Prof. Dr. Harry Friebel, 64, Sozialwissenschaftler und Experte für Gender- und Männerforschung

1. Hamburger Abendblatt:

Es gibt kaum Frauen in deutschen Chefetagen, aber sehr viele in Erziehungs- und Pflegeberufen. Warum kommt unsere Gesellschaft nur schwer aus dem traditionellen Rollenverständnis heraus?

Harry Friebel:

Es ist eine Frage des fortbestehenden Glaubens an eine grundlegende Verschiedenheit der Geschlechter. Dieser Glaube ist das alltägliche Deutungsmuster einer historisch erklärbaren männlichen (Vor-)Herrschaft.

2. Frauen haben es in vielen Branchen schwer, Karriere zu machen. Kennen auch Männer dieses Gefühl?

Friebel:

Es gab vor rund 15 Jahren einen jungen Mann in Norddeutschland, der wollte "Hebamme" werden. Er hatte große Schwierigkeiten, in diesem Berufswunsch akzeptiert zu werden.

3. Sind Frauen vielleicht die besseren Erziehungs- und Pflegekräfte und weniger talentiert im Autoreparieren und Bierbrauen?

Friebel:

Diese Frage - so gestellt - kann nur bedingt ernst genommen werden. Man müsste fragen, warum Frauen weit häufiger im Erziehungs- und Gesundheitsbereich gesehen werden, warum Männer häufiger bei der Autoreparatur oder beim Bierbrauen gesehen werden. Dann kann sie vermutlich jede und jeder beantworten. Es gehört offensichtlich zum Alltagswissen, dass wir zu pflegende Personen lieber Frauen anvertrauen sollten, dass wir unser Auto lieber in die Hände von Männern geben sollten. Dieses Wissen ist Ausdruck einer symbolischen Herrschaft, in der uns die geschlechtstypische Arbeitsteilung als Naturschicksal vorgegeben wird, damit wir die Tatsache, dass diese Arbeitsteilung sozial gemacht wurde, nicht wahrnehmen.

4. Rollenklischees klingt so negativ. Bringen sie auch Vorteile?

Friebel:

Also wenn man mich als "zerstreuten Professor" belächelt, dann kann ich zurücklächeln, weil mich das vom Unbedingt-funktionieren-müssen etwas entlastet. Wenn aber am Stammtisch das Geschlechtsrollenklischee dominiert, wonach der Mann für die Sicherheit des Familienunterhalts zuständig ist, die Frau für Haushaltsführung und Kinderbetreuung, dann finde ich das gar nicht mehr witzig. Wenn man wahrnimmt, dass Millionen Frauen für den Familienunterhalt erwerbstätig sind, ist dieses Klischee Ausdruck einer männerbündischen Dummheit und es wertet Frauen ab.

5. Gibt es Länder, die uns bei der Rollenverteilung als Vorbild dienen könnten?

Friebel:

Ganz pauschal: Schauen wir uns die skandinavischen Länder an. Dort ist es etwa so, dass Erwerbstätigkeit von Müttern und gute (öffentliche) Kleinkinderbetreuung und -erziehung keinen Widersprich darstellen. Obwohl die Frauenerwerbsquote dort erheblich höher ist als in Deutschland, ist die Geburtenrate auch höher als in Deutschland.