Skandale um Frauen und Drogen bei den Stones - alles schon bekannt? Wohl nicht, wie ein erster Blick in die Memoiren von Gitarrist Richards erkennen lässt.

London/Hamburg. Schüchtern ist er. Auf Frauen zugehen, das ist seine Sache nicht. Es sei denn, er hat die Gitarre in der Hand. Dann wackelt und zappelt Keith Richards, 66, vor Zehntausenden bei brachial lauten Stadionkonzerten. Wirft sich in Pose, saugt an der Zigarette - und wartet darauf, sich als Rock 'n' Roll auf zwei Beinen, als letzten Überlebenden einer Zeit feiern zu lassen, die für viele magisch ist und die größere Talente als Richards nicht überlebten. "Ich kann nicht auf Frauen zugehen", bekennt der knochige Gitarrist und Mitbegründer der Rolling Stones in seiner Autobiografie "Life", die in den nächsten Tagen in Großbritannien erscheint. "Dieses ganze ,Hey Baby, wie geht's - lass uns was machen' ist nichts für mich", schreibt Richards.

Soll doch Mick Jagger vom Liebesspiel singen, über die Bühne gockeln und auch mit 67 noch Sex-Skandale zwischen dem Pariser Élysée-Palast und der Copacabana auslösen. Doch auch Richards wird sich in seinem 700-Seiten-Werk untreu. Zum ersten Mal in der bereits detailliert beschriebenen Geschichte der "Größten Rock-'n'-Roll-Band der Welt" plaudert der eigentliche Anführer der Rolling Stones über die Streitereien, Handgreiflichkeiten, Eifersüchteleien, Drogenexzesse und mehrfach verschobenen Todesurteile über die Band. Bis dato glaubte man, allein der Rhythmus von Charlie Watts' Schlagzeug hielt den Herztakt des jahrelang schwer heroinabhängigen Richards aufrecht. Richards' Bettgeflüster legt nahe, dass ähnlich den Beatles mit dem Hahnenkampf von Paul McCartney und John Lennon nach dessen Hochzeit mit Yoko Ono auch die Stones beinahe an Frauen- und Drogengeschichten zerbrochen wären. Ende der 60er-Jahre hatte Jagger das Model Anita Pallenberg verführt - Richards' Freundin. "Das hat den Graben zwischen Mick und mir stärker vergrößert als alles andere. Wahrscheinlich für immer", schreibt Richards.

Wenn sie in der wilden Anfangszeit der 60er auf Tournee waren, "ging es nur darum, wer Tarzan ist". Ob er oder Jagger nach den Konzerten, die europaweit oft in Chaos und Schlägerei endeten, das hübscheste Groupie aus der Hotelbar auflas. Richards revanchierte sich bei Jagger, indem er zuließ, dass dessen Partnerin Marianne Faithfull ihn zum Seitensprung überredete. "Wir hörten Micks Wagen kommen, ich packte meine Schuhe, sprang aus dem Fenster, vergaß aber meine Socken. Egal, Mick war nicht der Typ, der nach den Socken guckte."

1993 hatte Bassist Bill Wyman die Rolling Stones verlassen, der stoische, offenbar skandalfreie Grundpfeiler des Milliarden-Unternehmens im Namen des Rock. In seiner Autobiografie rühmte ausgerechnet Wyman sich, der größte Frauenheld der Band gewesen zu sein. Richards rückt jetzt einiges gerade. Und er bezichtigt den Mitgründer Brian Jones, Partnerinnen wie Anita Pallenberg misshandelt zu haben - bevor diese in Richards' Arme flüchtete. Jagger und Richards, die Komponisten und Antreiber der Stones, hatten den Mitgründer, den sensiblen, schwer drogenabhängigen Brian Jones, 1969 aus der Band geworfen. Er starb kurz danach auf mysteriöse Weise in seinem Swimming-Pool.

Als Jones' Nachfolger Mick Taylor erschöpft vom Aufnahme- und Tour-Tempo der Stones 1974 die Band verließ, warf ihm Richards hinterher: "Die Stones verlässt man nicht freiwillig. Man wird rausgeworfen oder rausgetragen." So erschütternd offen und barsch gibt sich Richards auch in seinen Erinnerungen.

Einer der Wendepunkte im wilden Leben der Stones war eine Razzia auf Richards' Landsitz Redlands in West Sussex im Februar 1967. "Ich guckte aus dem Fenster und sah diese Zwerge draußen, viele Zwerge - und alle hatten das gleiche an. Polizisten." Benebelt von allem, was bei seiner Hausparty rauch- und schluckbar war, öffnete Richards die Tür. "Eintritt verboten, bis ich mit meinem Anwalt gesprochen habe", habe er sagen wollen. Er ließ die halbe Hundertschaft Beamte hinein.

