Für den IWF hat sie gearbeitet. Und für den Währungsfonds. Sonja Lahnstein - eine Kämpferin für Toleranz und gegen Rechtsradikalismus.

Der rote Faden zieht sich durch die Stadt: Er verbindet Menschen, die einander schätzen, bewundern, überraschend finden. Sie entscheiden, an wen sie ihn weiterreichen: an andere, die hier arbeiten, die etwas Besonderes für diese Stadt leisten, die in Hamburg als Vorbilder gelten. Den Anfang der Abendblatt-Serie machte Altbürgermeister Henning Voscherau. Heute in der 20. Folge: Sonja Lahnstein

Die eine Hälfte des Teams Lahnstein und Lahnstein arbeitet im Souterrain des weißen Stadthauses - man müsste nur dem Zigarrenduft folgen, um Manfred Lahnstein zu finden. Die andere Hälfte ist bös erkältet, aber gut gelaunt. Sonja Lahnsteins Reich liegt im Obergeschoss.

Die Buchrücken im Regal erzählen von vielfältigen Interessen, die Aktenordner von einer Menge Arbeit, der dicke blaue Band auf dem Tisch, die eben abgegebene Dissertation der Tochter, vom Stolz der Mutter. Viele Mitbringsel von verschiedenen Stationen auf dem Lebensweg von Sonja Lahnstein.

Sie kam als Tochter eines angesehenen kroatischen Chirurgen in Zagreb zur Welt, der als Partisan für den Sozialismus kämpfte und sich später mit dem Regime in Jugoslawien überwarf. Er wollte mit der Familie in die USA auswandern, kam aber 1966 nach Deutschland, weil er hier praktizieren konnte.

Die Tochter, damals sprach sie noch kein Wort Deutsch, absolvierte ihre letzten beiden Gymnasialjahre an der Internationalen Schule. Sie hatte in Zagreb keine Enge gespürt, da dominierten die Weltläufigkeit und Großzügigkeit ihres Vaters. "Später hat man dann gesehen, was das Regime an Ungerechtigkeiten und Enge alles mit sich brachte." Die Familie ihrer Mutter stammt aus Ungarn, die des Vaters aus Polen, wegen der jüdischen Wurzeln flieht ein Teil im Zweiten Weltkrieg nach Venezuela und Mexiko, einen Onkel verschlägt es in die USA. Da wächst in Sonja Lahnstein das Interesse an fremden Ländern schon früh. "Hier in Hamburg war's damals relativ eng - vor Mai gab es keinen Kaffee draußen, auch wenn es im April schon 30 Grad warm war. Die Menschen empfand ich als zugeknöpft, die Innenstadt war tot, im Alsterpavillon ging man Kaffee trinken mit sooolchen Hüten - ganz anders als dort, wo ich aufgewachsen bin."

Ihr Weg nach dem Abitur muss also nach draußen führen. Eine Schule für Simultandolmetscher in Genf, ihr Plan A, ist entschieden zu teuer. Also wird es Plan B. Sie schlägt das Vorlesungsverzeichnis der Universität auf, tippt mit dem Finger hinein - so wurde es Volkswirtschaft. "Ich wollte immer etwas Internationales machen, für mich gab es nichts Schöneres, als frei zu sein, in der Welt unterwegs und möglichst viel in mich hineinzusaugen aus den unterschiedlichen Kulturen."

Diese Sehnsucht kann sie nach dem Studium stillen. Sie bekommt einen Job beim Internationalen Währungsfonds (IWF), Dienstsitz Washington, wechselt dann zur Weltbank. Unterwegs ist sie immer. "Wir haben das neulich mal gezählt, mein Mann und ich, ein kleiner Wettbewerb: Wer war in mehr Staaten dieser Erde? Ich habe gewonnen, es waren 106."

Beim IWF hat sie Länder bereist, die schon damals Zahlungsbilanzprobleme hatten - Peru, Argentinien, Türkei. Als Kassen- und Haushaltsprofi und als Kreditgeber. Ihre Kerngebiete lagen in Südostasien, davor in Lateinamerika. Schwer vorzustellen, wie die zierliche Person als junge Frau in erzpatriarchalisch strukturierten Ländern in eine Bank marschiert und den Chefs sagt: Ich komme vom Währungsfonds, zeigen Sie mir bitte Ihre Zahlungsbilanzen. "Klar, da haben die manchmal gelacht." Und wer hat dann gesiegt - ihr Charme, ihr Fingerspitzengefühl oder ihre Zähigkeit? "Das bleibt mein Geheimnis."

