Frank Keller ist Fahnder der Techniker Krankenkasse. Der ehemalige Terroristenjäger entlarvt betrügerische Mediziner, Apotheker und Versicherte

Hamburg. Auf Kosten todkranker Menschen verdiente er sich eine goldene Nase. Doch irgendwann konnte er es nicht länger mit seinem Gewissen vereinbaren. Dass er mithilfe von Apothekern geschmuggelte und in Deutschland nicht zugelassene Krebsmedikamente unter die Leute brachte, bereitete dem Pharmahändler schlaflose Nächte. Deshalb wandte er sich an Frank Keller, vertraute sich dem Mann mit dem grauen Haar und dem wachen Blick an. "Die Apotheker, darunter auch Hamburger, haben die Präparate günstig eingekauft, aber zu Höchstpreisen mit der Kasse abgerechnet", sagt der52-Jährige. Der Pharmahändler gab ihm die Namen der Apotheker, die mit ihm unter einer Decke steckten. Keller ging mit der brisanten Liste zur Staatsanwaltschaft. "Es gab 80 Strafanzeigen gegen Apotheker, bundesweite Durchsuchungen, mehrere Millionen Euro Schaden."

Betrügern im Gesundheitswesen auf die Schliche zu kommen ist Kellers Job. Seit 1999 ist er Fahnder bei der Techniker Krankenkasse, seit Jahren leitet er die "Stelle zur Bekämpfung von Fehlverhalten im Gesundheitswesen". Er ist ein Pionier. Denn erst 2004 wurden die Krankenkassen sowie die Kassenärztlichen Vereinigungen in Deutschland gesetzlich dazu verpflichtet, solche Stellen einzurichten.

Mit einem Team von 17 Mitarbeitern geht Frank Keller Hinweisen auf Falschabrechnungen, Bestechung, Schmiergeldzahlungen und Betrug nach. Mal sind es anonyme Tipps, mal Hinweise von Polizisten, Apothekern oder Ärzten, die das Team aufgreift. Oder die Truppe stolpert über Abrechnungsunterlagen, etwa Rezepte, beidenen es Auffälligkeiten gibt. Zudem kooperiert die Ermittlungsgruppe der TK - mit 8,1 Millionen Versicherten eine der größten Kassen Deutschlands - mit Verbänden in der Gesundheitsbranche und auch mit anderen Krankenkassen. Der regelmäßige Austausch mit anderen Kassen sei von großer Bedeutung im Kampf gegen die Betrüger in der Branche, sagt Keller. "Durchschnittlich bearbeiten wir 2000 Fälle parallel, jeden Tag kommen vier neue Hinweise dazu." Allein 2011 haben die Kassenfahnder 1100 Fälle recherchiert.

Kellers schärfste Waffen sind Kombinationsfähigkeit und analytisches Denken. Zwei, drei gefälschte Rezepte sind Kleinkram. "Meine Aufgabe ist es, aus vielen Einzelfällen die systematische Vorgehensweise der Täter herauszuarbeiten", sagt Keller, "Betrugsmuster zu erkennen und auszuwerten, um diesen entgegenzuwirken." Ein Beispiel: Ein muskulöser Mittvierziger will in einer Apotheke ein Rezept für Genotropin einlösen, ein Präparat für Kleinwüchsige - und ein Medikament, das in der Bodybuilder-Szene sehr beliebt ist, da es schnell Muskeln aufbaut, ohne dass man trainieren muss. Keller: "Der Apotheker wird stutzig, weil Präparat, Menge und Patient nicht zusammenpassen, und meldet den Fall." So landet der Fall bei Keller in dem gläsernen Bau der TK in Barmbek-Nord. Der Familienvater gibt dann die Pharmazentralnummer, die jedes Medikament besitzt, in den Computer ein und hält Ausschau nach Auffälligkeiten.

Nach Verknüpfungen. Gehen die Patienten mit dem Rezept immer in dieselbe Apotheke? Gibt es in einer bestimmten Stadt plötzlich besonders viele Menschen, die das Medikament verschrieben bekommen haben? Oder verschreibt ein Arzt besonders große Mengen des Präparats? "Die Auffälligkeiten können durchaus einen plausiblen Grund haben", räumt Keller ein. Es kann aber auch mehr dahinterstecken, im Zweifel sogar ein großer Betrugsfall.

