Sandra Völker war eine der erfolgreichsten Schwimmerinnen Deutschlands. Nach dem Karriereende musste sie ein neues Leben aufbauen.

Winterhude. Der rote Faden zieht sich durch die Stadt: Er verbindet Menschen, die einander schätzen, bewundern, überraschend finden. Sie entscheiden, an wen sie ihn weiterreichen: an andere, die hier arbeiten, die Besonderes für diese Stadt leisten, die in Hamburg als Vorbilder gelten. Den Anfang machte Altbürgermeister Henning Voscherau. In der dritten Folge vor einer Woche: Ex-Hoteldirektor Gert Prantner

Was für sie selbstverständlich ist, fällt auf. Ihre aufrechte Körperhaltung, die Muskelspannung. Sandra Völker, 37, sticht heraus zwischen den wuselnden Gästen im Café Elbgold am Mühlenkamp. Sie wirkt wie ein ruhender Pol, stark und standhaft. Völker war bis vor drei Jahren Weltklasseschwimmerin, Weltmeisterin, Weltrekordlerin. Mitte der 90er-Jahre besuchte sie in der City Nord das Wirtschaftsgymnasium, lebte in Winterhude und trainierte zwölf Jahre lang am Olympiastützpunkt im Dulsbergbad. Vergangenheit.

Heute ist die Mutter der vierjährigen Lotta Sophie Unternehmerin. Sie hat die sogenannte Völker-Methode entwickelt. Dabei geht es natürlich ums Schwimmen. "Ich brauche das Wasser, ich muss einfach immer wieder zurück", sagt sie. Denn für Völker ist schwimmen nicht gleich schwimmen. Das ist mehr als ins Wasser zu springen und loszulegen. Deshalb reist sie zu ihren Kunden in die unterschiedlichsten Schwimmbäder der Republik: mit Therapiebecken, Wettkampfbecken, Salzwasserbecken. "Ich bringe die Menschen ins Wasser", sagt sie und lacht, "das können Senioren, Kinder, Vereinsschwimmer, Freizeitschwimmer oder Menschen sein, die sich auf den Ironman vorbereiten."

Ihnen hilft sie, sich zu verbessern, alle Reserven zu mobilisieren, um, natürlich, schneller und effizienter zu werden. Oder um erst mal ganz grundsätzlich die Angst vor dem Wasser zu verlieren.

Gespeist wird die Methode aus dem eigenen Erleben mit dem Element Wasser: Völker, kaum vorstellbar, konnte nicht im Meer oder in Seen schwimmen, sie bekam Panik und hyperventilierte. Sie stellte sich dem Problem und machte in Berlin einen Tauchschein und ist heute gern im Wasser - auch ohne die vertrauten Kacheln am Grund zu sehen. Übrigens immer noch lieber im Badeanzug als im Bikini. So auch, wenn sie ihre Seminare gibt.

Der Fokus, sie legt ihn bei den schwimmenden Klienten neben Videoanalysen, Techniktipps und speziellen Wassergefühlsübungen, auf die Hand- und Kopfhaltung sowie die Körperstreckung von der Hüfte aus.

In diesem Metier kennt sich Sandra Völker wie wenige andere aus. Sie, die seit gut 30 Jahren im Wasser ist. Angefangen hatte alles beim VfL Bad Schwartau, bei ihrem nächsten Verein, dem SC-Delphin Bad Schwartau, entschied sie mit zwölf Jahren, Profischwimmerin zu werden. Ganz allein, ohne Druck der Eltern. Von dort an ging es bergauf, ihre beachtliche Karriere begann: Völker wurde 45-mal deutsche Meisterin, holte mehr als 60 Medaillen bei Europa- und Weltmeisterschaften auf der 25-Meter-Kurz- und 50-Meter-Langbahn, wurde zweimal Weltcup-Gesamtsiegerin, 1997, 1998 und 1999 Schwimmerin des Jahres. Bei Olympia gewann sie Silber und zweimal Bronze. Erreichte eigentlich alles. Nur das olympische Gold, es bleibt ihr versagt.