Sie wird grundsätzlich: "Damals gab es keine Frauenquote oder Förderprogramme. Man musste sich durchbeißen, mit allen Mitteln. Das ist nervig, macht aber auch stark." Heute ist sie hin- und hergerissen, was die Quote betrifft; das US-Modell der "affirmative action" liegt ihr da schon mehr: Bei gleicher Qualifikation wird die Frau eingestellt. "Die machen das schon seit den 70er-Jahren mit gutem Erfolg. Eine Schande, dass Deutschland da so hinterherhinkt!"

Dann zitiert sie den Ermutigungsspruch von damals: "Um das Gleiche zu schaffen wie Männer, müssen Frauen doppelt so gut sein. Glücklicherweise ist das nicht schwer." Heute kann sie drüber lachen, rät Frauen aber, auf der Hut zu sein: "Früher waren Männer in ihrem Chauvinismus offener. Und es war in gewisser Weise leichter, damit umzugehen. Heute ist es oft versteckter, weil ja alles politically correct sein muss." Eine ganz neue Seite der Frauenrolle lernte sie kennen, als sie Anfang der 80er-Jahre Manfred Lahnstein kennenlernte. Sie ist erfolgreich, lebt in den USA, 30 Jahre jung ("mein Vater hat sich da schon Sorgen gemacht, ob ich nicht zu anspruchsvoll bin für Männer"). Er ist 14 Jahre älter, Oberliga im politischen Bonn, für ein paar Monate Superminister für Wirtschaft und Finanzen im letzten Kabinett Schmidt 1982, später im Bundestag, dann Bertelsmann-Vorstand. Ein gefundenes Fressen für Paparazzi.

"Da ging es plötzlich nur noch drum, dass ich 'ne türkise Bluse anhatte und 'ne weiße Hose. Die Person zählte ja nicht ..." Im März 1983 heirateten die beiden, nachdem die Entscheidung Amerika oder Liebe gegen die USA ausgefallen war. Das Paar wohnt in Bonn, später in Gütersloh und Hamburg. "Dass ich weiterarbeite, war sowieso klar."

Sie heuert bei der Deutschen Entwicklungsgesellschaft an, findet über einen von ihr organisierten Kongress zur Dräger-Stiftung in Lübeck, wo sie zehn Jahre als Direktorin arbeitet. 1985 kommt die Tochter zur Welt, da ist sie erst mal als Mutter gefordert.

Heute sind die Lahnsteins fast 29 Jahre verheiratet. Was macht ihr Team so stabil? Sonja Lahnstein schaut einen Augenblick zurück, ehe sie antwortet: "Für mich war das schwierig, es war das erste Mal, dass ich mich für jemanden dauerhaft entschieden habe - das musste man auch erst mal lernen."

Ihr Ehe-Team funktioniert, sagt sie dann, "durch unendliches gegenseitiges Vertrauen. Dass man weiß, hier ist jemand, da kann man das Innerste auskehren, und man findet Hilfe und Verständnis. Das ist sehr selten im Leben, dafür bin ich unendlich dankbar." Sie und ihr Mann beflügeln und ergänzen einander auch bei Projekten, die sie anpacken. "Mein Mann weiß unglaublich viel und geht viel konzentrierter an Dinge heran. Ich bin eher aktionsorientiert und will immer gleich ein neues Projekt machen. Damit reiben wir uns aneinander - aber das ist gesund."

Anfang der 90er-Jahre, nach den Gewaltakten gegen Ausländer in Mölln, Solingen, Hoyerswerda und Rostock, ist sie erschüttert vom Ausmaß und der Gewalttätigkeit der Intoleranz im wiedervereinten Deutschland. Sie empört sich über die Ausgrenzung von Behinderten, die damals ein Gericht auf Klagen von Urlaubern als rechtens beurteilt. Oder über Klagen gegen den Lärm von Kitas in der Nachbarschaft von Wohnhäusern.

