Die Tage Mubaraks könnten gezählt sein, aber das Militär bleibt.

Die schwelende ägyptische Krise ist eine Chronologie der vertanen Chancen. Drei Jahrzehnte lang hatte Präsident Husni Mubarak die Gelegenheit, mehr Demokratie, Pluralismus und Bürgerfreiheit zu wagen. Stattdessen versteinerten dieser moderne Pharao und sein Herrschaftssystem in tyrannischer Autokratie. Nun gibt er hastig ein paar Reformen in Auftrag - doch man denkt an Gorbatschows Worte: Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben.

Berichte, das ins Ausland transferierte Privatvermögen der Familie Mubarak würde ausreichen, die Milliardenschulden Ägyptens zu tilgen, mögen übertrieben sein. Doch sie geben einen Hinweis auf eine wichtige Quelle des Volkszorns. Der Reichtum Ägyptens aus Öl und Tourismus ist nie beim einfachen Volk angekommen, sondern weitgehend in der Oberschicht versickert, zu der führende Militärs gehören.

Mubaraks Tage mögen bald gezählt sein, die seines Systems sind es noch keineswegs. Eine organisierte demokratische Opposition existiert nicht. Friedensnobelpreisträger Mohammed al-Baradei überschätzt seine Popularität, wenn er sich bereit zur Machtübernahme erklärt.

Allein die Muslimbruderschaft verfügt über genügend Wählerpotenzial und Strukturen, um aus dem Stand ein gewichtiges Wort mitreden zu können. Die Bruderschaft ist indessen kein monolithischer Block; große Teile sind durchaus gemäßigt, doch ihre Ränder fransen zum islamistischen Terrorismus hin aus. Es ist überdies äußerst unwahrscheinlich, dass die angesehenen Militärs, die das eiserne Korsett des Staates bilden, eine solche Machtübernahme hinnehmen würden - allenfalls eine begrenzte Regierungsbeteiligung.

Ägypten ist nicht Afghanistan oder der Iran. Und es ist viel zu stark auf den Westen angewiesen. Die Militärs wissen das und werden - Demokratie hin, Reformen her - auf absehbare Zeit weiter die beherrschende Kraft bleiben.

Die Revolution in Ägypten ist aber weder religiös noch politisch-ideologisch motiviert, sie ist im Kern eine soziale Protestbewegung vor allem junger, perspektivarmer Menschen - wie in den anderen verkrusteten und korrupten Autokratien von Algerien bis zum Sudan. Was in dieser Region geschieht, kann mit den Revolutionen in Osteuropa um 1990 verglichen werden. Auch damals herrschte Angst vor einem Blutbad. Niemand kann garantieren, dass es in Ägypten nicht zur Eskalation kommt. Aber bislang haben sich zumindest die Generale in Kairo sehr verantwortungsbewusst verhalten.