Matthias Kray ist ein Jäger der verlorenen Schätze. Mit einer Sonde spürt er im Sand Münzen aus der Kaiserzeit sowie Schmuck auf.

Othmarschen. Möwen kreischen, von Backbord klappern Container, Schiffssirenen tuten, rhythmisch platscht das Wasser ans Ufer. Doch der Mann mit der Arbeitsweste hat kein Ohr für diese Seite der Elbe. In sich gekehrt, schreitet er den Strand ab - systematisch, Meter für Meter. Dabei bewegt er ein Gerät hin und her, das Ahnungslose an einen Staubsauger erinnert. Bisweilen hält er inne, bückt sich, füllt etwas Sand in einen kleinen Eimer, siebt. Und so geht das weiter. Freizeit sieht anders aus.

Die Gäste vor der Strandperle in Övelgönne beäugen neugierig das geheimnisvolle Wirken. Bis die Kellnerin Aufklärung schafft: Der Mann ist kein Spinner, sondern Schatzsucher. Auf der Fahndung nach kleinen Dingen, die großen Wert haben können. Hin und wieder bleibt er stehen und steckt etwas in den Lederbeutel am Gürtel. Höchst rätselhaft das Ganze.

"Moin, dürfen wir kurz stören?" Der Mann stoppt, lächelt, entfernt die Ohrhörer und antwortet: "Immer zu." Bei einem Pott Kaffee, schwarz und ohne Zucker, vor dem Strandkiosk Ahoi, kommt man sich näher. Er stellt sich als Matthias Kray vor. 48 Jahre alt, Hamburger, Auftragssucher. Motto: "Sie verlieren, wir finden." Also ein Jäger der verlorenen Schätze.

Gut gelaunt holt er einen Plastikbeutel aus dem Eimer: jede Menge Münzen, großteils stark verrostet, drei silberfarbene Ringe, ein Goldkettchen. "Das Ergebnis des Vormittags", sagt Kray. Gut und gerne 30 Euro in bar, vom Cent bis zum Zwei-Euro-Stück. Und ein paar alte Markstücke sind auch dabei. Die Ringe und das Kettchen indes, das sieht ein Profi auf den ersten Blick, kann man in die Tonne schmeißen. "Macht man aber nicht", meint er. "Wir haben einen strengen Ehrenkodex."

+++ 100 Hamburger räumen den Strand in Övelgönne auf +++

Im Sauseschritt skizziert Kray sein Leben, das alles andere als geplant verlief. Gebürtiger Wandsbeker, vierfacher Vater, Großvater, von Haus aus Fensterputzer, Scheidung, zwei Schlaganfälle, die Normalität geriet aus den Fugen. Seit Jahren ist er krankgeschrieben, lebt von Hartz IV, wartet auf den Rentenbescheid.

"Der Fernsehbeitrag eines Boulevardsenders gab neue Perspektiven", erinnert sich der stämmige Mann mit dem gewinnenden Wesen an die Wende 1997. Es ging um Schatzsucher und Goldgräber in Florida, die mit Metallsonden fündig wurden und angeblich auf Geldbergen saßen.

Kray träumte von einem Dasein à la Dagobert Duck, machte den Importeur der Spezialgeräte ausfindig, kratzte umgerechnet 400 Euro zusammen, fuhr nach Hameln, erstand einen Detektor. Gemeinsam mit Kumpel Peter ging's los. Erste Station der Schatzjagd: der Strand des Angelplatzes 592 in Neuengamme. Und, welch Wunder, auf Anhieb signalisierte der Apparat mit ausziehbarer Stange, Sonde und akustischem Signal via Sender und Kopfhörer Verheißungsvolles. "Wir fanden einen fetten Silberring", gräbt Kray in seinen Erinnerungen. "Da haben wir Blut geleckt."

Immer wenn Zeit blieb, und das war oft, machten sich die beiden mit ihren Detektoren auf die Suche. Die Elbe rauf und runter, Badeseen im Umkreis, Nord- und Ostseeküste. Vom Jagdfieber beseelt, führte Kray Tagebuch. Binnen zwölf Monaten, so die Notizen zum Start des tiefschürfenden Hobbys, förderte er allein im Umfeld des Riesenfindlings "Alter Schwede" bei Övelgönne 800 Münzen aus Kaiserzeit und Weimarer Republik zutage. Nachforschungen ergaben: Aus der Region nahe der Kattwykbrücke im Hamburger Hafen war Sand antransportiert und am Strand aufgeschüttet worden. Also auf zur Kattwyk-Brücke! "Eimerweise" sei man dort fündig geworden. Allerdings habe es dafür nicht viel mehr als den Schrottpreis gegeben.

