Bundesweit einmaliges Pilotprojekt im Frauenvollzug in Hahnöfersand erfolgreich beendet. Welpen zu Blindenführhunden ausgebildet.

Hamburg. "Wenn ein Tier merkt, dass man nicht gut zu ihm ist oder es nicht ehrlich mit ihm meint, dann zieht es sich zurück", sagt Melanie. Ronja hat sich nicht zurückgezogen. Der junge Labrador war neun Monate lang ihr engster Gefährte. Als Melanie im vergangenen Jahr Ronja zu einem Blindenführhund ausbilden sollte, war es dem Welpen, wenn man so will, ziemlich egal, dass sie im Gefängnis saß und wegen Totschlags zu sieben Jahren und acht Monaten Haft verurteilt worden war.

Melanie, 30, und Ronja bildeten fortan ein unzertrennliches Team. Sie waren Teil eines bundesweit einmaligen Experiments. Im Frauenvollzug in Hahnöfersand wurden drei Welpen von sechs Häftlingen zu Blindenführhunden ausgebildet. Jeweils zwei Frauen übernahmen die Patenschaft für einen Hund. Sie übten jede Woche bei Wind und Wetter hinter einem hohen Metallzaun auf der Elbinsel unter Anleitung der Hundetrainerin Nadja Steffen. Im Sommer ist das Pilotprojekt nach neun Monaten beendet worden. Die Tiere von Melanie, Kerstien und Anna bestanden die Gehorsamkeitsprüfung. Alle drei Hunde werden jetzt in einer Führhundschule weitergebildet, um später einmal einem sehbehinderten Menschen durch den Alltag zu helfen.

Vor einem Jahr hat das Abendblatt in einem Dossier dieses Resozialisierungsprojekt vorgestellt. Heute sendet das NDR Fernsehen eine einstündige Dokumentation.

War das Experiment erfolgreich? "Die Arbeit mit den Hunden hat den Frauen sehr viel abverlangt", sagt Rosemarie Höner-Wysk. Die Leiterin im Frauenvollzug hat das Projekt von Anfang an befürwortet, weil es die Frauen stabilisieren und in die Lage versetzen könne, zukünftig eine andere Verantwortung für ihr Leben zu übernehmen. Das sei auch eingetreten, und zwar "bei jeder einzelnen". Die Frauen seien ständig gefordert gewesen, mussten Position beziehen und in schwierigen Situationen Probleme lösen. "Sie mussten Lösungen finden, weil der Hund da war und nicht warten konnte. Bei sich selbst schieben sie Entscheidungen gerne vor sich her, aber das ging hier nicht", sagt Rosemarie Höner-Wysk. Die Frauen hätten durch die Arbeit mit den Hunden "ihr Ego hinten angestellt" und trotz Auseinandersetzungen das Projekt erfolgreich zu Ende gebracht. Und es sei ein anderes Wir-Gefühl im Gefängnis entstanden.

Manuela Maurer, 42, ist die Initiatorin des Projekts "Hundebande". Die Sozialpädagogin sagt, dass Hunde das Verhalten der Menschen spiegeln. Und dass es guttut, wenn die Frauen durch die Arbeit mit den Hunden "an sich wieder eine Liebenswürdigkeit entdecken können". In der Pilotphase sei unter Beweis gestellt worden, dass der Ansatz, Strafgefangene mit der Sozialisation von Blindenführhunden zu betrauen, funktioniert habe. "Es wurde deutlich, mit welcher Kraft die Frauen im Strafvollzug in der Lage sind, Verantwortung zu übernehmen. Mit Ausdauer, Zuverlässigkeit, Einfühlung und Teamgeist", sagt Manuela Maurer. Alle hätten durchgehalten und seien gemeinsam in eine Richtung gelaufen, "um weiterzukommen und eine neue Aufgabe im Leben zu finden".

Melanie ist seit September in den offenen Vollzug in die Justizvollzugsanstalt Glasmoor in Norderstedt verlegt worden. Im Januar wird sie eine Stelle als Altenpflegerin antreten, damit erfüllt sich ihr größter Wunsch. "Ich hatte nicht damit gerechnet, dass ich noch einmal in meinen erlernten Beruf zurückkehren kann." In Hahnöfersand hatte sie alle 14 Tage begleitende psychotherapeutische Gespräche, sobald sie einen Arbeitsplatz hat, will sie mit einer Psychotherapie beginnen. Wenn alles gut läuft, kann es sein, dass sie im März 2013 das Gefängnis verlassen darf.

"Das Projekt hat mir sehr geholfen", sagt sie. "Man ist nicht mehr so allein und übernimmt Verantwortung. Ich habe durch die Arbeit mit Ronja wieder angefangen, anderen zu vertrauen - auch anderen Menschen. Ich habe gelernt, mich selbst wertzuschätzen. Und gemerkt, dass ich so schlecht und verkehrt ja nicht sein kann, wenn Ronja sich so an mich schmiegt und sich bei mir geborgen und sicher fühlt."

Melanie ist der Meinung, dass das Projekt auf jeden Fall fortgesetzt werden sollte. "Natürlich ist nicht alles problemlos verlaufen, und einmal stand die Fortführung des Projektes auch auf der Kippe. Die Arbeit mit den jungen Tieren war nicht immer leicht, manche Absprachen klappten nicht. Es muss gewährleistet sein, dass die Hunde immer genug Auslauf haben, dass sie also an den Arbeitsplatz ihrer Patin mitgenommen werden können und nicht den ganzen Tag im Zimmer oder auf dem Anstaltsflur zubringen müssen. Aber dafür war es ja auch ein Pilotprojekt, damit man aus den Fehlern lernt."

Ganz wichtig war für sie der Aspekt der Wiedergutmachung. "Die Ausbildung von Welpen zu Blindenführhunden", sagt sie, "gibt uns Häftlingen die Chance, der Gesellschaft etwas zurückzugeben."