Der Chef des Hamburger Businessnetzwerks Xing über das Ende der Privatsphäre, neue Stellen und die Konkurrenz durch Facebook.

Hamburg. Mit zehn Millionen Mitgliedern ist das Hamburger Internetunternehmen Xing das derzeit größte Businessnetzwerk in Deutschland. Um gegen mächtige Konkurrenten wie Facebook bestehen zu können, will Chef Stefan Groß-Selbeck die Funktionen zur Personalsuche auf der Plattform weiter ausbauen. Für die Expansion sucht das börsennotierte Unternehmen allein im kommenden Jahr mehr als 30 neue Mitarbeiter in der Hansestadt. Die strengen Datenschutzbestimmungen in Deutschland hält der Chef für einen Wettbewerbsvorteil.

Hamburger Abendblatt:

Einige soziale Plattformen ermöglichen heute ihrer wachsenden Nutzergemeinde, auf dem Internethandy zu sehen, welche ihrer Freunde oder Businesskontakte in der Nähe sind. Man ist kaum noch irgendwo inkognito. Was halten Sie bei Xing von diesem Trend zur Beschneidung der Privatsphäre?

Stefan Groß-Selbeck:

Eine solche Funktion gibt es bei uns derzeit nicht. Allerdings kann ich mir so etwas bei Xing grundsätzlich durchaus vorstellen. Es kann etwa auf Messen sehr nützlich sein, wenn andere Geschäftsleute wissen, dass ich auch dort bin. Für uns wäre es aber oberstes Gebot, dass der Nutzer entscheidet, ob er die Information, wo er sich gerade befindet, mitteilen möchte oder nicht. Schließlich soll jeder inkognito sein können, wo er oder sie das möchte.

Technologisch ist schon heute eine Gesichtserkennung per Handy möglich. Man könnte also ein Gesicht mit dem Gerät aufnehmen und sofort die dazugehörenden Daten sehen, wie den Namen oder die Telefonnummer, die im Internet auftauchen.

Groß-Selbeck:

Mit dieser Technologie könnte ein enormer Wert geschaffen werden, sie birgt aber natürlich auch erhebliche Risiken. Schon heute gibt es ja die Funktion Goggles auf Android-Handys, die ermöglicht, dass ich für Sehenswürdigkeiten, an denen ich gerade vorbeikomme, alle möglichen Informationen abfragen kann.

Wie bereitet sich Xing auf dieses neue Zeitalter vor? Facebook-Gründer Mark Zuckerberg hat ja bereits das Ende der Privatheit verkündet ...

Groß-Selbeck:

Wir legen die Hände nicht in den Schoß. Wir gehen mit den Daten unserer Nutzer verantwortungsvoll um, denn letztlich ist ihr Vertrauen für uns ein zentrales Gut. Ich teile die Sorge vieler Menschen über eine immer stärker eingeschränkte Privatsphäre, aber letztlich erwächst uns dadurch ein Wettbewerbsvorteil. Denn die Menschen entscheiden sich auch deshalb für uns, weil wir ein deutscher Anbieter sind und den strengen deutschen Datenschutzbestimmungen unterliegen. Weil wir verantwortungsvoll mit ihren Daten umgehen, sie selbst bestimmen lassen, wem sie wie viel zugänglich machen wollen - und dass sie vielleicht anderen Diensten den Rücken kehren.

Xing lebt davon, dass die Mitglieder sich im Internet präsentieren. Welche Fehler machen die Nutzer dabei am häufigsten?

Groß-Selbeck:

Längst bekannt sind Sünden wie Partybilder, die für alle ersichtlich im Netz zu finden und kaum wieder zu löschen sind. Ein viel größeres Problem ist meiner Meinung nach, dass die Leute sich die unterschiedlichen Qualitäten von Beziehungen im Netz nicht klar genug machen. Sie schreiben Mitteilungen an große Empfängergruppen und denken bei der Wahl von Inhalt und Ton nicht an die Empfänger, die das auch lesen können. Also etwa der Chef. Genauso auf den verschiedenen Plattformen: Es gibt soziale Netze im Internet, da kann ich quasi in Badehose hingehen. Bei anderen trägt man Businessoutfit, so bei Xing. Das sollte sich jeder bewusst machen.

