Der Schuldirektor Kay Stöck arbeitet in Kirchdorf-Süd und sagt, dass die Schwierigkeiten mit der Integration zu lange nicht ernst genommen wurden. Deshalb sei die Debatte darüber völlig richtig

Kay Stöck, 60, kann mitreißend erzählen. Als der Schuldirektor neulich bei der "Nacht der Legenden" im Schmidts Tivoli auf der Bühne von TV-Moderator Reinhold Beckmann gefragt wurde, wie sich Schule in Kirchdorf-Süd anfühlt, hat er in drei Minuten und 30 Sekunden so eindrucksvoll vom turbulenten Alltag mit den kleinen Menschen und ihren großen Augen in der Hochhaussiedlung im Süden Hamburgs erzählt, dass hinterher eine Frau zu ihm kam und schwärmte: "Sie sind der Held des Abends."

Jetzt sitzt der fröhliche Direktor in seinem Arbeitszimmer im Stübenhofer Weg. Und wenn es darum geht, ob Thilo Sarrazin recht hat, dass sich Deutschland abschafft, erklärt Kay Stöck erst einmal, wie "sein Deutschland" mit 800 Schülern, verteilt auf Grund- und Stadtteilschule, aussieht. "Rund 80 Prozent haben einen Migrationshintergrund", sagt er. Und dass an der Schule 19 Sprachen gesprochen werden.

Stöck, das wird schnell klar, findet das Leben an seiner Schule wesentlich aufregender als das Buch von Sarrazin. Er sagt, dass die Integration zum Glück weiter ist als die momentane Debatte darüber. Die aber völlig richtig sei. Denn natürlich gibt es Probleme. Natürlich sei es richtig, diese auch zu benennen. Und natürlich gebe es Migranten, die sich nicht integrieren wollten. "Ich glaube, wir haben die Probleme zu lange nicht ernst genommen. Dann muss man sich nicht wundern, wenn sich die Menschen in ihre Welt zurückziehen."

Stöck sagt, dass einige Väter nur das Wort von Mann zu Mann akzeptieren. Das gelte aber sowohl für türkische als auch für deutsche Väter. Wenn diese ihm sagen, dass ihr Sohn oder ihre Tochter nicht mit auf Klassenreise fahren, dann "verklickert" er ihnen, dass sie doch mitfahren. Kommt das häufig vor? "Das kommt immer wieder vor. Wir müssen neben der Aufklärung auch immer auf Konsequenzen hinweisen."

Das A und O aber sei die Sprache, sagt Stöck. Wenn Kinder keine sprachlichen Vorbilder hätten, werde es schwierig. "Daher betreiben wir seit drei Jahren gezielte Sprachförderung in der Grundschule." Es gebe Kinder in Kirchdorf, die manchmal weder die Muttersprache noch die deutsche Sprache beherrschten. Kinder, die in unvollständigen Kurzsätzen reden. "Ich Toilette." Erstklässler, die sich nicht die Schuhe zubinden können und einfachste Sachverhalte aus ihrer Umwelt nicht kennen. Kinder, die nicht rückwärts laufen oder auf einem Bein hüpfen können. Es gibt Kinder, die keinerlei Anregungen von zu Hause bekommen. "Aber das hat nichts mit Nationalitäten zu tun. Dafür gibt es keine Belege."

Im Gegenteil. Er hat genug Klassen, in denen die Leistungsstärksten aus der Türkei, dem Iran oder Afghanistan kommen. Er hat Schüler mit einem Realschulabschluss von 1,3. Er habe zehn bis 20 Prozent sehr gute, 30 bis 50 Prozent mittlere sowie 30 bis 40 Prozent schwache Schüler, sagt er. Nein, Deutschland habe kein muslimisches, sondern ein soziales Problem. Und vielleicht sollten sich die Politiker einmal fragen, warum die Bevölkerung in Kirchdorf-Süd nicht durchmischter ist. Warum Kinder, die sich nicht ausdrücken können, ihre Probleme anders lösen. 30 Prozent der Grundschüler hätten einen "sehr geringen" Wortschatz.

Ginge es nach einem Integrations-Praktiker wie Stöck, müsste sich Schule ständig verändern. Weg von der Sitzschule, hin zum praktischen Unterricht. Mehr anfassen und aufschreiben. Im Vordergrund steht für ihn eine viel stärkere Berufsorientierung. Stöck kann nicht verstehen, dass man dieses "Riesenpotenzial" an jungen Menschen einfach brachliegen lässt. Die Handwerksbetriebe suchten doch händeringend gute Lehrlinge.

Stöck ist ein vehementer Verfechter des längeren gemeinsamen Lernens. Weil es ihn schmerzt, wenn nach der vierten Klasse die Leistungsträger auf das Gymnasium gehen. "Und ein Teil kommt nach dem Versuch wieder zurück, muss in die Klassenverbände integriert und von den Lehrern aufgebaut werden." Stöck erzählt von einer leistungsstarken siebten Klasse, deren Schüler seit der Vorschule zusammen sind. Kein Vergleich sei das zu einer Siebten, deren Schüler aus verschiedenen Grundschulen stammen.

Stöck wünscht sich mehr Betriebe, die nicht nur nach der Rendite gucken, sondern sagen: "Wir schauen uns den Jungen mit seinen Defiziten erst einmal an und reden dann mit ihm und seinem Lehrer." Und ihn nicht nach zwei Tagen wieder wegschicken, weil er nicht für ein Praktikum taugt. "Was ist denn wichtiger: Kinder oder Kosten?"

Neulich saß eine türkische Mutter bei ihm, die seit 20 Jahren in Deutschland lebt, aber die Sprache nicht spricht. Sie brachte zum Übersetzen ihre Tochter mit und wollte ihren jüngsten Sohn anmelden. "Ich nehme Ihren Sohn nur, wenn Sie sich für einen Deutschkurs anmelden", hat Stöck gesagt. Da hat sie gelacht. Und er auch. "Haben Sie mich verstanden?" Wieder ein Lachen. Und ein Zurücklachen. "Ich meine das ernst", hat er gesagt. "Ja, ja", hat sie gesagt und gelacht. "Ich werde überprüfen, ob Sie sich angemeldet haben", hat er gesagt und gelächelt. "Ja, Herr Stöck", hat sie gesagt und gelacht.

Kay Stöck findet, dass mit Humor alles leichter geht. Aber ohne Konsequenz, sagt er, geht gar nichts.