In den 80er-Jahren war die Hansestadt noch ein ökologischer Sanierungsfall, heute jedoch ist Hamburg die Umwelthauptstadt Europas.

Hamburg. War früher wirklich alles besser? Es ist noch keine drei Jahrzehnte her, da war Hamburgs Luft so staubig wie die Luft von Detroit. Das Baden in Elbe und Alster galt als ein gesundheitliches Risiko; im Hafenschlick unweit von Industrieanlagen fanden sich mehr Schwermetalle als in manchem Bergwerk. Milch aus den Vier- und Marschlanden durfte zeitweise so wenig verkauft werden wie Elbfisch.

Jeder dritte der 140 000 Stadtbäume galt als sterbenskrank. Dioxin- und andere Giftfunde schockierten die Öffentlichkeit. Auf Spielplätzen wurden die Grenzwerte für Blei, Zink, Cadmium und Arsen überschritten. Und im September 1979 kam gar ein Achtjähriger beim Spielen mit Chemikalien vom Stoltzenberg-Gelände ums Leben - später stellte sich heraus, dass der Firmenhof "ein Selbstbedienungsladen für Sprengstoff und Gift" war.

Früher war eine bleierne Zeit, im wahrsten Sinne des Wortes. "Jeder Zufluss wirft Blasen zartleuchtender Chemikalien auf, angewidert spucke ich von der kahlen Uferterrasse herab", schrieb der Schriftsteller Durs Grünbein 1979 in seinem Gedicht "An der Elbe". Der einst fischreichste Fluss Europas war zur Kloake verkommen: Von Ostkombinaten und Westkonzernen in seltener Eintracht als Abflusskanal missbraucht, wand sich der stinkende Strom mit einer Todesfracht von täglich 28 Tonnen Schwermetallen Richtung Nordsee. Die Gewässergüte, die sonst in sieben Kategorien von "unbelastet" bis "übermäßig verschmutzt" reichte, musste für den einst fischreichsten Fluss Europas um eine neue, achte Stufe erweitert werden. Diese Stufe hieß kurz und knapp "ökologisch zerstört".

+++ Abendblatt-Umwelt-Serie: So grün ist die Hansestadt +++

"Das kann sich heute keiner mehr vorstellen", erinnert sich Fritz Vahrenholt, der wie kein Zweiter den Wandel miterlebt und -gesteuert hat. 1983 veröffentlichte er den Geo-Umweltatlas "Die Lage der Nation".

Ein Jahr später wechselte er als Staatsrat zur Hamburger Umweltbehörde, die er 1991 als Präses übernahm und bis 1997 leitete. Der heutige RWE-Manager erinnert sich. "1984 war heftig - wir standen mit Altlasten, Fischsterben und Badeverbot immer wieder in den Schlagzeilen." Der Umweltstaatsrat kämpfte an vorderster Front und hatte viele Schlachten zu schlagen.

Unvergessen in der Hamburger Geschichte blieb das Fahrverbot, das er verhängen musste. "1987 hatten wir im Winter eine solche Smoglage, dass wir für acht Stunden die ganze Stadt gesperrt haben, dann drehte Gott sei Dank der Wind." Dieser 3. Februar 1987 hat sich in das kollektive Gedächtnis der Stadt eingebrannt. 620 Polizisten sperrten 80 Bundes- und Landstraßen rings um die Innenstadt ab. Kein Auto ohne Ausnahmegenehmigung durfte mehr in die City fahren, die Straßen waren wie leer gefegt, viele Menschen trugen Atemmasken. Was anmutet wie der Plot eines Katastrophenfilms, war Hamburger Realität; eine Wirklichkeit, die nicht einmal 25 Jahre zurückliegt.

So verwundert es nicht, dass Umweltdebatten in den 80er-Jahren schnell zu Weltuntergangsdebatten mutierten - im Jahrzehnt von Waldsterben, Tschernobyl und der Chemiekatastrophe von Bhopal mit mehreren Tausend Toten war Naturschutz für viele eine Überlebensfrage. Entsprechend heftig und emotional fielen die Debatten und Demonstrationen aus. Sie gipfelten in der Schlacht um Brokdorf im Februar 1981 und der Hysterie nach dem Super-GAU im ukrainischen Atomkraftwerk Tschernobyl.

Die Ängste und Sorgen der Menschen und das stete Wachsen der grünen Partei zwangen die Politik zu einem nachhaltigen Umlenken: Autos bekamen geregelte Katalysatoren, Schlote Entschwefelungsanlagen, die Kommunen Kläranlagen. Es war die Zeit des technischen Fortschritts in der Umweltpolitik.

Schneller als von den regierenden Pessimisten in Medien und Organisationen geglaubt, besserte sich die Lage der Nation. Das weltpolitische Ereignis Mauerfall dynamisierte die ökologische Erneuerung zusätzlich.

