Die Stadt hat offiziell rund 23 Milliarden Euro Schulden - doch für eine ehrliche Rechnung muss der gewaltige Sanierungsstau hinzugerechnet werden

Hamburg. Aus der Nikolaikirche kracht ein fast zehn Kilo schwerer Gesimsblock auf den Gehweg, nachdem es zwischen Behörden jahrelangen Streit um eine teure Sanierung gab. Das einst hoch moderne Hamburger Congress Center (CCH) braucht 100 Millionen Euro, um es vor dem Verfall zu retten. Und in den Straßen zeigen Baustellen und Staus täglich einen offenkundigen Reparaturstau, wie ihn auch Lehrer und Eltern an den Schulen beklagen. Überall in der Stadt, so scheint es, bröckelt die Infrastruktur. Allein den Sanierungsbedarf an den Schulen beziffert die Finanzbehörde mit drei Milliarden Euro. Für Hamburgs Straßen sind Instandsetzungskosten von 2,4 Milliarden notwendig, schätzt der Automobilklub ADAC. Für die Hamburger Universität rechnen Experten mit Sanierungskosten von 800 Millionen Euro. Offensichtlich fehlen Milliarden Euro, um die öffentliche Werte der Stadt zu erhalten.

Beispiel Straßen und Brücken:

Immer wenn das Wintereis von den Straßen verschwindet, zeigt sich der Werteverfall der Hamburger Straßen deutlich. Weil die Fahrbahnen nicht gut genug gewartet werden, dringt Feuchtigkeit durch Risse ein und sprengt bei Frost förmlich Löcher in die Decke. Meist hätten solche typischen Winterschlaglöcher durch regelmäßigen Unterhalt vermieden werden können, sagen Experten. "Noch nie war der Zustand der Hamburger Straßen daher so schlecht wie heute", heißt es beim ADAC. Auch der Hamburger Rechnungshof warnt vor einem Werteverlust des 4000 Kilometer langen städtischen Straßennetzes. Von den ursprünglichen Herstellungskosten von rund 3,9 Milliarden Euro sei derzeit nur noch von einem tatsächlichen Sachwert von 1,5 Milliarden Euro auszugehen. Insgesamt beträgt der Sanierungsstau auf den Hamburger Straßen nach Schätzung des ADAC rund 2,4 Milliarden Euro. Je länger aber mit der Sanierung gewartet wird, desto teurer wird die Reparatur, warnt der Rechnungshof. Denn wenn notwendige Unterhaltungsarbeiten immer wieder verschoben würden, sei irgendwann eine Grundinstandsetzung notwendig - die rund 25 Prozent mehr Kosten verursache als die regelmäßige Pflege der Straße.

Eine Forderung, die auch für die Radwege gelte. Allein der Ausbau des Radwegenetzes reiche deshalb nicht aus, sagt Rechnungshof-Präsident Jann Meyer-Abich. In den Haushalten müssten auch Mittel für deren Erhaltung bereitgestellt werden - was aber ähnlich wie bei Parks oder neuen Spielplätzen nicht geschehe. Ähnlich die Lage an den Hamburger Brücken. Regelmäßig wird ihr Zustand bei einer Art Brücken-TÜV gecheckt und mit Noten auf einer Skala von 1 bis 4 bewertet. Dabei hat sich der Durchschnittswert von 1,6 im Jahr 1995 auf aktuell 2,13 verschlechtert. Mit anderen Worten: Immer mehr Brücken gelten als sanierungsbedürftig. Am schlimmsten ist die Lage derzeit laut Stadtentwicklungsbehörde bei der Deelbögebrücke, die mit 4 bewertet wird, was bereits die Grenze der Standsicherheit bedeute

Beispiel Schulen:

