Vor 100 Jahren gründeten hanseatische Hobby-Zauberer den Magischen Zirkel, Deutschlands ersten Magier-Klub: über die Lust an der Illusion.

Hamburg. Thomas Gundlach führt ein Doppelleben. Bei Tag ist er Professor für Kriminalistik an der Polizeihochschule in Hamburg; ein Spezialist für Vernehmungsmethoden und Spurensicherung am Tatort. Bei Nacht hingegen schlüpft er in die Rolle eines gewissen Hans Schock oder manchmal auch in die von Inspektor Merlin - beides seltsame Gestalten, die Unmögliches möglich machen können. Dann beweist er, dass man ihn zu Recht zu Hamburgs oberstem Zauberer gewählt hat: zum Vorsitzenden des Magischen Zirkels und "Chef" von knapp 50 Enthusiasten, die nach der Satzung ihres Vereins "die Zauberkunst, die auf Geschicklichkeit und Täuschung der Wahrnehmung beruht", pflegen und fördern wollen.

"Zauberkünstler sind weder Alchimisten noch Esoteriker", sagt Gundlach, wenn er gefragt wird, wie es hinter den Kulissen des Zirkels zugeht. "Naturgesetze können auch wir nicht aufheben. Echtes Geld aus dem Nichts schöpfen ebenso wenig. Die Unterhaltungsmagie ist nicht mehr als ein Schauspiel."

Zauberer lassen Menschen oder Gegenstände erscheinen oder verschwinden, heben zuweilen die Schwerkraft auf oder lassen feste Materie durch feste Materie dringen. Aber: Sie tun all das nicht wirklich. Sie haben keine übernatürlichen Fähigkeiten, sondern vermitteln lediglich einen Schein. Das Unmögliche findet ausschließlich in den Köpfen der Zuschauer statt. "Die Zauberkunst unterhält durch Illusion", sagt Gundlach. "Das Publikum weiß genau, dass es getäuscht und nicht verhext wird. Wir führen es nur an die Grenzen der eigenen Wahrnehmungsfähigkeit." Da hört man den Kriminalisten heraus.

Mit Gundlachs Zirkel begann es im Frühjahr 1912, als der damals populäre Zauberkünstler Friedrich Conradi-Horster in Altona eine Vorstellung gab. Nach der Veranstaltung beschlossen ein paar magische Enthusiasten, "einen Klub für Zauberfreunde" zu gründen. Motor der Initiative war der Hamburger Kaufmann Karl Schröder (1876-1960), der am 8. Mai 1912, dem offiziellen Gründungstag, den ersten Vorsitz übernahm.

Damit ist der Magische Zirkel von Hamburg der älteste Magier-Klub in Deutschland und einer der ältesten Magier-Klubs der Welt. Überdies war er die Keimzelle des Magischen Zirkels von Deutschland, der heute über 2800 Mitglieder in etwa 90 Ortszirkeln hat. Das Jubiläum soll standesgemäß gefeiert werden: mit einer Ausstellung zur Kulturgeschichte der Zauberkunst im Altonaer Museum, Galas im Altonaer Theater und einer großen Zauberbörse, auf der Seminare und Vorträge zu "magischen" Themen geboten werden.

Die Zauberei als Steckenpferd hat freilich eine viel längere Geschichte als der Zirkel. Gern weisen Magier darauf hin, dass schon seit dem späten 16. Jahrhundert Bücher über die Grundlagen ihres Metiers aufklären. Anfangs sind es vor allem Schriften, die im Kampf gegen den Volksaberglauben entstehen. So ist das wohl berühmteste frühe "Zauberbuch", das Tricks erläutert, die philosophisch-theologische Abhandlung eines englischen Landedelmannes und Friedensrichters namens Reginald Scot, der unter dem Titel "The Discoverie of Witchcraft" (1584) zeitgenössische Gaukeleien enttarnt. Scot will beweisen, dass nicht alles, was auf den ersten Blick unmöglich erscheint, das Werk des Satans oder einer Hexe sein muss.

Wenig später tauchen erste Werke auf, die sich bereits als echte Anleitungsbücher zu Unterhaltungszwecken verstehen. Das berühmteste von ihnen, "Hocus Pocus Iunior", erscheint erstmals 1634 in England. 1667 wird es ins Deutsche übersetzt. Bis 1766 gibt es allein hierzulande mindestens fünf Auflagen sowie etliche Neu- und Raubdrucke. Und Kunststücke aus dem "Hocus Pocus Iunior" tauchen immer wieder in neuen Zusammenhängen auf. So zum Beispiel in einem um 1700 vom Hamburger Verleger Thomas Wiering vertriebenen "Complementir-Frisier-Trenchier- und Kunst-Buch". Neben Benimmregeln und Anweisungen für das Zerlegen von Fleisch, Fisch und Geflügel sollen sie dort einen Beitrag zur gehobenen Tafelkultur leisten.

