Er gestaltete Jil-Sander-Flakons, Apollinaris-Flaschen, Bühnenbilder. Jetzt, mit 73, will er kürzertreten. Obwohl er gefragt ist wie eh und je.

Der rote Faden zieht sich durch die Stadt: Er verbindet Menschen, die einander schätzen, bewundern, überraschend finden. Sie entscheiden, an wen sie ihn weiterreichen: an andere, die hier arbeiten, die Besonderes für diese Stadt leisten, die in Hamburg als Vorbilder gelten. Den Anfang machte Altbürgermeister Henning Voscherau. In der 14. Folge vor einer Woche: Rabbiner Shlomo Bistritzky

Der Schlag kam ohne Vorwarnung. Mit einem Freund radelt Peter Schmidt, 73, Designer von Weltrang, von Harvestehude bis zur Alsterquelle im Norden Hamburgs und ohne Pause wieder zurück. Danach ist nichts mehr wie vorher. Sein Herz spielt verrückt, er spürt Aussetzer, kann die Treppen im eigenen Haus an der Feldbrunnenstraße nicht mehr steigen, findet nachts keinen Schlaf. Er konsultiert befreundete Kardiologen, was es mit dem "Herzkasper", wie er es heute mit ironischem Respekt nennt, auf sich habe. Und folgt ihrem Rat, hält eine Woche absolute Ruhe. Und ordnete seither sein Leben neu.

Was 1972 angefangen hatte mit den Peter Schmidt Studios und dem Verpackungsdesign für einen Tee namens "White Elephant", war im Lauf der Zeit zu einem Unternehmen mit 150 Mitarbeitern herangewachsen. Dort designte er Parfüm-Flakons (u. a. für Jil Sander, Hugo Boss, Laura Biagiotti), Verpackungen (u. a. die Apollinaris-Flasche), Logos (u. a. für Hamburg und für die Bundeswehr). Sein Flakon für den Jil-Sander-Duft "Pure Woman" schaffte es bis ins New Yorker Museum of Modern Art.

Daneben zog es Schmidt seit den 90er-Jahren immer häufiger zur darstellenden Kunst: Er gestaltete Bühnenbilder für John Neumeiers Hamburg Ballett ("Zwischenräume", "Tod in Venedig" und "Parzival"), Inszenierungen des Ernst-Deutsch-Theaters und für das Zürcher Ballett 2009 einen Bach-Abend. Brachte mit Kent Nagano für das Schleswig-Holstein Musik Festival in Kiel die Oper "Madrugada" von Ichiro Nodaira auf die Bühne. Er designte Restaurants in Japan; er ist 2006 an der Ausstellung "Verstummte Stimmen" beteiligt, die auf die Vertreibung jüdischer Sänger aus der Staatsoper in der Nazi-Zeit hinweist.

2007 aber verkaufte er die Firma, die inzwischen "Peter Schmidt Group" heißt - das Unternehmen, mit dem er auf vielen Feldern die Klarheit reduzierten Designs der lärmenden Verwaschenheit des Alltags entgegensetzte. Nur zwei Wochen dauerte die Unterbrechung damals, dann eröffnete er sein neues Atelier "Peter Schmidt" am Mittelweg und setzte in kleinerem Rahmen fort, was er gerade aus der Hand gegeben hatte.

Auch damit ist jetzt Schluss. Das Atelier wird aufgelöst, die Räume sind ab Januar neu vermietet. Peter Schmidt verkleinert noch einmal drastisch seinen Wirkungskreis. "Ich bin dann all die unendlich mühsamen Überzeugungsgespräche los", sagt er. "Und die Wochen, an denen man an vier Tagen in irgendeinen Flieger steigen muss - das ist gar nicht so toll, wie man es sich manchmal selbst vorlügt." Ohne Bitterkeit lacht er auch angesichts der "Überaufgeregtheit und verzweifelten Wichtigkeit, die sich manche Menschen heute aneignen und die so wahnsinnig lächerlich sind".

Seine Analyse fällt noch radikaler aus: Er spricht von Managerinnen und Managern in Unternehmen, die seinen hohen Qualitätsanspruch nicht mehr teilen, und hört man genau hin, klingt dazwischen auch die Klage auf, dass den neuen Generationen der Respekt vor der Lebensleistung derjenigen fehlt, denen sie nachfolgen.

Das alles lässt der Mann, der seinen Allerweltsnamen zur Weltmarke gemacht hat, der großen Marken neue Outfits verpasst hat, der Träume und Verheißungen gestaltet hat, die Institutionen und Produkte mit sich verbunden sehen wollen, nun hinter sich. Und geht neu auf die Suche. "Dort, wo du nicht bist, dort ist das Glück" - dieser Schlusssatz aus Franz Schuberts Lied "Der Wanderer" beschreibe ganz gut, was in ihm vorgehe.