Mancherorts tropfte es wie an der Schule Tegelweg bereits von der Decke, woanders ist der Platz zu knapp, und Hamburger Schüler müssen mit Containern statt mit Anbauten vorliebnehmen. Rund 3 Milliarden Euro beträgt der Sanierungs- und Baustau an den Schulen, räumt selbst die Finanzbehörde ein. Erste Lösungen kündigte der Senat zwar an. Und auch die Finanzbehörde sieht sich auf gutem Wege. Mit dem Sondervermögen Schule und der neu gegründeten und eigenständigen Schulbau GmbH werde das Problem nun angegangen. Behördensprecher Daniel Stricker spricht dabei von Synergieeffekten. Kritiker sprechen indes von Bilanztricks - denn letztlich müsse der Steuerzahler immer wieder aufkommen, wenn für die Sanierung Geld gebraucht werde.

Beispiel Hafenbahn:

Jahrelang forderten die Bahnexperten des früheren Amts für Strom- und Hafenbau Millionen für die Sanierung der Hafenbahn, bekamen doch meist weit weniger aus den Haushalten, als von ihnen kalkuliert wurde. 2008 kam es dann zum großen Aufschrei, weil an vielen Stellen wegen der rotten Weichen und Gleise Züge nur noch im Fahrradtempo rollen durften. In bitterbösen Brandbriefen beschwerten sich Hafenunternehmen über den maroden Zustand des rund 300 Kilometer langen Gleisnetzes. In der jetzt wirtschaftlich selbstständig agierenden Hafenverwaltung Hamburg Port Authority (HPA) zog man die notwendigen Konsequenzen. Sanierungskosten von rund 125 Millionen Euro hatten sich angestaut, die nun in einem Kraftakt investiert wurden. Rund 56 Kilometer des Netzes sind erneuert und immerhin 130 kaputte Weichen ausgetauscht worden. Glückliche Fügung dabei: Aus dem Teilverkauf des städtischen Umschlagsbetriebs HHLA standen für die Aufarbeitung des Sanierungsstaus im Hafen rund eine Milliarde Euro bereit. Spätestens 2013 aber dürfte dieser Betrag aufgebraucht sein. Aus eigener Kraft durch Gebühren und Pachteinnahmen könne das laufende Geschäft im Hafen nur zu 50 Prozent bewältigt werden, kritisiert der Rechnungshof. Zwar gibt es Finanzzusagen des Senats, doch offen ist, wie die Zuweisungen von 2013 an ausfallen werden - oder ob sich dann nicht ein neuer Sanierungsstau aufzubauen beginnt.

Beispiel Kultur:

Wohin ein jahrelanges Verschieben von notwendigen Sanierungsarbeiten führen kann, zeigt das Beispiel Schauspielhaus. Das technische Innenleben, die Bühnenmaschinerie, wurde 1960 eingebaut und zuletzt vor 20 Jahren erneuert. Viel passiert ist seitdem aber nicht, die Elektronik ist veraltet, die 32 Radlager der Drehbühne überlastet. Vor wenigen Monaten dann musste die Vorstellung "Rust - ein deutscher Messias" abgebrochen werden, weil die Maschinerie schlapp gemacht hatte. Als sogar vor einer Schließung des Hauses gewarnt wurde, besann sich die Politik aber dennoch. Im Juni 2012 nun soll die Sanierung des Bühnenturms beginnen.

Auch seine Museumsgebäude hatte Hamburg jahrzehntelang vernachlässigt. 2003 schließlich verkaufte der Senat die Nutzungsrechte an den Museumsgebäuden an die HGV (Hamburgische Gesellschaft für Beteiligungsverwaltung), die sie wiederum an die städtische Betriebsgesellschaft IMPF verpachtete. Die Museen selbst sind seither Mieter, damit aber auch nicht mehr für die Gebäudeerhaltung zuständig. Mit der Einführung dieses sogenannten Gebäudemanagements wurde es möglich, ein umfangreiches Sanierungsprogramm aufzulegen. Es begann im Jahr 2003, hat ein Finanzvolumen von 50 Millionen Euro und eine Laufzeit von zehn Jahren. Schon jetzt sind die meisten Museen mit großem Aufwand saniert worden.