Für ihren gelebten Traum war die gebürtige Lübeckerin sehr oft unterwegs und lernte die halbe Welt kennen. Sie war in Atlanta, Perth, Istanbul, Rio de Janeiro. Es war ein Leben, das immer auf den nächsten Wettkampf ausgerichtet ist. Wo es immer darum geht, noch schneller zu werden. Das erwartete ihr Team, sie selbst und das ganze Land. "Alles war auf den Sporterfolg fokussiert", sagt sie, "aber ich bin ja keine Maschine." Ihr körperlich hartes Training mit mindestens vier Stunden im Wasser, dazu Krafttraining - ihr Körper rebellierte irgendwann dagegen.

Im Juli 2000 wurde bei Völker Asthma diagnostiziert, Ende 2001 hatte sie einen Bandscheibenvorfall. Eine Katastrophe für die Leistungssportlerin: "Mein Bandscheibenvorfall hat mich zu einer Pause gezwungen, ich musste die deutschen Meisterschaften absagen und die gesamte Weltcup-Serie", sagt sie und verzieht an diesem sonnigen Sonnabend noch schmerzvoll das Gesicht bei der Erinnerung an die schwere Verletzung und die dadurch entstandene Auszeit. "Ich wollte unbedingt wissen, wo die Ursachen dafür liegen, ich habe es als ein natürliches Stoppschild empfunden, der Körper ist da ziemlich eindeutig." Sie verbrachte einige Wochen im Osteseebad Damp, wurde dort behandelt. Eine Stunde täglich durfte sie nur ins Wasser, ansonsten standen Krankengymnastik, Fango, Massagen und konservative Behandlungen auf dem Programm.

Und dort hatte sie ihr Aha-Erlebnis: "Da lag ich, als Spitzensportlerin um 7.15 Uhr morgens in der Bandscheibengruppe und habe minikleine Muskelübungen gemacht", sagt sie und grinst, "und habe im Laufe der Zeit gemerkt, wie gut es tut, diese tiefer liegenden Muskeln zu aktivieren, und habe richtig gespürt, wo die Ansätze der Muskeln liegen." Sonst würden immer wieder und wieder und wieder die großen Muskelgruppen trainiert, "ein falsches Denken", davon ist sie seitdem überzeugt. "Und das Beste war: Als ich nach drei Wochen wiederkam und in Hamburg einen Leistungstest gemacht habe, hatte ich Bestwerte - und keiner wollte mir glauben, dass ich nichts gemacht hatte."

Engagiert schildert sie ihre Erinnerungen, gestikuliert mit den Händen, legt sie wieder auf dem Holztisch ab. "Das hat mir gezeigt, dass ich noch mehr Entlastung brauche."

Gemeinsam mit ihrem Trainer Dirk Lange, mit dem sie jahrelang liiert war, nahm sie entgegen der herrschenden Lehrmeinung Abstand vom Schinden an Kraftmaschinen. Fortan holte sie sich ihre Muskelkraft durch Spinning und Kickboxen. EM-Silber über 50 Meter Rücken und der deutsche Meistertitel 2002 über 50 Meter Freistil bekräftigten sie in ihrer Überzeugung.

Und auch ihre Asthma-Diagnose bleibt nicht folgenlos. Völker verarbeitet ihre negativen Erlebnisse, in dem sie sie thematisiert und bis heute weiterentwickelt. Motiviert durch eigene Betroffenheit hatte sie bereits 2001 ihre Sandra-Völker-Stiftung für asthma- und allergiekranke Kinder gegründet. Damals, als sie auf der Höhe ihrer Leistungsfähigkeit stand und täglich stundenlang trainierte, konnte sie mit der niederschmetternden Diagnose kaum umgehen. Drei Monate später, im September 2000, sollten die Olympischen Spiele in Sydney stattfinden. Sie verpasste diesen Traum aller Sportler. Ein Schock, wie sie sich genau erinnert. Und immer wieder die Frage: "Ich bin doch Schwimmerin mit einem sehr großen Lungenvolumen. Wie kann das sein?" Der Hamburger Facharzt Martin Ehlers klärte sie über das "Schattendasein" der Krankheit auf und half ihr, weiter erfolgreich schwimmen zu können. Heute unterstützt sie betroffene Kinder und Jugendliche, sammelt Spenden auch für das erste Asthma-Camp in Niendorf an der Ostsee im Oktober. Zehn Patienten nehmen teil, betreut von einem Allergologen und Kinderarzt, einer Psychotherapeutin, einer Yogalehrerin und einer Atemtherapeutin - und von Sandra Völker natürlich. "Ich gehe mit den Kindern schwimmen, wenn sie es wollen, dort gibt es ein tolles Meerwasserbecken. Sie sollen über das Wasser in die Entspannung kommen und das mit Spiel und Spaß dabei."

