Gemeinde ist auf Einnahmen und Spenden angewiesen. Die Hauptkirche St. Michaelis bleibt heute wegen Tagung für Besucher geschlossen.

Hamburg. Die Empörung war offenbar groß. Und das für 12.500 Euro Einnahmen. So viel nämlich kassiert die Hauptkirche St. Michaelis für Vermietung des kompletten Gotteshauses. Heute bleibt der Michel zu wegen einer Wirtschaftstagung. Und gestern klingelte den ganzen Tag das Telefon im Michel-Büro. Viele Hamburger machten ihrer Entrüstung darüber Luft, dass in der Kirche heute das Deutsche Wirtschaftsforum des Zeitverlags stattfindet. Auch beim Abendblatt gingen zahlreiche Leserbriefe ein (s. rechts). Der frühere Innenstaatsrat Dirk Reimers hatte mit seinem Debattenbeitrag in dieser Zeitung, in dem er die Nutzung der Kirche für den Kongress als "Huldigung des Kommerzes" angeprangert hatte, offenbar einen Nerv getroffen.

Hauptpastor Alexander Röder wehrt sich gegen die Kritik. Die Kirche, sagt er, sei der richtige Ort für einen Diskurs über unternehmerische Verantwortung. Dazu kommt: "Die Hamburger erwarten, dass der Michel 365 Tage im Jahr geöffnet ist. Täglich findet mindestens ein Gottesdienst statt. Das kostet Geld. Ohne Einnahmen aus Vermietungen ist das nicht zu finanzieren." Der Michel sei wie ein kleines Unternehmen. Die Gemeinde beschäftigt 43 Angestellte. Und - bundesweit wohl einzigartig - einen Geschäftsführer.

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"Die Situation ist besonders", sagt Klaas Kool, seit acht Jahren der Mann fürs Finanzielle an St. Michaelis. "Wir sind ja nicht nur eine Kirche, sondern auch ein weltweit bekanntes Wahrzeichen. Daraus ergeben sich Verpflichtungen." 3,5 Millionen Euro kostet der Betrieb im Jahr - deutlich mehr als in jeder anderen Hauptkirche. Allerdings bekommt der Michel nur etwa sieben Prozent aus Kirchensteuer-Zuweisungen, hat Kool ausgerechnet. "Alles andere müssen wir selbst verdienen." Den dicksten Batzen bringen die Einnahmen aus dem Tourismusgeschäft. 2010 brachten die 1,5 Millionen Besucher, die die berühmteste Barockkirche Norddeutschlands besuchten, 1,1 Millionen Euro ein. Die Vermietung von Gebäuden und Wohnungen schlägt mit einer weiteren Million Euro zu Buche. Dazu kamen Spenden und Schenkungen von 630 000 Euro sowie Einnahmen aus Veranstaltungen von 163 000 Euro. Und die Erlöse aus der Vermietung.

"Ohne die ginge es nicht", sagt Kool, der stolz auf einen ausgeglichenen Haushalt verweist. 450 000 Euro bringen die zahlreichen Konzerte, Lesungen und sonstigen Events, etwa die Benefizveranstaltung "Märchen im Michel" des Hamburger Abendblatts. Zwischen 3000 und 5000 Euro Miete verlangt die Gemeinde im Schnitt für ein zweistündiges Konzert. Im Fall des "Zeit"-Wirtschaftsforums sind es 12 500 Euro für den ganzen Tag. Dafür haben die 450 Spitzenmanager, darunter Deutsche-Bank-Vorstand Josef Ackermann, Telekomchef René Obermann oder Wirtschaftsminister Philipp Rösler (FDP) heute sowohl den Kirchenraum mit 2500 Sitzplätzen als auch Turm und Krypta ganz für sich.

"Wir haben einen Freundschaftspreis gemacht, weil die Terminplanung extrem eng ist und die Veranstalter nur unter starker Zeitnot auf- und abbauen können", sagt Kool.

Trotzdem sei die Veranstaltung für den Michel ein Gewinn. Auch wenn die Summe natürlich deutlich geringer sei, als der Eintrittspreis von 1600 Euro für das Branchentreffen suggeriere. "Das ist sehr viel Geld, aber das bekommen ja nicht wir, sondern die Veranstalter." Trotzdem stehe er zu dem Wirtschaftstreffen im Michel. "Es geht ja nicht darum, die Wirtschaftsbosse und ihre Thesen zu hofieren, sondern um eine kritische Auseinandersetzung."

Der Michel ist nicht die einzige Hauptkirche, die unter ständiger Geldknappheit leidet. "Von den Kirchensteuereinnahmen könnte ich gerade die Heizung bezahlen", sagt Rainer Biskup, verwaltender Vorsteher an St. Jacobi. Zusätzlich bekommt die Hauptkirche eine Sonderzuweisung des Kirchenkreises Hamburg Ost in Höhe von 147 000 Euro. "Über die Runden kommen wir nur, weil wir jedes Jahr etwa 250 000 Euro aus der Stiftung St. Jacobus zuschießen", sagt Biskup. Vermietungen sind an der City-Kirche eher die Ausnahme. "Wir lassen weltliche Veranstaltungen nur sehr sparsam zu." Es müsse ins Konzept passen, so wie die Konzerte der Jugendmusikschule.

Auch beim Nachbarn St. Petri wird trotz angespannter Finanzlage selten vermietet. "Unser oberstes Prinzip ist, dass wir als Alltagskirche der Hamburger täglich geöffnet haben", sagt Hauptpastor Christoph Störmer. Im Jahresetat von 800 000 Euro machen externe Veranstaltungen (2000 Euro pro Abend) den geringsten Teil aus. Zu der Diskussion um den Kongress im Michel sagt er: "Das ist eine Gratwanderung. Damit es kein Geschmäckle bekommt, müssten auch andere Ansichten, etwa die Occupy-Bewegung, zu Wort kommen." Störmer weiß, wovon er spricht. Als er die Turmsanierung von St. Petri mit einer Plakatkampagne von H&M finanzierte, war das nicht unumstritten.