"Für mich", sagt sie, "ist das sehr besorgniserregend. Dieses Land hat doch eine vorbildliche Demokratie, die beste in Europa, und hat Mechanismen entwickelt, sich selbst immer wieder zu hinterfragen. Aber das alles und einige persönliche Erlebnisse haben mir klargemacht: Es fehlt ein ausgeprägter, ein aktiver Sinn für gelebte Toleranz."

Ihre Antwort: 1998 gründet sie Step 21, das Lehrmaterialien und Projektideen in Schulen und in die Köpfe von Jugendlichen bringt. Es wurde damals von Unternehmen wie Daimler, Siemens und Bertelsmann mit angeschoben und ist heute eine Stiftung. Und hat mehr als 15 000 Schulen mit einer Million Schüler erreicht. Step 21 initiiert das Nachdenken und Umsetzen dieser gelebten Toleranz auf vielfältige Art. Das kann ein produktives Miteinander unterschiedlicher Fähigkeiten genauso sein wie ein Erforschen der deutschen Vergangenheit zwischen 1933 und 1945. Nun ist sie wieder dringend auf der Suche nach Förderern: "Heute brauchen wir das doch nötiger denn je", sagt sie mit Blick auf das Erstaunen, mit dem derzeit rechtsextreme Gewalttaten und Netzwerke entdeckt werden, die doch die ganze Zeit schon da waren.

Step 21 ist nur eines ihrer Projekte; sie ist Vorsitzende des deutschen Förderkreises der Universität Haifa, an der jüdische und palästinensische Israelis miteinander studieren. "Wir fördern etwa arabische Frauen, damit sie als Wissenschaftlerinnen ihren Weg machen - eine Investition in die Gesellschaft und die Zukunft des Landes." Ihr Mann war lange Chairman der Universität.

Sie ist auch Vorsitzende der Förderer des Israel-Museums in Jerusalem, das mit Bridging the gap ein Jugendprojekt betreibt, in dem es jede Woche zu Begegnungen jüdischer und arabischer Kinder und Jugendlicher kommt. "Auch das zahlt sich irgendwann aus."

In ihrem Zimmer steht auch eine Menora, der siebenarmige Leuchter der jüdischen Religion. Trotz der jüdischen Wurzeln ihrer Familie sagt sie: "Ich bin nicht religiös oder religiös erzogen. Aber wenn ich herausgefordert werde, wenn ich irgendwo versteckte antisemitische Spitzen spüre, fühle ich mich plötzlich jüdisch." "Jüdisch aus Trotz" hat sie das mal genannt. So wie sie heute als Eingewanderte die deutsche Fahne hochhält, wenn jemand gegen Deutschland stänkert.

Sicher, die Situation Israels sei schwierig, die Intoleranz auf beiden Seiten tief verankert und die Regierung manchmal "richtig dumm", wenn sie die arabische Minderheit immer weiter zu knebeln versuche. "Aber ich bin keine Verzweiflerin", sagt Sonja Lahnstein, "ich hab einen inneren Motor, der mich immer weitertreibt. Manchmal ist es schwierig, aber gerade dann wächst bei mir die Motivation, etwas zu tun."

Sie vibriert vor Tatkraft und Unternehmungslust. Ein Pendel hat sie mal ihrem Mann geschenkt, das mit seiner Spitze meditative Figuren in den Sand zeichnet. "Aber er braucht das gar nicht, er ist immer so konzentriert und ruhig." Jetzt steht es auf ihrem Schreibtisch, und sie schaut mit gespielter Geduld auf die feinen Muster im Sand. "Im Grunde ist es was für mich, weil ich die Ruhe suchen muss. Er ist ein richtiger Ruhepol, und ich dreh mich um ihn herum."

Der rote Faden zieht sich durch die Stadt: Er verbindet Menschen, die einander schätzen, bewundern, überraschend finden. Sie entscheiden, an wen sie ihn weiterreichen: an andere, die hier arbeiten, die etwas Besonderes für diese Stadt leisten, die in Hamburg als Vorbilder gelten. Den Anfang der Abendblatt-Serie machte Altbürgermeister Henning Voscherau. Heute in der 20. Folge: Sonja Lahnstein

Sonja Lahnstein bekam den Roten Faden von dem Publizisten Theo Sommer; sie reicht ihn weiter an den Thalia-Intendanten Joachim Lux: "Ich mag seine verschmitzte und charmante Art und bewundere die hervorragende Leistung des Thalia-Theaters unter seiner Intendanz."