarden Euro Steuern eingenommen und könnte am Jahresende einen Rekord verbuchen. Die FDP nahm das dennoch zum Anlass, den Senat aufzufordern, Sparmaßnahmen wie den Personalabbau "nicht auf die lange Bank" zu schieben, so Haushaltsexperte Robert Bläsing. Dann könne der Etat deutlich vor 2019 ausgeglichen sein.

Die Zahl der Pensionäre wird dann dennoch auf Rekordniveau liegen - diese finanzielle Zeitbombe tickt weiter.