Die Unternehmen geben Arbeit. Doch die Beschäftigten zahlen auch mit hoher Flexibilität

Blickt man auf die offiziellen Statistiken, so hat sich der deutsche Arbeitsmarkt in den vergangenen Jahren glänzend entwickelt. Waren bundesweit vor sechs Jahren noch mehr als 4,5 Millionen ohne Job, sind es mittlerweile 2,7 Millionen. Auch in Hamburg ist die Zahl von knapp 100 000 auf weniger als 67 000 gesunken. Und der positive Trend dürfte sich sogar 2012 - wenn auch in abgeschwächter Form - fortsetzen. Trotz europäischer Schuldenkrise und schwächerer Weltkonjunktur. Jobwunder? Trickserei der Statistiker? Was steckt dahinter?

Das Zauberwort für den Aufschwung am deutschen Arbeitsmarkt heißt Flexibilität. Immer mehr Menschen sind in Beschäftigung, aber sie müssen in puncto Arbeitszeit, Einsatzort und Entlohnung wesentlich flexibler sein als früher. Die Grundlage für diesen neuen Arbeitsmarkt hat die rot-grüne Bundesregierung mit ihren Wirtschafts- und Sozialreformen in der ersten Hälfte des vergangenen Jahrzehnts geschaffen. Die Folgen der Agenda 2010 unter Bundeskanzler Gerhard Schröder zeigen sich heute - im Positiven wie im Negativen.

Denn dem Plus an Arbeitsplätzen steht bei vielen Beschäftigten nicht selten ein reales Minus beim Einkommen gegenüber. Erst vor wenigen Wochen hat die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) auf die massiven Unterschiede bei der Entlohnung in Deutschland hingewiesen. Im Klartext: Die Kluft zwischen den zehn Prozent der Bestverdiener und den zehn Prozent der Niedriglöhner wird immer größer. Von einer Amerikanisierung der Arbeitswelt war die Rede.

Es sollte zu denken geben, wenn Konditoren, Fleischer und Hotelfachkräfte nach ihrer Ausbildung in einigen Bundesländern weniger als 6,50 Euro in der Stunde verdienen - und hierbei handelt es sich um Tariflöhne. Hinzu kommt eine Heerschar von Leiharbeitskräften, die deutlich schlechter bezahlt werden als ihre fest angestellten Kollegen, obwohl ihre Leistung meist die gleiche ist. Und auch der Druck zum Zweit- oder gar Drittjob steigt für immer mehr Beschäftigte, weil ein einziger Job zum Leben nicht mehr reicht - gerade in einer Großstadt wie Hamburg.

Das deutsche Jobwunder wurde in den vergangenen Jahren teuer erkauft. Nicht nur durch Flexibilität und Lohnzurückhaltung der Beschäftigten, sondern auch durch staatliche Subventionen. Denn reicht der magere Lohn als Kassiererin im Supermarkt oder als Reinigungskraft nicht aus, stockt meist der Staat das Einkommen auf - damit es für Miete, Heizung, Strom, Essen und Kleidung reicht. Marktwirtschaftlich korrekt ist es nicht, dass Beschäftigte in Unternehmen, die hohe Gewinne einfahren, vom Staat bezuschusst werden. Aber die Drohung der Firmen, die Jobs sonst zu streichen, weil sie zu teuer würden, zwingt offenbar zu diesem kleineren Übel.

Auch im kommenden Jahr dürfte sich der deutsche Arbeitsmarkt besser entwickeln als in vielen anderen Industrienationen. Und die Nachricht, dass immer mehr Menschen in Lohn und Brot sind, einer regelmäßigen Beschäftigung nachgehen, ist zu allererst eine positive. Denn Arbeit ist mehr als bloßes Geldverdienen. Sie sorgt für soziale Kontakte, gibt dem Alltag meist erst einen Sinn und steigert das eigene Selbstwertgefühl. Aber Arbeit ist eben auch - rein ökonomisch gesehen - eine Ware. Und sie sollte anständig bezahlt und ihr Anbieter fair behandelt werden - von allen Unternehmen in Deutschland.