Karin Brose, 61, ist Studienrätin an der Lessing-Stadtteilschule in Hamburg-Sinstorf

1. Hamburger Abendblatt: Hamburg hat die Verpflichtung, die Schreibschrift zu erlernen, vom kommenden Schuljahr an aufgehoben. Seit Generationen lernen Grundschüler in Deutschland die Schreibschrift. Hat sich das positiv ausgewirkt?

Karin Brose: Es wirkt sich positiv auf ein Kind aus, wenn es gelernt hat, die in seinem Land übliche Schrift zu schreiben und zu lesen. Wer kennt nicht das stolze Gesicht eines Grundschülers, wenn er betont: "Ich kann schon schreiben!" Schrift ist ja nicht nur ein vereinbartes System von Zeichen zur Weitergabe von Informationen, sie ist auch Teil der kulturellen Bildung eines Landes. Und in seiner Schrift drückt sich ein Mensch aus. Wie schön ist ein handgeschriebener Liebesbrief? Kann man sich den getippt vorstellen?

2. Und ohne diese klassische Schrift droht der Untergang des Abendlandes?

Brose: Zumindest wird Beliebigkeit dazu führen, dass dieses Kulturgut verschwindet. Es ist schon schlimm genug, dass wir in unserem Land einen Bildungs-Föderalismus haben und Kinder in jedem Bundesland etwas anderes lernen. Bitte nicht auch noch an jeder Grundschule in Hamburg!

3. Die Schreibschrift hat sich im Laufe der Jahrzehnte entwickelt. Eignet sich die von Druckbuchstaben abgeleitete "Grundschrift" als Weiterentwicklung?

Brose: Ich finde, es gibt überhaupt keinen Grund, die Schreibschrift zu vereinfachen oder sogar abzuschaffen. Das empfinde ich eher als Rückschritt.

4. Handys, iPads und Computer gehören zum Alltag von Schülern. Viele Berufstätige erledigen ihre Arbeit überwiegend elektronisch und müssen gar nicht mehr von Hand schreiben. Brauchen wir die Schreibschrift überhaupt noch?

Brose: Wir werden immer Schreibschrift brauchen, auch wenn wir immer mehr tippen. Manche Schüler können ohne Taschenrechner nicht mehr multiplizieren oder dividieren. Die Wegnahme der "Schreibhürde" wird nur zu weiterer Kompetenzminderung führen.

5. Viele Grundschulen haben um neue Regeln zur Schrift gebeten, um sich der Realität anzupassen, weil die Schüler zur Druckschrift neigen. Machen es sich die Schulen zu einfach?

Brose: Je niedriger wir das Anforderungsprofil fassen, umso dramatischer wird das Bildungsniveau sinken. Es kann also nicht Ziel sein, mehr Schüler über eine niedrige Hürde zu bekommen, die sie auch noch selbst geschaffen haben. Es muss auch für die Kinder und Jugendlichen ein Anreiz bleiben und der Stolz empfunden werden dürfen, eine hohe Hürde überwunden zu haben. Ob Druckschrift Realität in der Schule ist, bestimmen nicht die Schüler.