Viele Sätze, die wir im Alltag so dahersagen, sind gebraucht. Irgendwo schon mal gehört. Dabei wollen wir doch gern originell sein.

Manche Sätze sind so nett, dass man ihnen gerne ab und zu begegnet wie einem guten Bekannten. Das Leben ist kein Ponyhof , zum Beispiel. Dann stellt man fest: Der Satz taucht überall auf. Er rennt einem quasi die Bude ein. Und es gibt immer neue Variationen: Wahlkampf, das Abi, Kindererziehung, Spanisch-Kurse - alles ist kein Ponyhof.

Das Umgangsdeutsch, dieser Mix aus Baukasten und Wundertüte, verleibt sich viele solcher Sätze sehr schnell ein. Das kannst du in die Tonne treten, man steckt ja nicht drin, wer weiß, wozu das noch mal gut ist. Auf die Frage "Wie geht's?" ertönt dieses stereotyp tapfere Muss ja , und fast täglich kreischt irgendein Mädchen in der S-Bahn: Wie geil ist das denn!

Einer hat genau hingehört: Max Scharnigg ist Kolumnist von jetzt.de und sammelt seit etwa zwei Jahren die Superstars unter unseren Standardsätzen. 99 davon stellt er in seinem Buch "Das habe ich jetzt akustisch nicht verstanden" vor. Gefühlte 90 von ihnen hat man selber schon gesagt - es ist eine zum Fürchten komische Lektüre mit hohem Wiedererkennungswert.

Christoph Amend und Matthias Stolz vom "Zeit"-Magazin gehen in "Sind Sie was Besonderes?" etwas anders vor: Sie versammelten "lauter Meinungen, die man sehr, sehr oft hört in Deutschland". Ich kann diese Talkshows nicht mehr sehen. Die Warnhinweise auf Zigarettenschachteln bringen gar nichts. Kleine Gässchen mag ich irgendwie. Solche Massenmeinungen würden "meist vorgetragen im Bemühen, besonders originell zu sein", schreiben Amend und Stolz. In ihrem Buch kann man mithilfe eines Punktesystems herausfinden, wie vielen Meinungen man zustimmt, und den persönlichen "Besonderheitsquotienten" ermitteln. Dummerweise ertappt man sich dabei, dass man grauenhaft konform ist.

Fündig geworden sind die drei Sammler in den verschiedensten Alltagsbereichen, beim Einkaufen, Telefonieren, im Büro, auf Konferenzen, im ICE, beim Wandern auf Korsika, beim Essen & Trinken, in Beziehungen und beim Smalltalk über Wetter und Urlaub. Morgen soll es ja schneien. Die sind ja auch schon ewig zusammen. Ich glaube, das kann man schon noch essen . Wie lautet der Standard-Aufschrei, wenn man - trotz Verwaltungen, Call-Centern und Service-Hotlines - sich mit einem Problem allein gelassen fühlt? Dafür sind die doch da!

Viele von diesen Sätzen gehören zum Sprachschatz einer jüngeren Kohorte der arbeitenden und usenden Bevölkerung - 70-jährige Almbauern reden anders. "Es sind Sätze aus dem Leben eines städtischen Mitteleuropäers", sagt Scharnigg, Jahrgang 1980, "aber ich habe versucht, alle möglichen Altersklassen abzudecken. Manche Sätze sind den neuen Medien geschuldet, etwa Ich schick dir mal den Link . Aber Kann man das Wasser hier trinken? verwendet ja auch die Generation meiner Mutter." Generationsübergreifend ist auch die Hitliste der Meinungen. Ich fands ja schöner, als die Telefonzellen noch gelb waren. Den Stress am Samstagnachmittag bei IKEA tue ich mir nicht mehr an. So wichtig ist Sex gar nicht.

Ist unser Alltag schon so standardisiert, dass eine große Zahl von Menschen in kurzer Zeit dieselben Sätze übernimmt? Ja, glaubt Scharnigg. "Wir erleben alle ähnliche Situationen in unserem städtischen Leben, wir stehen vor ähnlichen Anforderungen, etwas sagen zu müssen. Und dann bedienen wir uns eben wie im Supermarkt bei den Fertigteilen, die die Sprache geformt hat. Der Kopf denkt nicht mehr darüber nach, wenn man sie benutzt. Das ist wie Fastfood - Fastspeak."

