Die Große Bergstraße galt in den 60er-Jahren als Deutschlands erste große Fußgängerzone und wurde als “Paradies für die Hausfrau“ gefeiert.

Hamburg. Billigläden, ein Secondhand-Shop des Roten Kreuzes, Schmuddelecken und dazu die Gebäude-Ästhetik der 70er-Jahre mit Kasten-Charme und Waschbeton-Fassaden: Gerade wenn wie jetzt der Winterwind über den schmutzigen Schnee der Großen Bergstraße fegt, fällt es schwer, sich an den früheren Glanz dieser Straße zu erinnern, der mit dem Neubau von Ikea wieder zurückkehren soll.

In den 60ern wurde die Straße in ihrem heutigen Erscheinungsbild gebaut und galt damals als die erste große Fußgängerzone der Republik. Eine moderne Einkaufsmeile, die in die Bresche gebaut wurde, die die Fliegerbomben hier im Herzen Altonas geschlagen hatten. "Das war eine wunderbare Einkaufsstraße", erinnert sich Anneliese Miau, die in den frühen 70er-Jahren nach Altona gezogen war. Damals standen noch Geschäftspavillons in der Mitte, auch ein Fischgeschäft, Blumenläden, ein Cafe - das alles habe es damals dort gegeben und ist heute verschwunden, sagt sie und blickt versonnen auf die breite Straße mit dem riesigen Frappant-Klotz. Anfang der 70er-Jahre wurde das rund 30 000 Quadratmeter große Geschäfts- und Büro-Hochhaus gebaut.

In den vergangenen Jahren stand der Klotz meist leer, zuletzt hatten Künstler und Kreative provisorisch Büros und Galerien eingerichtet. Jetzt will der Möbelkonzern Ikea ihn abreißen. Ein trauriges Ende für ein Gebäude, das einmal als neuer Treffpunkt der Stadt gefeiert wurde und schicksalhaft mit der Großen Bergstraße verbunden ist.

Der 24. November 1966 gilt als Geburtstag dieser Fußgängerzone. Dort sei nun ein "neues Paradies für die Hausfrauen geschaffen worden", hieß es damals im Abendblatt. Pläne für eine neue Straße hatte es bereits in den 50er-Jahren gegeben. 1956 wurde dazu die "Verordnung über die Gestaltung von Neu-Altona" verabschiedet. Heute würden das Planer wohl "Masterplan AltonaCity" nennen. Maßgeblich investierte dort der Hamburger Haus- und Finanzmakler Hermann Friedrich Bruhn, der sich auch etliche Grundstücke sicherte und Mieter suchte.

Im Oktober 1973 kam dann Versandhauskönig Josef Neckermann persönlich, um in der Großen Bergstraße sein neues Warenhaus im Frappant-Neubau einzuweihen. Ein "überdimensionales Schneckenhaus über fünf Geschosse mit zahlreichen hübschen Einkaufstraßen", so wurde es seinerzeit beschrieben. Reden wurden gehalten, man pries die Architektur - ganz so wie heute bei der HafenCity auch.

Gastronomie und kleine, exquisite Geschäfte prägten damals das Frappant. "Außen Beton, innen mit viel Holz und Messing" - so beschrieb ein Zeitzeuge den Komplex. Das "Restaurant Kasak" bot russische Spezialitäten. Und natürlich Steaks. Elf bis 21 Mark zahlte der Gast dafür. Im Küchenladen "Pott&Pann" kauften die Altonaer für ihre neuen Einbauküchen ein, die Kleinen wurden aus der Kinderboutique "Plüs`chen" versorgt. Und die Diskothek "White Club" im Haus wurde als "schickste" der Stadt beschrieben. Man trank hier schottischen Whisky für sechs Mark und freute sich über das moderne Ambiente der Straße. Ältere Herrschaften grübelten indes im Café Mozart bei Torte (Stück 1,90 Mark) und einer ordentlichen Tasse Kaffee (für die man nur 1,40 Mark zahlte) und blieb schön sitzen, weil "To Go" noch nicht erfunden war. Jedenfalls nicht in der Großen Bergstraße.

Alles war also schön hier; und wer in den Archiven wühlt, stößt erst in den 80er-Jahren auf erste ernste Krisenanzeichen: "Neuer Charme für alten Beton" - unter dieser Überschrift nahmen sich Städtebau-Studenten die Straße vor. Neue "Raum-Erlebnisse" wollten sie dort schaffen und zur Umgestaltung anregen. Erstmals sprachen Politiker von einer "Belebung", die die Straße vertragen könnte. In den 90er-Jahren setzte dann der Niedergang der Straße ein, über den heute immer noch diskutiert wird. Autoverkehr rein, Autoverkehr raus, Pflaster neu, Pflaster wieder raus, Busspuren rein - es gab immer wieder hilflose Versuche des Bezirks, den Wandel zu schaffen. Und trotz allem versuchten sich immer wieder neue Investoren. Wobei das Frappant-Gebäude exemplarisch für ein wildes Pokerspiel um Millionen und Aussichten auf mehr steht: Die Süddeutsche Bodencreditbank AG erwog 1997 bereits einen Umbau für 40 Millionen Mark, weil der aktuelle Inhaber und ihr Gläubiger, die Amsterdamer Firma Betonbyggen, damit in Schieflage geraten waren, wie man heute schreiben würde.

Ein Jahr später musste das Frappant zwangsversteigert werden. Einziger Bieter: ein Tochterunternehmen der Südbodenkredit. Heute ist das Gebäude immer noch in Bankenhand und gehört einer Tochter der Hypo Real Estate Bank, die aus der Südbodenkredit hervorging. Ein Unternehmen, das wohl nicht nur in Schieflage, sondern in Steillage geraten ist und vom Staat übernommen werden musste.

Interessant sind die Summen, die in den vergangenen zehn, zwölf Jahren im Frappant-Monopoly im Spiel waren: Noch Ende der 90er-Jahre gab es Versuche, das Gebäude für etwa 140 Millionen Mark in einen Immobilienfonds überzuleiten. Bei der Zwangsversteigerung ging es um 83 Millionen Euro. Immer wieder versuchten auch Hamburger Immobilien-Kaufleute das Objekt zu übernehmen. "Wir haben einmal 53 Millionen Mark geboten", sagt ein Kaufmann, der nicht genannt werden möchte. Der Karstadt-Konzern, der Neckermann geschluckt hatte, soll sogar zwölf Millionen Mark Ablöse geboten haben, um vorzeitig das Frappant verlassen zu können. Erst 2003 endete der Vertrag, und Karstadt konnte gehen. Ikea soll etwa acht Millionen Euro bezahlen - und kann noch vom Kaufvertrag zurücktreten. Sollte aus den Plänen nichts werden, dürfte die von Künstlern besetzte Immobile noch weniger wert sein: "Da sind Millionen verbrannt worden", so der Kaufmann.