Es sind ebenso kuriose wie spannende Fälle, die Bettina Mittelacher in ihrer Gerichtskolumne beschreibt. Es geht um kaum beachtete, aber interessante Prozesse vor dem Amts- und Landgericht.

Bescheiden ist sie und gewissenhaft. Christel H. hat es gelernt, mit ihrer schmalen Rente auszukommen. Ihr Leben danach arrangiert. 40 bis 50 Euro Haushaltsgeld hebt die 72-Jährige in der Regel wöchentlich von ihrem Konto ab, und irgendwie schafft sie es, sich zwei- oder dreimal im Jahr eine Zugfahrkarte nach Süddeutschland zu ihrer Tochter zu leisten, für die Seniorin ein Luxus, bis ihre heile Welt plötzlich aus den Fugen geriet.

Schuld daran ist ausgerechnet ihr Sohn Stephan. Der Mann, dem sie in ihrer Wohnung wieder ein Zuhause gab, nachdem die Ehe des 46-Jährigen gescheitert war. Dem sie voll vertraut hatte und der ihre Gutgläubigkeit zutiefst missbrauchte. Der damit riskierte, dass seine Mutter ihre Wohnung verliert, ihr eigenes kleines Reich. Denn Stephan H. veruntreute Geld von ihrem Konto - bis ihr der Strom abgestellt wurde, sie ihre Miete nicht mehr zahlen konnte und sie in eine kleinere Wohnung ziehen musste. Und bis er wegen Untreue angeklagt wurde. 62 Taten wirft ihm die Staatsanwaltschaft vor. Danach hat der 46-Jährige immer wieder, nachdem seine Mutter ihm eine Kontovollmacht erteilt hatte, Beträge zwischen sieben und 500 Euro von ihrem Konto abgehoben und für sich verbraucht. Jetzt muss er sich im Prozess vor dem Amtsgericht verantworten.

Nun stehen sie gemeinsam vor der Tür zum Verhandlungssaal, Sohn und Mutter, Täter und Opfer. Zwei Menschen, die jetzt unbeschwert miteinander zu reden scheinen. Doch tatsächlich ist da noch ein tiefes Zerwürfnis, mehr als zwei Jahre lang herrschte verbittertes, zähes Schweigen. "Ich habe heute zum ersten Mal wieder mit meiner Mutter geredet", sagt der hagere, ganz in Schwarz gekleidete Angeklagte, und es schwingt Erleichterung in seiner Stimme mit. Sie hätten "über Alltägliches gesprochen", präzisiert seine Mutter wenig später als Zeugin. "Ich habe nur so gefragt, wo er jetzt wohnt und was er jetzt macht."

Nicht wirklich viel. Arbeit sucht der gelernte Maler. "An Erfahrung mangelt es jedenfalls nicht." Doch vor allem macht er sich Vorwürfe. "Ich weiß, dass ich einen riesigen Fehler gemacht habe." Wegen seiner Arbeitslosigkeit habe er es bisher nicht geschafft, viel von den 4400 Euro zurückzubezahlen. Wofür er das Geld verwendete, verschweigt er lieber.

Sechs Gläubiger hat seine Mutter seinetwegen und stottert von ihrer kleinen Rente monatlich 134 Euro ab, erzählt Christel H. Eine zierliche Frau ist sie, in schlichter Kleidung, eine Frau, für die diese 134 Euro ganz offensichtlich eine enorme Belastung sind. Weil sie damals krank gewesen sei, habe sie die Vollmacht erteilt. "Dass das Geld immer weniger wurde, habe ich erst gar nicht mitgekriegt. Stephan legte mir Kontoauszüge vor, aber nicht alle, und fing auch die Mahnungen ab, sodass ich keine Ahnung hatte, wie schlimm es finanziell stand."

"Soll Ihr Sohn dafür bestraft werden?", möchte der Richter von der Rentnerin wissen. Die Frau ringt einen Augenblick mit sich, dann werden ihre Gesichtszüge weich. "Eigentlich nicht, wenn es eine andere Möglichkeit gibt, sich zu arrangieren", antwortet sie schließlich.

Das ist natürlich ganz im Sinne von Stephan H. Denn wenn das Gericht jetzt eine Geldstrafe verhänge, gibt sein Verteidiger zu bedenken, "wird der Kuchen kleiner, von dem mein Mandant den Schaden wiedergutmachen kann". Und so fällt der Richter schließlich ein mildes Urteil. Er verhängt eine Verwarnung mit Strafvorbehalt, bei der der Angeklagte eine Geldstrafe von 1500 Euro nur dann bezahlen muss, wenn er seiner Mutter das veruntreute Geld nicht zurückzahlt. "Wenn er vielleicht 40 oder 50 Euro im Monat beiträgt, das würde mir schon helfen", hatte Christel H. vorgeschlagen. Der Angeklagte nickt eifrig. Das wolle er so machen.

Das richtige Signal für einen Neuanfang in der zerrütteten Beziehung zwischen Mutter und Sohn? Echter Frieden scheint noch nicht entstanden zu sein. Christel und Stephan H. verlassen das Gerichtsgebäude getrennt, versöhnliche Worte werden nicht mehr gewechselt. Vielleicht braucht es noch Zeit, bis die 72-Jährige ihrem Sohn wieder Vertrauen schenken und auf ihn zugehen kann. Wo er inzwischen wohnt, weiß sie ja jetzt.