So wie bei dem Pharmareferenten, der einen privaten Pflegedienst gegründet und sich auf "Astronautennahrung" spezialisiert hatte. "Wenn es keine Heilung mehr gibt und Krebspatienten zu Hause sterben möchten, können sie oft kein festes Essen mehr zu sich nehmen. Darum werden sie mit dieser speziellen und sehr teuren Nahrung versorgt", erklärt Keller. Ein Arzt hatte einem dieser Krebspatienten ein Rezept über Spezialnahrung für 90 Tage ausgestellt. Der Wert: 45 000 Euro. Der todkranke Mensch verstarb jedoch nach wenigen Tagen. "Es war das teuerste Rezept, das ich je gesehen habe." Pharmareferent und Arzt wollten den Gewinn unter sich aufteilen. "Ein makabrer Fall", sagt Fahnder Keller. Der Fall war ans Licht gekommen, weil das Rezept bei der Abrechnungsstelle in Duisburg, wo auch ein Teil der Ermittlungsgruppe sitzt, aufgefallen war.

Generell, so Keller, kämen die Betrüger aus allen Bereichen. "Sie lassen sich keiner bestimmten Berufsgruppe zuordnen - es kommt auf die persönliche kriminelle Energie an." 120 Millionen Euro hat die TK vergangenes Jahr nur im Krankenhausbereich aus falschen Abrechnungen zurückbekommen; die Betrugsfälle sind da noch nicht mit eingerechnet. Diesen auf die Spur zu kommen gleicht häufig einer Sisyphusarbeit, da in vielen Fällen Berge von Papier und große Computerdateien geprüft werden müssen. Drei Millionen Rezepte gehen allein monatlich bei der Techniker Krankenkasse ein. Keller: "Es handelt sich um ein Kontrolldelikt." Das heißt: Wer nicht aktiv sucht, findet auch nichts.

Handlungsmuster zu erkennen und Profile für Menschen zu erstellen, darin ist Frank Keller Profi. Er war Bundespolizist, in Lüneburg stationiert, hat für das BKA gearbeitet, nach RAF-Terroristen gesucht. Sein Spezialgebiet: Fahndung und Observation. "Dann kam die Wiedervereinigung, und die Grenze verschob sich 300 Kilometer Richtung Osten." Ein Jahr lang machte er dann Dienst zwischen der Ostseeküste und Görlitz, begab sich auf die Spur von Autoschiebern und Schleusern, die Rumänen nach Deutschland brachten. 1993 stieg der Familienvater aus - auch seiner Frau, den zwei Töchtern und den zwei Söhnen zuliebe, die nach wie vor in Lüneburg ihren Lebensmittelpunkt hatten. Bevor er schließlich von der Techniker Krankenkasse angeheuert wurde, baute er eine private Sicherheitsfachschule mit auf.

Bereut hat er den Wechsel nie. Und er klingt auch nicht wehmütig, wenn er über seine berufliche Vergangenheit redet. "Ich war gerne Polizist", sagt er. Es sei eine "gute Zeit" gewesen. "Aber meinen jetzigen Job mache ich auch aus Überzeugung."

Das wird vor allem deutlich, wenn der 52-Jährige über die Fälle spricht, die ihn nicht loslassen. Wie etwa der Pharmahändler, der mit illegalen Krebsmedikamenten aus Argentinien und Indien Geschäfte gemacht hat. "Es ist ein spannender Fall, weil er viel kriminalistischen Spürsinn erfordert", sagt Keller. Es sei wie bei einem großen Puzzle. "Für Fortgeschrittene." Bei diesem Puzzle fehlen jedoch nach wie vor einige Teile. Keller hat sich zum Ziel gesetzt, sie zu finden und an die richtigen Stellen zu setzen. Viele Überstunden und auch Wochenenden hat er bereits in den Fall gesteckt. Weil es ihm ein persönliches Anliegen ist, dass alle Personen gefunden werden, die in die krummen Machenschaften verwickelt waren. "Für krebskranke Menschen ist die Behandlung mit diesen Medikamenten häufig der letzte Strohhalm. Damit illegale Geschäfte zu machen ist menschlich komplett daneben."

Bei Keller, der sehr besonnen wirkt und seine Worte mit Bedacht wählt, schwingt plötzlich Wut in der Stimme mit. Es geht ihm nicht nur darum, einen guten Job zu machen. Es geht ihm auch um Gerechtigkeit. Zumindest einige der in den Krebsmedikamenten-Skandal verwickelten Apotheker wurden bereits verurteilt. Auch dies ein Verdienst des Kassenfahnders.