Es sind nicht die spektakulärsten Fälle, die Bettina Mittelacher in ihrer Gerichtskolumne beschreibt. Es geht um kaum beachtete, aber spannende Prozesse vor dem Amts- und Landgericht.

Es ist nicht eben viel, was er noch vom Leben erwartet. Einfach in Ruhe gelassen werden, friedliche Stunden verbringen, am liebsten zusammen mit seiner Frau. Doch gerade dies sind zugleich auch die einsamsten Stunden von Armin P. Denn die gemeinsame Zeit findet auf dem Friedhof statt, an ihrem Grab, seit mehreren Jahren schon. Hierhin zieht es den Mann, oft viele Stunden lang, und manchmal sogar ganze Nächte. Um seinen Gedanken nachzuhängen, Erinnerungen an schöne Jahre, um mit ihr Zwiesprache zu halten. Und auch immer mal einen "mit ihr zu trinken", wie der 60-Jährige sagt. Und er trinkt viel.

Wie auch am 7. Dezember vergangenen Jahres, als der Zufall ihn mit einem anderen Mann zusammenführte, der auch eine Menge getrunken hatte. Der ebenfalls einer Frau nachtrauerte. Einer Frau, die sich von ihm getrennt hatte. Doch der Verlust der Partnerin ist denn auch alles, was die beiden Männer gemeinsam haben. Vor allem ist da Trennendes, Aggressives und sogar Gewalt. Geschehnisse, die dazu führten, dass Armin P., der 60 Jahre lang unbescholten durchs Leben gegangen war, sich jetzt wegen gefährlicher Körperverletzung vor dem Amtsgericht verantworten muss. Der unbestritten einen anderen Mann schwer am Arm verletzte. Der jedoch behauptet, es sei eine "Affekttat gewesen, zur Selbstverteidigung". Und von dem sein Verteidiger meint: "Die Frage ist, ob hier der Falsche auf der Anklagebank sitzt."

Doch laut Staatsanwaltschaft war es Armin P., der den fatalen Streit vom Zaun gebrochen hat und letztlich zum Täter wurde. Der aus Verärgerung, weil ein ihm unbekannter Mann ohne seine Erlaubnis seinen Hund streichelte, ein Messer mit einer 20-Zentimeter-Klinge zückte und den anderen verfolgte, heißt es in der Anklage. Dieser habe daraufhin mit einer Schreckschusswaffe mindestens einen Schuss auf den Frührentner abgegeben. Schließlich soll der 60-Jährige seinem Kontrahenten in den Arm gestochen haben - so schwer, dass mehrere Sehnen durchtrennt wurden.

Nicht er sei der Angreifer gewesen, sondern der andere, sagt dagegen Armin P., ein hagerer Mann, von einer schweren Krebserkrankung gezeichnet, die Haut ist fahl, das Sprechen bereitet ihm Mühe. "Ich kam vom Grab und habe mich in der Nähe an einer Tankstelle auf eine Mauer gesetzt. Ich nenne es Klagemauer." Da habe auf einmal der andere Mann vor ihm gestanden, "und der schießt auf mich". Daraufhin habe er, um sich zu verteidigen, das Messer gezückt, das er immer bei sich trage, "um am Grab meiner Frau auch mal Äste abschneiden zu können. Dass ich den anderen Mann verletzt habe, gebe ich offen und ehrlich zu. Ich habe sogar auf die Polizei gewartet und gesagt: 'Ich war das.'" Auch er sei damals verletzt worden, sagt der ehemalige Schiffsbauer. "Als der Mann schoss, konnte ich noch im letzten Moment die Hand vor mein Gesicht halten."

Doch sein Kontrahent erzählt als Zeuge, er habe "nur zur Warnung in die Luft geschossen, um ihn zu verjagen". Auch davon, dass er mit der Auseinandersetzung begonnen haben soll, will Torsten I. nichts wissen. "Ich hab nur seinen Hund gestreichelt, und plötzlich hatte ich sein Messer im Arm. So schnell konnte ich gar nicht gucken", sagt der 45-Jährige. Vier Stunden habe sein Arm seinerzeit operiert werden müssen, noch heute könne er die Hand nur eingeschränkt bewegen. "Aufgrund dessen habe ich auch meinen Job verloren", erzählt der gelernte Dachdecker.

Woher er denn die Schreckschusswaffe hatte, will die Amtsrichterin wissen. "Die hatte ich am selben Morgen auf einem Kinderspielplatz gefunden", meint Torsten I. "Ich hatte sie in die Jackentasche gesteckt, um sie bei der Polizei abgegeben." Doch das habe er dann wieder vergessen. "Ich hatte ziemlich viel getrunken, länger schon, weil sich meine Freundin von mir getrennt hatte. Mir war alles über den Kopf gewachsen."

Die Erklärung, die Waffe am Morgen auf einem Spielplatz gefunden zu haben, "klingt komisch, das weiß ich selbst", bekennt der 45-Jährige. Armin P.s Verteidiger lächelt süffisant. Und hakt nach. "Schon mal wegen Körperverletzung verurteilt worden?", fragt er den Zeugen. Der nickt. "Mehr als einmal, und auch schon mal im Knast gesessen?" "Ja", räumt Torsten I. ein. Aber diesmal sei er wirklich nur das Opfer, insistiert er und deutet auf den Angeklagten. "Nur, weil ich seinen Hund streichele, sticht der mich ab." Um die Sachlage besser aufzuklären, sollen nun an einem zweiten Verhandlungstag weitere Zeugen gehört werden.

Armin P. ist das gleichgültig. "Wenn es so sein soll, dann gehe ich eben in den Knast", sagt er schließlich mit matter Stimme. "Dann sterbe ich eben da und nicht zu Hause." Eigentlich sei es "schade", dass Torsten I. damals nicht mit einer scharfe Waffe geschossen habe, überlegt der 60-Jährige laut. "Dann hätte ich jetzt nicht mehr diese Termine und wäre schon weg", sagt er, "bei meiner Frau."