Das Hamburger Kollektiv KüchenKonzerte lädt Bands und Publikum zu sich nach Hause ein Die TV-Show ist ein immer wieder heißes Experiment.

Hamburg. Gute Privatpartys werden mit zunehmendem Alter immer seltener. Vermutlich weil der Verschmutzungsgrad von Wohnung und Körper in jungen Jahren einfach mit mehr Freude hingenommen wird. Gut waren die Partys immer dann, wenn sich die Nachbarn um fünf Uhr in der Früh noch nicht beschwert hatten, obwohl aus zwei Anlagen sehr unterschiedliche, aber gleich laute Musik tönte. Stereo eben. Bevor sich der Feierimpuls durch die ganze Wohnung ausbreitete, begann die Geselligkeit in der Küche. Nicht nur das Klischee verlangt es, dass sich die besten Plaudereien zwischen Kühlschrank und Kochplatte ereignen. Es ist ein Fakt, der naheliegt. Bier, Büfett, Herren, Gedecke, Damen, Dramen, alles da.

Das Hamburger Kollektiv Konspirative KüchenKonzerte hat dieses soziale Phänomen seit 2009 als erfolgreiches TV-Konzept kultiviert. Alle drei Monate räumen Marco Antonio Reyes Loredo und Kerstin Schaefer ihr Loft in Wilhelmsburg, um es drei Abende lang mit Musik, Kunst und Kochkultur zu bespielen. Komprimiert entstehen so drei Folgen ihrer Gastro-Pop-Art-Show, die beim Lokalsender Tide TV zu sehen sind. Diesen Sonnabend um 20 Uhr wird die einstündige Sendung mit der Berliner Elektroband Egotronic und dem Hamburger Künstler Thomas Ehgartner serviert. Angerichtet wurde die 18. Ausgabe der Konspirativen KüchenKonzerte bereits im November.

"Wir stellen hier das Konzept Fernsehen auf den Kopf", sagt Kerstin Schaefer, eine kleine Frau mit strubbeligen kurzen Haaren und markanter Brille, die zugleich Redaktionsleiterin und Pressesprecherin des Projekts ist. Mit ihrem Klemmbrett unterm Arm geleitet sie die eintrudelnden Gäste - Freunde der Crew, Geld- und Sachspender sowie ausgesuchte Fans - zunächst in den "Zusammenrottungsraum" im Keller. Auf alten Sofas mit Blick auf Abstellräume kann das Publikum dort bei Kaltgetränken warmlaufen. Geschlossen wird die 70-köpfige Partyherde dann in das zum Studio umfunktionierte Loft im ersten Stock geleitet.

Eine Etage höher, in einer Wohnung, die das Team mietfrei als Schaltzentrale zwischennutzen kann, herrscht kurz vor der Aufzeichnung geschäftiges Grundrauschen. Laptops surren auf Biergarnituren. Egotronic-Sänger Torsun sitzt noch in der Maske, die provisorisch neben einer Küchenspüle errichtet wurde.

"Unsere Sendung ist alle drei Monate erneut unsicher", sagt Reyes Loredo, der die Show nicht nur moderiert, sondern sie auch "aus Unzufriedenheit über das Fernsehprogramm" mit aus der Taufe gehoben hat. "Wir sagen jedes Mal, wir machen das nicht mehr." Denn die Konspirativen KüchenKonzerte bringen nicht nur im wahrsten Sinne des Wortes Leben in die Bude. Sie sind auch ein organisatorischer und zeitlicher Kraftakt. Von den Kameraleuten bis zum Beleuchter arbeiten alle ehrenamtlich. Bisher ist es aber noch immer weitergegangen. Ein Stipendium von Studio Hamburg für das Haus der jungen Produzenten bietet dem Kollektiv derzeit für 18 Monate immerhin eine Infrastruktur. Doch verwunderlich ist, dass sich bisher kein reichweitenstärkerer Sender das Crossover-Format geschnappt hat. Immerhin waren die Konspirativen KüchenKonzerte bereits nach sieben Folgen für den Grimme-Preis nominiert. Warum, wird schnell klar, nachdem im Studio die erste Klappe gefallen ist.

Brummkreiselig sprintet Reyes Loredo zwischen Bühne und der Küche über Eck hin und her. Die Band hebt derweil an zum krawalligen Sound, bearbeitet Mikro und Keyboardtasten. Über der Chromspüle baumeln Zwiebeln am Hacken. Einen Meter weiter hängen Pilze an der roh verputzten Wand. Aber nicht zum Essen, sondern in Gold gefasst. Die Kunst ist aufgetischt. Doch das tatsächliche Gericht des Tages muss "der stumme Diener Enno", Reyes Loredos Sidekick und Handlanger, noch zubereiten. Auf dem Speiseplan steht "irgendwas mit Lamm", in Wraps verpackt. Eine Minikamera blickt in die Töpfe, die Reyes Loredo flugs durchrührt, bevor er appelliert: "Schmeißt die Stühle aus dem Fenster!" Eine mutige Aufforderung für die eigenen vier Wände. Das Publikum verhält sich auf den rund 70 Quadratmetern zwischen Bühne, Küche und dem Regal mit Büchern und Brettspielen aber noch recht handzahm, es schwenkt gut gelaunt Bierknollen zu den Slogans von Egotronic.

"Hier regiert das Lustprinzip", schreit Torsun ins Mikro. Künstler Ehgartner sitzt derweil gediegen im Anzug am Edelstahltresen bei einem Glas Champagner. Eine chaotische Gleichzeitigkeit. Beiläufig finden immer wieder auch Interviews statt. Küchengespräche, über Punk zum Beispiel. "Nur die Subkultur hat das zu bieten, was mich erfüllt", sagt Ehgartner.

Der Moderator macht mit seinen Gesprächspartnern Ausflüge zum Playstationspielen im Keller und zur Fahrt im nahen Lastenaufzug. Die Atmosphäre ist angenehm unprofessionell. Inklusive Witzen über das zerfließende Make-up der Studiogäste.

Die Stimmung steigt. Torsun springt in die Menge, Salatdressing fliegt, auf dem Bühnenteppich schwimmen Knoblauchzehen in einer Bierlache. Rosmarinduft durchzieht den Raum. Der Hunger wächst und wird zum Finale gestillt. Die Wraps schmecken köstlich.

"Normalerweise sitzen die Zuschauer an Tischen, aber das hätte bei so impulsivem Elektropunk nicht gepasst", sagt Schaefer. Was aber immer gleich bleibt, ist der Morgen danach. "Ich kann mit der Kunst frühstücken", sagt sie und lacht glücklich. Der Unordnung Lohn. Und da die Nachlese ja oft besonders Spaß macht, strahlt das KüchenKollektiv seine Show nicht nur bei Tide aus, sondern stellt die Folgen zwei Wochen später auch auf seine Webseite. Eine gepflegte Variante, sich die Party auch in die eigene Küche zu holen.