Sie selbst hat gelernt, mit der Krankheit zu leben, mit ihr umzugehen. Es bedurfte vieler Gespräche und einer Ausbildung zur Reiki-Meisterin. Bei der aus Japan stammenden Reiki-Praxis geht es um universelle Energien, die durch Handauflegen weitergegeben werden und damit die Steigerung des allgemeinen Wohlbefindens oder die Aktivierung der Selbstheilungskräfte im Krankheitsfall bewirkt. "Ich glaube, dass bei allen Krankheiten ein mentaler Anteil dabei ist", ist Völker überzeugt. Sie könne und wolle die Vorgänge im Körper nicht losgelöst von Geist und Seele sehen. Eine Erkenntnis, die Sandra Völkers Lebensgefühl heute stark beeinflusst. Yoga und Pilates gehören zu ihrem Alltag, um sich fit zu halten. Mental wie körperlich. "Auch wenn es abgegriffen klingen mag, es geht ja um den Dreiklang von Körper, Geist und Seele", sagt sie.

Es ist auch eindeutig das Motto ihrer aktuellen Lebensphase als Mutter und Unternehmerin. Gerade ist sie mit ihrer vierjährigen Tochter Lotta Sophie nach Buxtehude gezogen. Allein, ohne ihren Partner Sascha Schlichte, dem ehemaligen Handball-Manager des Zweitligaklubs VfL Bad Schwartau.

Mehr wolle sie dazu nicht sagen. Öffentlich zumindest nicht. Ein Fakt, der deutlich macht, dass sie nun nicht mehr als die Vorzeigeschwimmerin mit dem mehr oder weniger öffentlichen Privatleben wahrgenommen werden will, sondern als eine Frau, die ihre Privatsphäre schützt. Sie bittet darum, das zu respektieren.

Über ihr Karriereende im April 2008 spricht sie ganz offen, wenn auch sehr ruhig, fast zaghaft. Wird erst lauter, wenn sie tiefer im Thema ist. Es ist die Zeit, in der plötzlich kein Team von Chef-, Kraft,-, Lauf-, Sprungkraft- und Athletiktrainern mehr um sie herum war. Viele Monate brauchte die brünette Frau, um sich zu finden, die Furcht vor der ungewissen Zukunft abzulegen. Und zu reflektieren, ihre Erfolge im Schwimmbecken Revue passieren zu lassen. "Ich habe erst sehr viel später, nachdem ich aufgehört hatte, begriffen, was ich da eigentlich geleistet habe", sagt sie und streicht eine lose Haarsträhne hinters Ohr.

Wenn sie von der Zeit ihrer Karriere spricht, über Erfolge und harte Zeiten, dann sagt sie immer "wir", in Bezug auf ihre jetzige Lebensphase benutzt sie den Singular: "Ich dachte immer: So einen Weltcup gewinnen, das kann doch jeder, der richtig, ausreichend und gut trainiert und diszipliniert ist."

Sie lächelt versonnen. Gerade nach ihrem Einstieg in das "normale Leben" wurde es zum Problem, dass sie sich ihrer selbst, ihrer Stärken nicht bewusst war. Jeder, der sie kraftvoll, schnell und vermeintlich mühelos durchs Chlorwasser gleiten, jagen sah, musste den Eindruck einer selbstbewussten Sportlerin bekommen. Und so war es ja auch, bis zum Abschied. "Ich musste erst einmal verstehen, was ich weitergeben kann", sagt sie, "womit ich mein Geld verdienen kann." Alles fiel ja weg, die Siegprämien, die Antritts-, und die Sponsorengelder. Den Entschluss zum Aufhören traf sie übrigens genau wie beim Beginn ganz allein. Seitdem sucht Sandra Völker nach sich selbst - und findet sich immer mehr.

"Ich bin, was ich will", sagt sie, lächelt und drückt ihren muskulösen Rücken ganz gerade.

Den roten Faden gibt Sandra Völker in der Ausgabe am kommenden Sonnabend an Prof. Dr. Maximilian Gege weiter. Völker schätzt den Mitbegründer und Vorsitzenden des Vorstands von B.A.U.M. (Bundesdeutscher Arbeitskreis für Umweltbewusstes Management) deshalb, weil "er aktiv und authentisch den Umweltschutz lebt".