Sie sind bei Businessnetzwerken Marktführer in Deutschland. Fünf Prozent der Bevölkerung sind Mitglied bei Ihnen. In den Niederlanden erreichen Businessnetzwerke dagegen bereits zwölf Prozent der Menschen ...

Groß-Selbeck:

Deutschland hat hier ganz klar Nachholbedarf. Bei uns sind die Themen Beziehungen und Vitamin B negativ besetzt. Die Leute haben Old-Boys-Netzwerke und verrauchte Hinterzimmer im Kopf, denken an Filz. Die Realität ist aber doch, dass ein Netzwerk meine Reputation weitertragen kann. Und Grundlage meiner Reputation ist heute nicht die Herkunft, sondern das, was ich geleistet habe, auch für andere Mitglieder meines Netzwerks, sodass man dabei nicht von Filz sprechen kann. Für uns birgt dieses Umfeld allerdings auch Chancen: Wir haben noch großes Wachstums-potenzial.

Eine solche Erfolgsstory sehen Analysten bei Ihnen derzeit offensichtlich nicht. Ihre Aktie dümpelt vor sich hin. Werden Sie von Konkurrenten wie LinkedIn oder Facebook ausgebremst?

Groß-Selbeck:

Zufrieden bin ich mit dem Kurs natürlich nicht. Allerdings sind wir auch für Analysten schwer vergleichbar. Wir sind das einzige börsennotierte soziale Netzwerk.

Vor einigen Jahren hatte sich Xing noch auf die Fahnen geschrieben, international zu wachsen, der Gründer und damalige Chef Lars Hinrichs hatte die Marktführerschaft in Europa und auch in China angestrebt. Das Ziel des Branchenprimus bei Businessplattformen hat Xing bis heute nur in den deutschsprachigen Ländern Deutschland, Schweiz, Österreich und in der Türkei und Spanien erreicht ...

Groß-Selbeck:

Heute liegt unser Fokus darauf, in Deutschland und unseren Kernmärkten unseren Marktanteil zu erhöhen. Wir haben gerade die Schwelle von zehn Millionen Mitgliedern überschritten.

Allerdings haben sie nur rund 800 000 zahlende Mitglieder, die sich für rund fünf Euro im Monat im Vergleich zu den gratis bei Ihnen angemeldeten Nutzern etwas komfortablere Suchfunktionen bei Xing erkaufen.

Groß-Selbeck:

Zunächst: Eine Quote von etwa 18 Prozent zahlenden Kunden, die wir in Deutschland haben, ist in unserer Branche weltweit einzigartig. Darüber hinaus wachsen wir bei den Zusatzfunktionen für Unternehmen auf der Suche nach Personal und bei Werbung sehr stark. Im Bereich Personalsuche (Recruiting) und bei der Werbung haben wir im zweiten Quartal unseren Umsatz um mehr als 50 Prozent erhöht. Beim Recruiting wird sich das Umsatzwachstum noch weiter beschleunigen. Und die Rendite werden wir ebenfalls steigern. Für die zweite Jahreshälfte erwarten wir eine operative Marge von mehr als 30 Prozent.

Wir wirkt sich das Wachstum auf die Zahl Ihrer Mitarbeiter aus?

Groß-Selbeck:

Positiv. Derzeit beschäftigen wir 305 Mitarbeiter, 280 am Sitz Hamburg, die übrigen in Istanbul und Barcelona. Im nächsten Jahr werden wir allein in Hamburg mehr als 30 Stellen schaffen, vorwiegend für technische Produktmanager und Software-Ingenieure.