Der Altkanzler und “sein“ Kanzlerkandidat stellten im Thalia-Theater ihr Buch vor

Altstadt. Es dauerte genau vier Reyno Menthol, zwei Häufchen Schnupftabak der Marke Gletscherprise und fünf Minuten mehr als ein Fußballspiel - dann hatten sich Helmut Schmidt und "sein" Kanzlerkandidat Peer Steinbrück die rhetorischen Doppelpässe ebenso meisterhaft wie charmant zugespielt. Von Moderator Ulrich Wickert gecoacht, präsentierten sich beide Sozialdemokraten als Unterhaltungskünstler erster Klasse. Was offiziell als Vorstellung des gemeinsamen Buchs "Zug um Zug" angekündigt war, geriet zur Tour durch die nationale und internationale Politik.

Rund 1000 Besucher im bis auf den letzten Platz besetzten und seit Tagen ausverkauften Thalia-Theater kamen für je 15 Euro Eintritt auf ihre Kosten. Vor allem Helmut Schmidt, immerhin 28 Jahre älter als (Schach-)Freund Steinbrück, zeigte sich enorm in Form. Auch als Steinbrück in der Begrüßung mit einem bewussten Versprecher als "Peer Schmidt" willkommen geheißen wurde, lächelte der Bundeskanzler a. D. milde. Da war die erste Prise fällig.

Launig berichtete der 92-Jährige von seinen Rauch-Eskapaden in amerikanischen Hotels und in Zügen der Deutschen Bahn. Dabei fragte er sich laut, ob letztere Strafen wie ein Amtsgericht verfügen dürfe. Immerhin habe Ehefrau Loki vom Bahn-Boss seinerzeit statt einer Antwort zumindest einen Blumenstrauß erhalten. Das NDR-Fernsehen war live dabei, als sich Schmidt nach 25 Minuten Schmachten die erste Zigarette ansteckte.

Nach einem tiefen Zug balancierte Schmidt seinen hölzernen Gehstock zwischen den Beinen, rückte sich im Rollstuhl zurecht, justierte das Hörgerät im linken Ohr und legte los. Im Frühjahr des kommenden Jahres, dann also mit 93, wolle er nach China reisen. "China entwickelt sich in erstaunlicher Weise zum Rechtsstaat", formulierte er zum Erstaunen vieler Zuhörer. Zwar dauere dieser Prozess wohl noch eineinhalb Generationen bis zur Vollendung, doch seien die Veränderungen "jetzt schon gewaltig".

Zehn Minuten später war die zweite Zigarette dran. Ob historischer Erfahrungen würde Deutschland eine europäische Führungsrolle nicht gut bekommen. Als weitere Themen wurden der deutsche Föderalismus, das Renteneintrittsalter sowie die Umschulung älterer Arbeitnehmer gestreift.

Das Publikum, mehr Anzug- als Jeansträger, mehr graue als lange Haare, mehr Kostüme als Pullover, huldigte dem Altmeister mal mit gebanntem Schweigen, dann wieder mit intensivem Applaus. Heimspiel im Theater. Noch eine gute Prise und ein weiteres Mal "Feuer frei!", dann gab Helmut Schmidt ein Antwortspiel der ungewöhnlichen Art zum Besten. "Herr Schmidt, sind Sie für die Frauenquote?", begehrte Wickert zu wissen. "Ne!" Nachfrage: "Warum nicht?" Entgegnung: "Warum sollte ich dafür sein?" Ach so. Die Groupies im Plenum applaudierten hingebungsvoll.

Und was ist mit dem Vorwurf, Schmidt bringe seinen eigenen Kanzlerkandidaten ins Spiel? "Ich betrachte mich als Privatperson", konterte er, "und habe nur meine Meinung gesagt."

Am 14. November folgt der 2. Akt. Dann in Berlin. Zug um Zug.