Der Gewerkschafts-Chef plädiert für 8,50 Euro pro Stunde. In Hamburg verdienen sechs Prozent der Vollzeitbeschäftigten weniger

Erstaunlich, die CDU bewegt sich in der Frage der Mindestlöhne. Es ist das Verdienst der Christlich-Demokratischen Arbeitnehmerschaft in der Union, die für diese Trendwende gesorgt hat. Doch noch gibt es keinen Grund, darüber in Jubel auszubrechen.

Für mich ist die Frage nach Mindestlöhnen nicht bloß eine politische. Wer vollzeitbeschäftigt arbeitet, muss von seinem Lohn auch leben können. Alles andere ist nicht nur moralisch verwerflich, sondern auch ein Verstoß gegen die Menschenwürde.

Nehmen wir folgendes Beispiel: Gaby B. arbeitet als Kellnerin in einem Café. Von ihrem Chef bekommt sie einen Stundenlohn von sechs Euro gezahlt. An guten Tagen kommt noch ein wenig Trinkgeld dazu. Eigentlich hat sie einmal Webdesignerin gelernt. Doch nachdem sie Mutter geworden ist und länger ausgesetzt hat, findet sie einfach keine Stelle mehr in ihrem gelernten Beruf. Von ihrem Einkommen als Kellnerin kann sie allerdings nicht leben, sie bezieht deshalb als Alleinerziehende zusätzlich Hartz IV. Ja, dieser Fall ist konstruiert - aber tausendfach so oder ähnlich auch in Hamburg Realität.

Sechs Prozent der Vollzeitbeschäftigten in Hamburg arbeiten zu Löhnen von unter 8,50 Euro pro Stunde - also der Summe, die wir als Gewerkschafter fordern. Bundesweit, vor allem in den östlichen Bundesländern, sind es viel mehr, die mit weniger Lohn auskommen müssen.

1,4 Millionen Menschen sind in Deutschland neben ihrem Job auf zusätzliche staatliche Hilfen angewiesen. Und gerade Frauen sind betroffen, weil überproportional viele von ihnen im Niedriglohnsektor arbeiten.

Für Menschen wie Gaby B. brauchen wir deshalb den gesetzlichen Mindestlohn. Aber was nützt es ihnen, wenn sie bei niedrigeren Sätzen dann trotzdem armutsgefährdet bleiben?

Die Gefahr ist, dass im Gezerre um gerade noch mehrheitsfähige Mindestlohnhöhen auf dem CDU-Parteitag ein nicht mehr verträglicher Kompromiss herauskommt. Mit unter sieben Euro Stundenlohn, wie in der Politik derzeit diskutiert wird, ist niemandem ernsthaft gedient. Massenhaft würden die Betroffenen weiter auf Sozialhilfeleistungen der Kommunen angewiesen sein. Und gerade das gilt es auch zu vermeiden.

Wer auf der einen Seite über zu hohe Staatsverschuldung klagt, kann nicht befürworten, dass Löhne von Vollzeitbeschäftigten dauerhaft mit rund sieben Milliarden Euro im Jahr aus dem öffentlichen Haushalt subventioniert werden. Flächendeckende Mindestlöhne würden dafür sorgen, dass dieses Geld eingespart werden kann. Nicht nur das: Durch die höheren Lohnzahlungen könnte der Staat auch auf größere Steuereinnahmen hoffen.

Das Pauschal- und Gegenargument der Gegner ist die These, dass die Einführung von Mindestlöhnen Arbeitsplätze kosten würde. Müsste das Café, in dem Gaby B. zum Beispiel arbeitet, dann also schließen? Diese Annahme ist durch Wissenschaft und Praxis längst widerlegt.

Untersuchungen zeigen vielmehr: In den Branchen in Deutschland, in denen es bereits einen Mindestlohn gibt - das gilt zurzeit für rund fünf Millionen Arbeitnehmer -, gab es dadurch keine relevanten Arbeitsmarktveränderungen. Nicht in der Pflege, nicht bei den Kraftfahrern, den Malern oder den Gebäudereinigern.

Schauen wir auf unsere europäischen Nachbarn: 20 EU-Staaten haben bereits den Mindestlohn. Mit 8,50 Euro würden wir sogar noch unter dem aktuellen Satz in Luxemburg (10,16 Euro), Frankreich (9 Euro) und den Niederlanden (8,74 Euro) liegen. Dabei sind 8,50 Euro pro Stunde monatlich netto nur knapp über 1000 Euro. Davon in der Hansestadt Hamburg zu leben ist nicht einfach, von weniger dagegen aber fast unmöglich. Ich erinnere da nur an die Proteste in der Stadt wegen der überteuren Mietpreise. Deswegen ist der Ansatz aus Großbritannien richtig: einsteigen in den Mindestlohn und ihn dann schrittweise nach oben anpassen. Doch über die Lohnuntergrenze wird weiter gestritten werden. Fest steht aber: Rund 80 Prozent der bundesdeutschen Bevölkerung sprechen sich schon längst dafür aus, dass der flächendeckende Mindestlohn kommen muss.

Gut, dass auch die CDU dafür endlich Einsicht zeigt.