Sein großer Hang zur asiatischen Philosophie und Lebenskunst hilft ihm nun beim Loslassen und dem Einstieg in eine neue Lebensphase. Die wird geprägt sein von Kontemplation, sagt er. Von der Trennung von vielem, was er in seinem Haus zusammengetragen hat. "Einige Stücke meiner Sammlung sollen an das Museum für Kunst und Gewerbe gehen", sagt der Mann, der als Sammler vieler Preziosen der asiatischen Kultur gilt. Anderes wird verkauft." So auch sein Haus. Es scheint mit seiner Größe ständig nach Gesellschaften zu rufen, die sich um den gewaltigen schwarzen Lacktisch versammeln, dessen penibel polierte Oberfläche beides sein kann: Spiegel oder Abgrund. Eine Wohnung soll stattdessen her, die ohne Treppen auskommt.

Sein weißes Haus auf Ibiza will er behalten. Es entkam vor Kurzem einem Großfeuer, bei dem auf sieben Achteln des Grundstücks alles niederbrannte. Wenn er darüber spricht und über den Olivenbaum, der ebenfalls von den Flammen verschont blieb, dann bekommt man eine Ahnung davon, dass sich hier jemand daranmacht, sich wieder aufs Wesentliche des Lebens zu besinnen und zu konzentrieren.

Auch seinen Terminkalender hat Peter Schmidt radikal "entrümpelt". Erlöst von der Verantwortung für andere, will er nur noch dort arbeiten, wo er das ohne Kompromisse tun kann. "Und ich werde jedes Mal ganz stark überlegen: Gebe ich dafür noch Lebenszeit aus?" Nachdenklich hat er bisher geredet, leise und sehr zurückgenommen.

Nur weniges, sagt er, wird er weiterhin machen - z. B. das Plakat-Design für "seine" Orchester, die Münchner Philharmoniker, die Essener, auch die Hamburger und die Bamberger. Im Juni 2012 ist er in Essen für die Ausstattung eines neuen Stückes zuständig, das Elfriede Jelinek geschrieben hat. Es reiht sich ein in die vielen großen Bühnenproduktionen, an denen er schon beteiligt war. Über Mangel an Anfragen für weitere kann er nicht klagen. Weiter beschäftigen wird ihn auch seine Idee eines "Museums der Zukunft", die er 2009 im Hamburger Abendblatt erstmals der Öffentlichkeit vorgestellt hat und die jetzt das Senckenberg-Museum in Frankfurt am Main als Teil seiner Weiterentwicklung realisieren will.

Der Designer bleibt ebenfalls gefragt, er gestaltet weiter Logos und Parfüm-Flakons, seine heimliche Leidenschaft. Bald wird eine von ihm entworfene Frankenwein-Flasche vorgestellt, die den traditionellen Bocksbeutel ablösen soll. Und mit dem Tausendsassa André Heller brütet er über einem Buch zum Thema Zaubern. Eine Buchreihe über Dirigenten hat er ebenfalls in der Mache. Einen Hotelzimmer-Prototyp entwirft er für Eugen Block. Nach der Bamberger Konzerthalle arbeitet er derzeit an einem weiteren Entwurf für ein deutsches Konzerthaus. Hier geht es um "eine ganz innovative Platzierung des Publikums, an der jetzt ein Akustiker verzweifelt". Andere machen aus so einem Programm mindestens zwei Vollzeitjobs.

Kann einer wie Peter Schmidt überhaupt zur Ruhe kommen? "Als Traum zumindest ist diese Vorstellung da", sagt er. Die neue Freiheit genießen, längere Zeit auf Ibiza entspannen, im Winter völlig ohne Hetze weit wegfahren, nach Asien. Und, wieder zu Hause in Hamburg, Opernpremieren und Empfänge auch mal ignorieren.

"Ein Elend dieser Lebensphase ist, dass das gefühlte Alter ja nur bei 40 liegt", lacht er. Und wie zum Beweis erzählt der gebürtige Bayreuther davon, wie er zwei jüngere Freunde in ihre Schranken gewiesen hat, die ihn wegen herumliegender Boxhandschuhe hänseln wollten, "dabei hab ich mal geboxt, allerdings mit 16, 17 Jahren". Und gelernt, dass es darauf ankommt, die Fehler der anderen zu sehen und auszunutzen. "Wir haben also geboxt, und der eine ist umgefallen und redet heute nicht gern darüber." Der andere bekam eine Zeit lang kaum Luft. Und Peter Schmidt erzählt strahlend, dass er bis heute ein großer Fan von Boxkämpfen ist. "Nicht von wüsten Schlägereien, sondern von denen mit klarem Kopf, wo man die Fehler des anderen abwartet. So wie die Klitschkos."

Einer der Brüder hat ihm geholfen, dem Alter lockerer ins Auge zu sehen. "Ich mochte nie Rollkoffer und hab meine Sachen immer quer durch die Flughäfen geschleppt. Bis dann irgendwo so ein Riese an mir vorbeihechtet und einen Rollkoffer hinter sich herzieht." Schmidts Erkenntnis: "Wenn der das macht und es sieht nicht doof aus, kann ich das auch." Und seither hat auch er einen.

Peter Schmidt reicht den roten Faden in der kommenden Woche weiter an den HSV-Fußballer Mladen Petric. "Er soll noch mehr Tore schießen", sagt er. Außerdem habe er mal im Flieger neben ihm gesessen. "Das hat er wahrscheinlich gar nicht gemerkt."