Abendblatt-Gerichtsreporterin Bettina Mittelacher schreibt über den kuriosesten und spannendsten Fall der Woche.

Man traf sich immer wieder gern am Hummerstand im Hanse-Viertel. Oder in einem Weinlokal im Levantehaus. Man mochte sich, und man hatte offenbar die gleiche Wellenlänge. Sie, die Geschäftsfrau mit einem Faible für Luxus, und er, der Mann, der von seinem Vermögen erzählte, seinem Porsche und einer eigenen Insel in der Südsee. Und als die Dame eines Tages in einer finanziellen Misere steckte, schien Jan F. ihr der richtige Mann zu sein, der ihr helfen könnte. "Er macht ja wirklich keinen Knastbruder-Eindruck", sagt seine Bekannte Petra G. vor Gericht.

Nein, diesen Eindruck macht der braun gebrannte 61-Jährige tatsächlich nicht mit seiner seriösen Goldrandbrille, dem Sakko aus schickem Tuch und dem adretten Haarschnitt. Nur dass das angebliche Vermögen gar nicht existierte und die Insel und der Porsche in Wahrheit Erfindungen von Jan F. waren. Und dass der Mann in Wahrheit jahrelang im Gefängnis saß. 23 Eintragungen enthält sein Vorstrafenregister, viele wegen Betruges oder Veruntreuung.

Nun also soll der Mann erneut eine Straftat begangen haben, wegen der er sich vor dem Landgericht verantworten muss. Er ist angeklagt, seiner Bekannten, die wegen Geldschwierigkeiten ihre 14 000 Euro teure Rolex verkaufen wollte, vorgegaukelt zu haben, er könne sie für mindestens 6000 Euro an einen Bekannten veräußern. Tatsächlich soll er die Uhr dann in einem Pfandhaus für 2900 Euro beliehen und ihr lediglich 2000 Euro ausgehändigt haben. Erst Monate später löste er die Uhr aus und gab sie zurück - nachdem seine Bekannte ihn angezeigt hatte und sie sich deswegen vor Gericht wiedertrafen. Er habe sich die Uhr "dauerhaft zueignen" wollen, hatte im Juni das Amtsgericht festgestellt, das gegen den Mann eine zehnmonatige Haftstrafe wegen Betrugs und Untreue verhängte - ohne Bewährung. Dagegen legte Jan F. Rechtsmittel ein, deswegen wird die Sache jetzt in zweiter Instanz vor dem Landgericht verhandelt. Ziel der Berufung sei "ein Freispruch oder sonst eine Geldstrafe oder Bewährung", erklärt der Verteidiger. Mit anderen Worten: bloß nicht wieder Gefängnis.

Und so fängt Jan F. an, seine Geschichte zu erklären. Tatsächlich kenne er jemanden, der an der Uhr Interesse hatte. Doch schließlich habe der Bekannte abgewinkt, weil es für die Rolex keine Papiere gab. Da habe Jan F. die Uhr ins Pfandhaus gebracht. "Ich behauptete, die Uhr liegt im Safe. Sie legte mir 100 Euro Provision hin."

Die Zeugin habe doch weiteres Geld von ihm erwartet, hakt der Vorsitzende Richter nach. "Haben Sie sie mal angemorst?" "Nein", antwortet der Angeklagte. Er habe sein Handy verloren und sei deshalb nicht erreichbar gewesen. Warum er die Uhr überhaupt ins Pfandhaus gebracht habe, will der Richter wissen. "War es bei Ihnen auch so knapp?" "Ja, es war nicht gerade rosig", räumt Jan F. ein. Er habe sich damals unter anderem Geld von einem Bekannten borgen müssen.

"Ich habe mit ihm über meine finanzielle Misere gesprochen und darüber, dass ich meine Uhr gern verkaufen würde", schildert seine Bekannte vom Hummerstand als Zeugin. "Die verkauf ich dir für 6000 Euro", habe Jan F. gesagt. "Und schon war die Uhr in seiner Tasche." Mit dem Gang ins Pfandhaus "wäre ich nicht einverstanden gewesen". Als sie die Rolex zurückhaben wollte, habe Jan F. sie zunächst immer wieder vertröstet. "Und schließlich ging er nicht mehr ans Telefon. Die Mailbox war ausgeschaltet. Er war spurlos verschwunden."

Auf sechs Monate Haft wegen Untreue erkennt schließlich das Landgericht. "Sie wussten, dass die Zeugin mit der Verpfändung der Uhr nicht einverstanden sein würde. Und obwohl Sie das wussten, taten Sie es, weil Sie dringend Geld benötigten", begründet der Vorsitzende Richter das Urteil. Jan F. habe durch die Verpfändung der Uhr das Vermögen der Zeugin gefährdet. "Es war nicht sicher, dass Sie sie wieder einlösen könnten." Und schließlich habe er die Rolex "nur auf äußersten Druck zurückgegeben". Die Strafe könne nicht zur Bewährung ausgesetzt werden, betont der Richter. "Denn dazu muss eine ausreichende Wahrscheinlichkeit bestehen, dass Sie keine weiteren Straftaten begehen. Und da muss man sich an Fakten halten." Die etlichen Betrügereien und die Tatsache, dass Jan F. immer wieder trotz Bewährung straffällig wurde, seien nun wirklich kein gutes Zeugnis.

Und Petra G.? Für die Zeugin scheinen wieder rosigere Zeiten angebrochen zu sein, zumindest finanziell. Im edlen pelzbesetzten Mantel ist sie vor Gericht erschienen, mit Designerhandtasche, und am Handgelenk trägt sie wieder eine Rolex. Ob das die besagte Uhr sei, fragt der Vorsitzende Richter. "Nein, das ist eine andere. Aber die Rolex, um die es hier geht, habe ich noch. Und dass ich sie noch mal aus der Hand gebe, wird mir auch so schnell nicht wieder passieren."