Es sind ebenso kuriose wie spannende Fälle, die Bettina Mittelacher in ihrer Gerichtskolumne beschreibt. Es geht um kaum beachtete, aber interessante Prozesse vor dem Amts- und Landgericht.

Zart war sie und verletzlich. Ein Kind noch, gerade zwölfeinhalb Jahre alt, als es zum Opfer wurde. Nein, Gewalt hat Kay K. nicht bei ihr angewendet. Und auch keine Drohungen, als der damals 36-Jährige zum ersten Mal Sex mit dem Mädchen hatte. Der Mann hat es auf subtile Art gefügig gemacht. Schleichend, perfide. Ein Opfer, das sich nach Zuwendung und Vertrautheit gesehnt hatte. Und dessen Vertrauen er auf schändliche Art missbrauchte. Für das, was Kay K. ein "natürliches Bedürfnis" nennt. Sein Bedürfnis nach Sex. "Es ist einfach geschehen", sagt der Mann schlicht. "Für mich war es normaler Verkehr."

Normaler Verkehr? Mit einem Kind? Diese Aussage macht fassungslos, und strafbar sind diese Handlungen sowieso. Deswegen muss sich der gelernte Schweißer vor dem Landgericht verantworten. Sechs Taten der sexuellen Handlungen an einem Kind wirft die Staatsanwaltschaft dem heute 40-Jährigen vor.

Ein bisschen Zuwendung, Nähe und Wärme. In die Arme genommen werden. Susanne (Name geändert) hat es genossen. Gebraucht sogar. Denn ihre Eltern hatten keinen Sinn für die Bedürfnisse der Tochter. Umsorgt werden und beschützt? Für das Mädchen unbekannte Größen. Doch dann war da Kay, der gute Freund des Vaters, der sich um sie kümmerte, den sie brauchte als eine Art Papa-Ersatz und guten Freund. Der aber in Wahrheit kein Freund war, sondern sie benutzte. Mehr als vier Jahre liegt das zurück, doch die Wunden in Susannes Seele sind noch lange nicht verheilt. Schuldgefühle hat die heute 17-Jährige, und sie lehne ihren Körper ab, erklärt ihre Anwältin vor Gericht.

Wie kann man ihr helfen? Mit einer Therapie, die sie dringend benötigt. Aber auch, indem man ihr eine Aussage vor Gericht erspart, in der sie alle Details noch einmal schildern müsste. Die Verfahrensbeteiligten sind sich einig: Das soll sie nicht durchmachen müssen. Und so verständigen sie sich darauf, dass Kay K. bei einem umfassenden Geständnis zwei Jahre zur Bewährung bekommen könnte. Also räumt der große, massige Mann die sexuellen Handlungen ein, zögerlich, sichtbar peinlich berührt. Doch er packt aus darüber, wie er Susanne für sich gefügig machte. Er erzählt, dass er ihr Pornofilme gezeigt habe. Dass er ihr vorgaukelte, er habe auch mit seiner Nichte Sex gehabt, als sie genau im Alter von Susanne war. Es waren Lügengeschichten. "Wollten Sie damit ausdrücken, dass das Mädchen das auch mit Ihnen machen soll?", fragt der Vorsitzende Richter. Kay K. windet sich. "Ja", gibt er schließlich zu.

Susanne hat all das auch schon geschildert, in Vernehmungen bei der Polizei. Sie sei damals Außenseiterin gewesen, "keiner mochte mich. Aber Kay war für mich da." Sie hätten irgendwann auch über Sex geredet. "Ich sagte, dass ich das nie machen wolle." Aber schließlich "dachte ich, dass das normal ist. Ich dachte, ich probier das mal aus. Ich hatte dann auch eine Sucht nach Geschlechtsverkehr." Der 40-Jährige hätte so nicht mit ihr umgehen dürfen, sagt sie schluchzend. "Er hat mich benutzt. Ich war ein kleines Mädchen!"

Auf die vereinbarten zwei Jahre Haft zur Bewährung lautet dann das Urteil des Landgerichts. Zusätzlich muss der Angeklagte an Susanne 2000 Euro Schmerzensgeld zahlen und eine Sexualtherapie machen.

Auf Rückhalt von den Eltern kann Susanne nach wie vor nicht zählen. Nicht sie waren es, die ihre Tochter auf dem Weg zu ihrer Aussage bei der Polizei begleitet hatten, sondern ihre Tante. "Meine Eltern wollten, dass ich es nicht weiter verrate", hatte sie bei ihrer Vernehmung gesagt. Susanne lebt bis heute bei ihnen.