222 Hamburger brauchen ein Spenderorgan. Sie sind schwer krank. Viele hoffen jahrelang darauf, manche warten allerdings vergebens.

Hamburg. Es gab Situationen, und es waren nicht wenige, da habe er fast die Kraft verloren, sagt Rahim Rafi-Bakhsh. Seine schwere Nierenfunktionsstörung trieb den 40 Jahre alten Familienvater immer wieder zur Verzweiflung. Zwei Augenblicke sind ihm als besonders schmerzhaft in Erinnerung geblieben. Als ihm der Arzt vor acht Jahren offenbarte, dass sein hoher Blutdruck seine Nieren ruinieren werde, und dann, als sein Nephrologe ihm vor sechs Wochen die Hiobsbotschaft überbrachte. "Sie sind jetzt ein Dialysefall", sagte der Mediziner. "Sie kommen auf die Warteliste für eine neue Niere. Rechnen Sie mit acht Jahren."

So wie Rahim Rafi-Bakhsh ergeht es 222 Patienten in Hamburg. Sie sind schwer krank. Viele von ihnen warten seit Jahren auf ein Spenderorgan, bundesweit sind es rund 12 000. Sie bangen, sie hoffen - manchmal vergebens.

Dass seine Nieren nach acht Jahren relativer Ruhe nun fast ihren Dienst eingestellt haben, ist für Rafi-Bakhsh eine Katastrophe: gesundheitlich, beruflich und finanziell. "Ich bin doch erst 40 Jahre alt", sagt er mit belegter Stimme. "Wenn ich nicht schnell eine neue Niere bekomme, werde ich meinen Job als Schlosser aufgeben und eine Umschulung machen müssen. Dann würde ich auf einen Schlag 70 Prozent weniger Geld verdienen."

Mit einer prognostizierten Wartezeit von acht Jahren liegt Rafi-Bakhsh ungefähr im Schnitt. Nach Angaben der Techniker Krankenkasse beträgt "die durchschnittliche Wartezeit auf diese lebenswichtige Operation etwa sieben Jahre". Wie Bakhsh hofft das Gros der 222 Betroffenen in Hamburg auf eine neue Niere oder eine neue Leber, 14 Patienten hoffen auf ein neues Herz. Auch fünf Kinder stehen auf der Liste.

Die Zahl der spendebedürftigen Patienten ist in Hamburg, so die Techniker Krankenkasse, seit 2010 leicht gestiegen. Ob und wie viele Patienten wegen der komplizierten EHEC-Verläufe zusätzlich eine neue Niere benötigen, ist nach Angaben des UKE erst im November seriös prognostizierbar.

In Deutschland gaben im Vorjahr nur 1296 Menschen ihre Organe zur "postmortalen Verwendung" frei. Im bundesweiten Vergleich kann sich Hamburg indes sehen lassen - 2010 kamen 34 Spender auf eine Million Einwohner, der Bundesschnitt liegt bei etwa 15 Spendern pro einer Million. "Hamburg hat hier ein sehr gutes Alleinstellungsmerkmal", sagt der Leiter des Transplantationszentrums am UKE, Professor Björn Nashan. "Unser Problem ist aber, dass in Deutschland nur halb so viele potenzielle Spender identifiziert werden wie in Spanien."

Sobald die schwer kranken Patienten auf die Transplantationsliste gelangen, beginnt ein meist zermürbendes Warten, ein quälend langer Leidensweg.

Hier die Gewissheit, dass der Körper irgendwann schlappmachen wird, dort die Ungewissheit, wann und ob überhaupt ein Spenderorgan verfügbar sein wird. Ständig kreisen die Gedanken nur um das eine Thema - die lebensrettende Operation. Entpuppt sich einer der nächtlichen Klinik-Anrufe dann einmal mehr als Fehlalarm, sitzt die Enttäuschung bei den Betroffenen umso tiefer, sagt Bernd Hüchtemann, Leiter der Regionalgruppe im Bundesverband der Organtransplantierten (BDO).

Mehr Fortune hatte Inga Prusse (Name geändert), die in einem kleinen Ort nahe Hamburg lebt - zumindest, was den Faktor Zeit angeht. Eine Thrombose schädigte ihre Leber, da war sie 26 Jahre alt. Im April 1998 verschlechterte sich ihr Zustand dramatisch, nur einen Monat später erhielt sie eine neue Leber, die Ärzte hatten sie als "high-urgent" (höchst dringlich) eingestuft. Doch die Medikamente griffen ihre Nieren an - jetzt benötigt sie eine neue. Das Schicksal ihrer Leidensgenossen bleibt Inga Prusse aber womöglich erspart. "Meine Mutter überlegt, mir eine Niere zu spenden."

Nach Angaben der internationalen Vermittlungsstelle für Transplantationen, Eurotransplant, gibt es in Deutschland und den Niederlanden europaweit die wenigsten Organspender. In beiden Ländern gilt die Regelung, dass zustimmen muss, wer Spender werden will.

Bei der unter anderem in Österreich gültigen Widerspruchslösung ist es genau umgekehrt. In Deutschland befürworten die Gesundheitsminister der Länder nun eine "Entscheidungslösung", wonach jeder Bürger - etwa beim Beantragen des Personalausweises - künftig mit der Frage konfrontiert werden soll, ob er zur Spende bereit ist. "Viel wichtiger wäre es, das Meldewesen in den Krankenhäusern zu verbessern", sagt BDO-Sprecher Burkhard Tapp. "Denn längst nicht jeder Spender wird auch gemeldet."

Rahim Rafi-Bakhsh hat gerade mit einer Bauchfelldialyse begonnen, er sieht etwas Licht am Ende des Tunnels: "Es wird geprüft, ob ein Familienmitglied als Spender infrage kommt." Klappt das nicht, wird auch er sich einreihen müssen in die lange Reihe Schwerkranker, die eine Transplantation benötigen. 1100 Menschen in Deutschland mussten 2010 von der Liste gestrichen werden - sie überlebten das lange Warten nicht.