Es macht enormen Spaß, sich beim Lesen quasi selber wiederzuhören. Die Autoren, die ihre Fundsachen zum Teil schon in Kolumnen testeten, bekommen immer noch Post von Lesern, die sie mit Nachschub versorgen. Offenbar haben sie eine Ader getroffen, wie Bastian Sick, dem seine Leser seit "Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod" ständig Neues aus dem Irrgarten der deutschen Sprache zuschicken. Sprache, Sprachkritik und Sprachsatire sind ein Unterhaltungs-Thema geworden.

Kein Wunder: Einerseits wird heute gesimst, gepostet und kommuniziert, was das Zeug hält, andererseits stehen immer mehr Einheimische mit Logik, Grammatik und Rechtschreibung auf Kriegsfuß. Und produzieren daher wunderbare sprachliche Lattenkracher, über die man sich gern amüsiert. Am größten ist die Wirkung, wenn jemand die Stilblüten in Listen ordnet und aufbereitet.

Die "99 Sätze, mit denen man durchs Leben kommt" und die "1000 beliebtesten Meinungen" sind eine Fortsetzung des Listen-Sports, der um das Jahr 2000 ausbrach. Damals hatte plötzlich jedes Magazin seine eigenen skurrilen Hitlisten: "Die 10 betörendsten Blasinstrumente", "10 prominente Schlaflose", "Die 15 dümmsten Filme über Aliens". Jetzt liegt eben die Umgangssprache unterm Mikroskop. Eine Legion von Buchautoren meint, uns die Liste der angeblich "trendigsten" Floskeln des Proll-, Szene-, Türk-, Stammtisch-, Anmache- oder Türsteherdeutsch vermitteln zu müssen. Nur dass man niemanden kennt, der tatsächlich so redet.

Um solche Humor-Platzpatronen geht es Scharnigg, Amend und Stolz nicht. Sondern um Sätze und Meinungen, die wir alle ganz ohne Arg und ohne Karikaturabsichten absondern, obwohl wir sie im Metrobus oder am Hotelpool oder im Meeting schon zehnmal gehört haben.

Die Sprache bildet ab, dass wir ständig mit neuen Technologien konfrontiert sind - Energiesparlampen machen irgendwie so kaltes Licht . Als User globaler Kommunikationsmittel haben wir auch alle ähnliche Anwenderprobleme. Muss ich da irgendwas vorwählen? Genau. Nämlich dann, wenn die Mobilnummer eines Freundes in Nordschleswig im Orkus dänischer Netzanbieter verschwindet. Wenn man dann aber 0049 für Deutschland vorwählt, stellt sich gleich die nächste Frage: Muss ich dahinter jetzt die Null weglassen?

Putzigerweise kommen die Phrasen- und Meinungslisten ohne Anglizismen oder Denglisch aus. Für unser sprachliches Fastfood sorgen wir Deutschen schon ganz allein. Bezüge zur angloamerikanischen Kultur gibt es trotzdem. Ich liebe dich auch hat man schon in Hunderten amerikanischer Filme gehört. Wahrscheinlich fällt den Amerikanern auch nichts Neues ein.

Kinofilm-Sätze kommen immer wieder eine Zeit lang groß in Mode, haben allerdings nur kurze bis mittlere Verfallszeiten. Bis auf wenige Ausnahmen: Wer nicht möchte, dass Alkohol nachgeschenkt wird, sagt immer noch gern Nor einen wänzigen Schlock (aus "Die Feuerzangenbowle"). Schön theatralisch klang Möge die Macht mit dir sein (Star Wars). Für unverwüstliche Sätze hat Loriot in seinen Sketchen gesorgt: Hildegard, sagen Sie jetzt nichts . Aber Hasta la vista, Baby sagen heute nur noch fehlgeleitete Bürohengste, die seit Jahren nicht im Kino waren.

Viele Floskeln sind nämlich zeitgebunden. In den 90er-Jahren, als wir anfingen, Recycling zu üben, hieß es Is' da Pfand drauf? Heute heißt es: Kann man hier rauchen? Man wird beim Lesen geradezu angesteckt, selber nach echten Standard-Floskeln zu forschen. Wo ist die Fernbedienung? Millionen Menschen teilen ihr TV offenbar mit Schusseln, die Fernbedienungen in Bad, Küche, Keller liegen lassen. Millionen Mitmenschen überstehen Kleinkatastrophen und schnaufen dann: Ich brauch jetzt erst mal 'n Schnaps.

