Der Schutz unserer Freiheitsrechte reicht von der Beschaffung der Informationen bis zu ihrer Verbreitung, schreibt der FDP-Politiker zum Thema WikiLeaks

WikiLeaks fordert heraus. Die amerikanische Regierung geißelt die Enthüllungsplattform, weil sie die Sicherheit beeinträchtige und Menschen gefährde. Amazon löschte die Internetseite, der Zahlungsdienstleister PayPal fror Konten ein und die Kreditkartenunternehmen Mastercard und Visa kündigten der Enthüllungsplattform den Vertrag.

Im Gegenzug organisierten Unterstützer virtuelle Sitzstreiks mit der Folge, dass Mastercard und Visa für seine Kunden über das Internet zeitweise nicht mehr erreichbar waren. Viele Fragen stehen also zur Debatte.

Darf WikiLeaks in nie gekanntem Ausmaß und zeitlich schneller Abfolge geheime Dokumente von Regierungen der Öffentlichkeit zugänglich machen? Wird WikiLeaks zensiert, wenn die amerikanische Regierung auf große Unternehmen Einfluss nimmt, um der Plattform den Zugang zum World Wide Web zu erschweren? Und darf hierauf mit Cyberattacken gegen Unternehmen reagiert werden? Der Reihe nach.

Keine Regierung erlebt erfreuliche Stunden, wenn gut gehütete Geheimnisse öffentlich werden. Aber damit müssen Regierungen leben. Deswegen ist die Freiheit der Presse geschützt. Dieser Schutz reicht von der Beschaffung der Informationen bis zur Verbreitung der Nachricht und der Meinung.

Ein Journalist muss seine Informationsquelle nicht preisgeben. Dieser Schutz ist unentbehrlich. Er ist der Schlüssel zur Informationsquelle. Sie fließt nur dann ergiebig, wenn sich der Informant auf den Quellenschutz verlassen kann. Eine Quantifizierung gibt es nicht. Drei geheime Dokumente ja, zweihunderttausend nein; Watergate ja, Depeschen des amerikanischen Außenamtes nein. Der Quellenschutz ist umfassend. Auch für WikiLeaks, wenigstens bei uns.

Zur Pressefreiheit gehört der Schutz vor Zensur. Andernfalls hätte es der Staat in der Hand, darüber zu entscheiden, welche Nachricht und welche Meinung das Licht der Öffentlichkeit erblickt. Es muss auch als Zensur angesehen werden, wenn Druck auf Unternehmen ausgeübt wird, um die Verbreitung einer Nachricht oder einer Meinung zu unterbinden. Amazon und Co. haben uns noch etwas anderes vor Augen geführt.

Die Frage, wem das Netz gehört, ist nicht entschieden. Große Konzerne mit Zugriff auf zentrale Schnittstellen im World Wide Web und gerichtsfesten Geschäftsbedingungen können offensichtlich entscheiden, wer seine Inhalte verbreiten darf und wer nicht. Hieraus erklärt sich auch der virtuelle Sitzstreik, der sich im Netz anonym organisiert und zeitweise die Internetseiten von Mastercard und Visa stillgelegt hat. Hochstilisiert zum ersten Cyberkrieg ist es eine Kraftprobe um die Frage, wem das Internet tatsächlich gehört und wie frei es ist. Diese Frage wird sich an WikiLeaks nicht entscheiden. Sie wird auch nicht durch einen Cyberkrieg beantwortet. Entscheiden müssen in rechtsstaatlicher Demokratie Gerichte.

Der Plattform kommt aber die Funktion eines Katalysators zu. Die Auseinandersetzung zeigt, wie verletzlich auch ein konstitutionelles Grundrecht wie die Pressefreiheit immer noch ist.

Wir haben uns daran gewöhnt, uns jederzeit nahezu überall informieren zu können. Wie schnell dieses Recht auf dem Spiel steht, führt uns die aktuelle Entwicklung vor Augen. Ist die Blamage oder das zu Tage geförderte Geheimnis groß genug, steigt der Wille von Regierungen, auch zentralen Freiheitsrechten zu Leibe zu rücken. Dabei hat sich im Kern wenig geändert. Allein die Dimension ist eine andere geworden. Nie sind in so kurzer Zeit so schnell und in einer solchen Menge vertrauliche Regierungsdokumente veröffentlicht worden. Diese Dimension hat eine zweite Seite. Dokumente sind als Datensätze vielen schnell und vor allem komprimiert zugänglich. Damit steigt die Chance, sie zu kopieren und weiterzureichen. Es ist nicht die Aufgabe von WikiLeaks, diese Datensätze für die US-Regierung zu schützen. Deswegen ist es wünschenswert, die Diskussion zu ihrem Kern zurückzuführen. Es ist ein altes Katz-und-Maus-Spiel.

Geheimnis und Aufklärung gehören zusammen. Das Recht, Informationen und Meinungen frei zu veröffentlichen, ist konstitutionell für jede Demokratie und für ihr Funktionieren unverzichtbar. Es wäre besser gewesen, die US-Regierung hätte die neuerliche Scharte durch WikiLeaks ausgehalten.

So haben wir gelernt, dass die Freiheitsrechte auch in einer funktionierenden Demokratie immer von Neuem verteidigt und geschützt werden müssen.

Christian Ahrendt, 47, ist seit 2009 einer der vier parlamentarischen Geschäftsführer der FDP-Bundestagsfraktion.