"Richtig wertvolle Gegenstände fanden wir nicht", sagt Kray, "aber die Fundstücke reichten, um das Fieber zu steigern." Er gründete einen Klub, dem sich bundesweit gleich gesinnte Jäger verlorener Schätze anschlossen. "Grundsätzlich war und ist es uns wichtig, im Einklang mit den Gesetzen zu arbeiten." Ringe, Ketten oder Armbanduhren müssen dem Fundamt übergeben werden, gehörten indes nach einem halben Jahr dem Finder. "Ein ursprünglicher Besitzer", sagt Kray, "hat sich bei mir noch nie gemeldet."

Anfänglicher Ärger mit den Behörden wegen des Verdachts strafbarer "Raubgräberei" habe sich alsbald erledigt: "Nicht antike Ausgrabungen, sondern Edelmetalle sind unser Ziel."

Im Laufe der Jahre füllten sich die Eimer, Kisten und Regale der vereinigten Schatzsucher. Der Traum vom großen Fund machte Beine. Sie fanden an der Elbe alte Beile, kleine Musketen und elf Pfund schwere Kanonenkugeln, Messer, kiloweise Münzen, Ringe und so weiter. Aber eben auch jede Menge Kronkorken, Coladosen, Nägel, Matchbox-Autos, Stahlkrampen und anderen metallischen Nippes.

70 Prozent, sagt Kray, sind Schrott. Dem Ehrenkodex zufolge wird dieser nicht weggeworfen, sondern entsorgt. Zur Freude der Kiosk- und Restaurantbesitzer am Elbstrand. "Matthias ist immer willkommen", sagt Kolja Thomsen, Geschäftsführer der Strandperle. Wegen seiner fröhlichen Art, der interessanten Geschichten, aber auch aus ganz praktischen Gründen: Schatzsucher Kray hält den Sand relativ frei von Schrott. Außerdem fördert er regelmäßig Bestecke zutage, die achtlose Gäste fallen ließen.

"Reich geworden ist noch keiner von uns", bekennt Kray. Die richtigen Schätze liegen in der Nähe alter Burgen, in großer Tiefe - oder in der Fantasie. Herkömmliche Sonden spüren Metall nur 30 Zentimeter weit auf; für tiefer gehende Aktionen wird teures Hightech-Gerät verlangt. Eine Nummer zu groß für die Hobbysammler.

2003 kamen Kray und seine Kollegen auf die Idee, das Angenehme mit dem Nützlichen zu verbinden. Es wurde die Vereinigung der Auftragssucher gegründet. Unter www.aktivsucher.de sind überall in Deutschland Mitstreiter vernetzt.

Hat jemand seinen Ehering im Garten, seine Armbanduhr im Wasser oder ein Amulett im Schnee verloren oder wähnt im Krieg verbuddeltes Geschmeide unter den Dielen des Wochenendhäuschens, rückt bei Bedarf ein Schatzsucher mit Sonde und professionellem Riecher an. 75 Euro kostet der Einsatz pauschal. Im Erfolgsfall kommen zehn Prozent des Wertstücks hinzu. Manchmal ist der Dank größer als der Verdienst. Und oft ist außer Spesen nichts gewesen.

Matthias Krays Lebensgefährtin Ute aus Farmsen übt Geduld mit der Leidenschaft ihres Schatzes. Wenn es diesen nachts in den Wald zieht, vergrabenen Reichtümern auf der Spur, drückt sie beide Augen zu. Ebenfalls, wenn er im Frühling zum "Schatzsuchertreffen" nach Trier fährt. Vor neun Jahren ist Kray dort deutscher Vizemeister geworden.

Es gibt eben Dinge, die kann man sich als Normalsterblicher nicht vorstellen. Mit geröteten Wangen berichtet Matthias Kray von Kübeln voller Goldmünzen, die römische Legionen einst in Elbnähe versteckt haben sollen. Und noch lukrativer vielleicht: Auf einem uralten Stich in einer Hamburgensie meint Kray klare Hinweise entdeckt zu haben - im Köhlbrand ist vor ewigen Zeiten eine Kogge explodiert, prall gefüllt mit Schmuck, Münzen und Silberbarren. Das wäre natürlich der Fund des Jahrtausends.

"Man weiß ja nie ...", sagt Schatzsucher Matthias Kray. Die Hoffnung wird zuletzt vergraben.