Helmut Schmidts Vorschlag, neue Berufswege im Alter zu gehen, ist richtungsweisend.

Wer mit Helmut Schmidt redet und dabei laut wird in der Annahme, der Altkanzler würde ihn sonst nicht verstehen, muss damit rechnen, einen kleinen Rüffel zu bekommen. "Sie brauchen nicht zu schreien", sagt der Altkanzler dann zum Beispiel. "Sie müssen nur langsam reden. Denn hier oben", in diesem Moment zeigt er auf seinen Kopf, "geht es nicht mehr so schnell wie früher."

Das ist natürlich übertrieben, ja, fast kokett, und in unzähligen Interviews, Talksendungen und Büchern widerlegt. Helmut Schmidt mag im Körper eines 92-Jährigen stecken, sein Geist ist jung, seine Auffassungsgabe beeindruckend, Gedächtnis und Präzision sind es ebenso. Wenn es einen Experten dafür gibt, welche Leistungen bis ins hohe Alter möglich sind, dann sitzt er im fünften Stock des Pressehauses am Speersort, wo Schmidt sein Büro bei der Wochenzeitung "Die Zeit" hat. Was natürlich nicht heißt, dass er am Schreibtisch daheim nicht arbeiten würde.

Helmut Schmidt weiß, wovon er spricht, wenn er fordert, dass Menschen ab 50 Jahren noch mal den Beruf wechseln sollten, und zwar so, dass sie dann bis 65 oder 67 oder darüber hinaus tatsächlich arbeiten können. Er hat es vorgemacht, als er vom Politiker zum Journalisten geworden ist, und er lebt weiter vor, welche Rolle Arbeit selbst jenseits staatlich festgelegter Rentengrenze spielen kann.

Nun lässt sich das Modell Schmidt nicht einfach auf andere Arbeitnehmer übertragen, aber die Grundannahme des Altkanzlers ist richtig und wichtig - aus mehreren Gründen. Erstens, weil eine berufliche Neuorientierung mit zunehmendem Alter die Forderung nach einem späteren Eintritt in den Ruhestand erst möglich macht.

Zweitens, weil mit dieser Neuorientierung auch der Spaß an der Arbeit geweckt oder zumindest aufgefrischt werden kann. Und drittens, weil ein Beruf, der einen körperlich nicht überfordert, jung halten kann. Im Idealfall so jung wie Helmut Schmidt.

Mittelfristig gibt es zu dem Projekt, das er jetzt über die Hamburger Handelskammer und die "Zeit"-Stiftung auf den Weg gebracht hat, sowieso keine Alternative. Denn angesichts des demografischen Wandels und eines Fachkräftemangels, dessen Dramatik sich bereits heute überdeutlich abzeichnet, wird Hamburgs Firmen nichts anderes übrig bleiben, als alles dafür zu tun, dass ihnen ihre Angestellten so lange wie möglich zur Verfügung stehen. Das kann mithilfe von Umschulungsprogrammen genauso geschehen wie mit der Umstellung von Arbeits- und Produktionsabläufen. Auf jeden Fall darf und wird es nicht mehr so sein, dass sich der Mensch nur nach den Bedürfnissen eines Unternehmens zu richten hat. Je stärker sich die Situation auf dem Arbeitsmarkt verschiebt, das heißt, je kleiner das Angebot an Fachkräften wird, desto größer wird die Herausforderung für die Unternehmen, ihnen ein optimales Umfeld zu bieten - und gegebenenfalls neue Berufe zu erfinden.

Das ist vielleicht die beste Nachricht einer Entwicklung, die viele Arbeitnehmer als bedrohlich und deprimierend empfinden. Ja, wir alle werden länger arbeiten müssen (oder im schmidtschen Sinne: dürfen), aber es besteht die berechtigte Hoffnung, dass diese Arbeit zu schaffen ist und neue Herausforderungen auch neue Freude und mehr Abwechslung bringen.

Und wenn dann diese Freude, wie im Fall von Helmut Schmidt, im wahrsten Sinne des Wortes nicht enden will: Wären das nicht wunderbare Aussichten?