Außer ein paar Pillen an Amphetaminen und etwas Marihuana fanden die Polizisten die Sängerin Marianne Faithfull. Sie hatte sich nach einem Bad nackt in einen Teppich gehüllt. Auf dem Tisch lag ein Riegel Mars. "Wenn man Drogen nimmt, wird man leicht unterzuckert", schreibt Richards mit der Expertise jahrelangen Mars-Konsums. Die Berichterstattung und die Anklage wegen Drogenbesitzes führten dazu, dass Richards und Jagger eine Haftstrafe und damit das Ende der Stones fürchten mussten. "Die Beatles haben sie in Ruhe gelassen, denen hatte die Queen ja schon Orden gegeben. Aber uns wollten sie zerstören. Ich spiele doch nur Gitarre in einer Band. Die Briten haben zwei Weltkriege gewonnen - und dann zittern sie vor den Rolling Stones."

Ein Leitartikel in der "Times" bewahrte sie vor längeren Haftstrafen

Richards wurde zu zwölf, Jagger zu drei Monaten Gefängnis verurteilt. Sie verbrachten aber nur eine Nacht hinter Gittern, woraus der psychedelische Song "We love you" entstand. Ihre Anwälte paukten sie heraus. Und die ehrwürdige "Times" stellte sich auf die Seite der bösen Buben. Man solle nicht mit Kanonen auf Spatzen schießen, schrieb "Times"-Herausgeber William Rees-Mogg in einem ergreifenden Kommentar. Er beklagte, dass unbekannte und weniger aufmüpfige Briten für vergleichbare Vergehen bestenfalls den erhobenen Zeigefinger des Richters gesehen hätten. Richards bedankt sich 43 Jahre nach dem Leitartikel auf seine Weise. Den exklusiven Vorabdruck seiner Memoiren präsentiert die "Times", die inzwischen dem Medienmogul Rupert Murdoch gehört.

Der gewaltige Krach mit dem britischen Establishment, das Leben am Limit und die Konkurrenz zu den Beatles und den aufkommenden Hippiebands in den USA hat in den folgenden Jahren die vermutlich beste Musik aus den Stones herausgeholt, die sie in ihrer Karriere abgeliefert haben: Platten wie "Beggar's Banquet", "Sticky Fingers" oder "Exile on Main Street" sind Meilensteine der Rockmusik. Richards sackte ab. Seine Ex, Drogen und Rock 'n' Roll zehrten ihn körperlich aus. "Irgendwann haben seine Anwälte entschieden, dass er sich von mir trennen sollte", sagte Anita Pallenberg zum Erscheinen der Richards-Autobiografie.

Zehn Jahre nach der Razzia auf Redlands standen kanadische Polizisten vor Richards' Hotelbett in Toronto, in dem er sich im Drogenrausch wand. Sie filzten seine Suite. Unter harten Auflagen konnte er vor Gericht abwenden, für längere Zeit nur noch den Jailhouse Rock zu singen.

Der Knast blieb ihm erspart, die Schicksalsschläge nicht. Eines seiner Kinder mit Anita Pallenberg starb kurz nach der Geburt. Musikalische Weggefährten wie Gram Parsons, Jimi Hendrix, Keith Moon und andere haben den Dauer-Drogen-Trip mit dem Leben bezahlt. Mick Jagger wechselte mit amourösen Umwegen von Bianca Jagger zu Jerry Hall, zum brasilianischen Model Luciana Giminez. Richards enthüllt, dass Jagger auch eine Affäre mit der jetzigen First Lady von Frankreich, Carla Bruni-Sarkozy hatte. Doch das wusste bereits, wer die Lebens- und Drogenbeichte von Gitarrenlegende Eric Clapton gelesen hatte. Richards wechselte selten die Drogen, nur die Dosis an Heroin, Kokain und Wodka. Inzwischen gilt er als körperlich gut konserviert, aber weitgehend frei von Drogen.

Eine Reihe von Seitenhieben bekommen in dem Buch auch andere ab. John Lennon war zu blöd zum Drogenkonsum. Er hat Richards' Haus nie anders als liegend verlassen. Den Schauspieler Johnny Depp hielt Richards lange für den Drogendealer seines Sohnes Marlon. Bill Clinton sei ein lausiger Saxofonist. Und Roy Orbison ("Pretty Woman") war überhaupt der Größte.

Jerry Hall dementiert, dass der "kleine Mick" zu klein sei

Und dann wird's noch mal Stones-intern: Der "kleine Mick" kommt nicht gut weg in Richards' Enthüllung. Jagger habe bei beachtlichen Hoden nur einen "winzigen" Penis. Kurz nach dem ersten Vorabdruck ließ Jaggers Ex-Frau Jerry Hall dementieren: Nein, Mick sei gut ausgestattet.

Wie auch immer, die Welt, wie "Keef" sie sieht, ist keine Parallelwelt des Jagger-Universums. Der Sänger der Rolling Stones hatte schon vor Richards' Versuch, sein Leben zwischen Buchdeckel zu packen, gesagt: "Um eine Autobiografie zu schreiben, müsste man sich wenigstens an Teile seines Lebens erinnern können."