Hinter anderen Floskeln verstecken sich Vernebelungsversuche. Auf den Titelsatz Das habe ich jetzt akustisch nicht verstanden kam Scharnigg in der elften Klasse. Es ist der typische Satz, um Zeit zu schinden - in der Schule, am Telefon, im Fachgespräch. Das kleine Wort akustisch tut so, als wäre gerade draußen eine Boeing 747 gestartet und hätte sämtliche Gehörgänge blockiert. In Wahrheit hat man nichts kapiert. Absurd bleibt der Satz trotzdem. Im täglichen Softtalk würde ja auch keiner sagen: Tschuldigung, ich habe gerade haptisch dein Brötchen angefasst.

Viele Standardsätze funktionieren wie Nebelkerzen. Um cooler zu wirken: Ich merke beim Kiffen gar nichts, ich werde da nur müde. Um beiläufig einzuflechten, wie weitgereist man ist: Den Film hab ich im Flugzeug gesehen . Wir wollen jugendlich wirken - Das ist ja total / absolut / echt krass - und so tun, als stünden wir souverän mitten im Zeitgeist. Jeder möchte authentisch sein und so locker mit Spruchschöpfungen um sich werfen wie Harald Schmidt. Schön wärs. Heraus kommen oft doch nur geliehene Textbausteine. Und Massensprüche wie Harald Schmidt war ja früher besser . Oder Meinungen wie aus dem Lidl-Regal: Seit der WM 2006 ist das Land irgendwie lockerer geworden .

Oder: Männer-Handtaschen / Diddl-Tassen / Motiv-Shirts gehen ja gar nicht .

In manchen Situationen fällt einem allerdings schlicht nichts Besseres ein. Bei Modefragen steht man zum Beispiel immer auf der sicheren Seite mit Das kannst du auch mal zur Jeans anziehen . Das sagte meine Oma, wenn sie mir eine Bluse schenkte, die nicht mehr so ganz in Mode war. Auch mit einem anderen Satz ist sie auf der 99-Sätze-Liste gelandet: Ich gewinne ja nie was . Wirklich nie? Diese Behauptung ist meistens nur so halbwahr wie Die 'Bunte' lese ich nur beim Arzt . 1992 hat meine Großmutter mal ein Früchtebrot gewonnen. Der Hamburger sagt in solchen Fällen: Das gildet nicht .

Häufig verleibt sich das Umgangsdeutsch Sätze ein, die nicht ganz stubenrein sind, wie etwa Da habe ich ein Problem mit . "Hier spreizt sich erst ein kleines Wort, das liebe 'damit', zum Spagat und kriegt dann einen ganzen erigierten Satz zwischen die Beine geschoben", so Scharnigg. Ähnliche Spreizungen gibt es bei Da krieg ich Pickel von oder bei Da achte ich gar nicht drauf.

Dieses "ein Problem mit haben" ist der Lieblingssatz aller Bedenkenträger/innen, die alarmierende Entwicklungen voraussehen. Bremst alles aus, klingt aber höflicher als ein brutales Nein. Nein sagen können nur wenige, mit Bedenken dagegen kennt sich die problemorientierte deutsche Öffentlichkeit prima aus. Insofern trifft darauf ein weiterer Dauerbrenner-Satz zu: Das ist typisch deutsch .

Man könnte noch viele schöne Floskeln nennen. Die kürzeste - Na? - kann alles mögliche heißen, nämlich: Ja / eigentlich nicht / wie geht's? / wird's bald? / war ich gut? / wollen wir zusammen ein Mineralwasser trinken? usw.

Ein Ausdruck folgenloser Aufwallung: Ich glaubs einfach nicht! Oder etwas empörter: Ja hallo?! Sie können jetzt einwenden, dass beides eigentlich auf dasselbe hinausläuft. Aber dem stelle ich dann einfach meine Lieblings-Floskel entgegen: Das ist doch was ganz anderes .

Max Scharnigg: Das habe ich jetzt akustisch nicht verstanden - und 99 andere Sätze, mit denen man durchs Leben kommt. Fischer, 251 Seiten, 9,95 Euro

Christoph Amend, Matthias Stolz: Sind Sie was Besonderes? Die 1000 beliebtesten Meinungen unserer Zeit, Knaur, 234 Seiten, 12,90 Euro