Die Elbe erlebte fast eine Wunderheilung. Dank Betriebsstilllegungen, Produktionsumstellungen und Sanierungsmaßnahmen in Industrie und Bergbau konnte sich der geschundene Fluss erholen. Überall in Tschechien und Ostdeutschland entstanden Kläranlagen. Auch im Westen setzte ein Umdenken ein - noch in den 80er-Jahren missbrauchten Hamburger Firmen die Elbe als billigen Ab-Fluss, inzwischen haben sich die meisten Betriebe vom "Saulus zum Paulus" gewandelt. Auch die Modernisierung des innerstädtischen Sielnetzes und der Bau von Mischwasserrückhaltebecken schonen die Elbe und ihre Zuflüsse.

Zugleich verbesserte sich die Luft- und Bodenqualität. So liegt der Gehalt an Schwefeldioxid heute nur noch bei einem Zehntel des Wertes von 1985. "Gründe für den starken Rückgang sind unter anderem die Sanierung von alten Kraftwerken, der Einbau von Filtern und die Umstellung auf schwefelarmes Heizöl und auf Erdgas", sagt Volker Dumann, Pressesprecher der Umweltbehörde. Deutliche Rückgänge gab es auch beim Schwebstaub, während bei den Stickoxiden zuletzt der positive Trend stoppte und sich die Lage sogar wieder verschlechtert - wegen der Zunahme der Dieselfahrzeuge. Dumann betont: "Das ist derzeit unser größtes Problem." Insgesamt kommt aber auch Dumann zu einer positiven Einschätzung.

"Wir leben auf einen Insel der Seligen", sagt Vahrenholt. "Wir haben die Altlasten im Griff, haben einen beeindrucken Anteil an Naturschutzgebieten und reines Trinkwasser." Ausländer nennten Hamburg gar die "Stadt im Wald", weil sei beim Anflug erst so spät die Häuser zwischen dem Grün entdeckten.

Ganz so euphorisch sieht sein Nachfolger im Amt des Umweltsenators, Alexander Porschke, die Lage der Stadt nicht. "Beim technischen Umweltschutz haben wir viel geschafft", so der Präses der Behörde von 1997 bis 2001. "Aber besonders im Naturschutz muss sich noch viel tun", betont der heutige Nabu-Vorsitzende.

Ein besonderes Problem sei der Flächenverbrauch Hamburgs. "Die Handelskammer beansprucht 600 ha für Industrie- und Gewerbeflächen und bezeichnet den Widerstand gegen diese Versiegelung als Partikularinteresse." Zwar seien auf dem Papier relativ viele Naturschutzflächen ausgewiesen worden, so Porschke. "Aber Frösche und Vögel leben nicht auf dem Papier, sondern brauchen konkrete Pflege- und Entwicklungsmaßnahmen in ihren Lebensräumen." In Hamburg stünden zurzeit 34 Prozent aller Brutvögel, 39 Prozent der Säugetiere, 55 Prozent aller Farn- und Blütenpflanzen und 83 Prozent der Tagfalter auf der Roten Liste der gefährdeten Arten.

"Der Senat steht also in der Pflicht zu handeln", betont Porschke. Stattdessen aber befürchtet er eine Ignoranz gegenüber Umweltfragen unter dem neuen SPD-Senat und verweist auf die Elbvertiefung oder den Abschied von der Stadtbahn. "Wir haben ein generelles Problem damit, wie der Hafen wieder mit großen Wachstumsfantasien in den Mittelpunkt gestellt wird - wohin soll das noch führen?", fragt Porschke.

Sein Amtsvorgänger hält derlei Zweifel für unangemessen. Eine Stadt wie Hamburg könne wie alle Metropolen und Hafenstädte der Welt nicht nachhaltig sein, wenn es um Energie-, Rohstoff- und Nahrungsmittelversorgung gehe. Er geht mit der Umweltbewegung hart ins Gericht. "Zugespitzt kann man sagen: Der Umweltschutz hat sich zu Tode gesiegt. Diese Erfolge haben uns die Themen genommen, nun kommt man zu Kleinigkeiten und übertreibt", merkt Vahrenholt an. Er sieht die Stadt, vergleiche man die Sanierung der Umwelt mit einem Marathonlauf, längst auf der Zielgeraden. Porschke hingegen wähnt die Stadt in diesem Bild erst bei Kilometer 20.

Und doch verbindet beide Stolz auf das Geleistete, Stolz auf die Ehrung als Umwelthauptstadt, zu deren Kür sie beigetragen haben. "Unter den Blinden ist der Einäugige König", sagt Porschke, während Vahrenholt Hamburg gar als Modell für Europa sieht. "Das ist ein tolles Ergebnis, das die Bürger feiern sollen. Denn sie haben es schließlich auch bezahlt."

Auch Dumann meint, dass alle Parteien ihren Anteil an der Umwelthauptstadt haben: "Der Erfolg hat viele Väter. Vahrenholt und die SPD haben sich um den technischen Umweltschutz verdient gemacht, Porschke und die GAL um den Nationalpark Wattenmeer, die CDU mit dem Klimaschutzkonzept."

Tatsächlich atmen die Hamburger heute wieder reine Luft, bezogen auf die Schadstoffe sind Elbe und Alster wieder Badegewässer. Der Sand auf Spielplätzen ist keine Altlast mehr, sondern kann ohne Bedenken verspeist werden. Und von den 245 000 Straßenbäumen gelten heute nur noch drei Prozent als krank. Die bleierne Zeit ist Geschichte.