+++ Jubiläumsprogramm +++

Im 18. Jahrhundert wird es zudem üblich, dass umherreisende Mechaniker, selbst ernannte "Experimentalphysiker" und andere Parawissenschaftler bei ihren Vorführungen im 18. Jahrhundert vielfach neueste naturkundliche Erkenntnisse mit allerlei magischem Brimborium verknüpfen. Es wird Mode, sich für das Zaubern zu interessieren. Lange hatten Taschenspielereien lediglich als der Broterwerb schmieriger Gaukler gegolten. Jetzt tauchen in bürgerlichen Kreisen die ersten Zauberkästen auf, in Frankreich sinnig "Boîtes Physiques" genannt. Sie sollen Geschicklichkeit, Wissen und Unterhaltung zugleich vermitteln. Kein Geringerer als Goethe bemerkt, nachdem er seinem Enkel Walther einen Zauberkasten geschenkt hat: "Ich habe nichts dawider (...), dass die Knaben ihre müßigen Stunden mit solchen Torheiten ausfüllen. Es ist, besonders in Gegenwart eines kleinen Publikums, ein herrliches Mittel zur Übung in freier Rede und Erlangung einiger körperlichen und geistigen Gewandtheit." Die Zauberkunst ist zum Mittel der Charakterbildung sprich zu einem pädagogisch wertvollen Zeitvertreib avanciert.

Kein Wunder, dass etwa ab Mitte des 19. Jahrhunderts Zauberbücher in Massen auf den Markt kommen. In Hamburg ist es vor allem der Verlag B. S. Berendsohn, der solche Werke in seinem Programm führt. Überwiegend handelt es sich um sogenannte Bosco-Literatur - Heftchen, die vorgeben, Kunststücke des berühmten Bartholomeo Bosco (1793-1863) zu verraten. Dabei erlebt der Titel "Bosco in der Westentasche" angeblich mehr als 40 Auflagen zwischen 1841 und dem Ende des 19. Jahrhunderts. In höchstem Maße populär werden die Bücher von Carl Willmann (1849-1934), einem gelernten Uhrmacher aus Mecklenburg, der sich um 1870 in Hamburg niederlässt und hier eine der bedeutendsten Manufakturen für die Fabrikation von Zauberapparaten und anderen Ausstattungsgegenständen für Magier etabliert. Nach dem Ersten Weltkrieg gründet er zusammen mit seinem wichtigsten Hamburger Konkurrenten, der Firma Janos Bartl (Zauber-Bartl), "Die vereinigte Hamburger Zauberapperatefabrik". Allerdings trennt man sich 1924. Willmann muss schließen, Zauber-Bartl bleibt unter wechselnder Inhaberschaft bis 2002 bestehen. Seine Autoren-Karriere hatte Willmann übrigens im Kampf gegen die Spiritistenbewegung des späten 19. Jahrhunderts begonnen. Seine frühen Werke sind kritische Auseinandersetzungen mit den scheinbaren Wundern der Medien, Hellseher und Geisterzitierer. Willmann enttarnt sie als profane Täuschungskünstler und sorgt damit für Furore. Sein wichtigstes Buch erscheint 1891: "Die Moderne Salonmagie".

Zum Jubiläum des Magischen Zirkels hat Thomas Gundlach eine Geschichte des Vereins geschrieben. Demnach hatte schon Willmann versucht, eine "Vereinigung zur Förderung der Magischen Kunst" zu etablieren. 1899 sei sie gegründet worden und habe zeitweise 150 Mitglieder gezählt. Man traf sich in den Geschäftsräumen des Zauberhändlers in der ABC-Straße. Aber die Vereinigung und Willmanns Zeitschrift "Zauberwelt" seien wieder eingeschlafen. Man wird annehmen dürfen, dass es sich bei der "Vereinigung" vor allem um den Kreis von Willmanns Abonnenten gehandelt hat.

Für Thomas Gundlach ist Hamburg Deutschlands heimliche Hauptstadt der Magie: "Helmut Schreiber, der unter dem Künstlernamen ,Kalanag' zum deutschen Copperfield der 1950er-Jahre wurde, hat lange in Othmarschen gelebt und sein famoses Revueprogramm erstmals im Hamburger Schauspielhaus präsentiert", sagt er. "Auch Siegfried und Roy haben ihr Publikum anfangs im Hansa-Theater bezaubert." Gerade ist ein neuer Stern am hanseatischen Zauber-Himmel aufgegangen: Die Hamburgerin Alana Möhlman, 27, hat den begehrten Titel der "Deutschen Meisterin der Zauberkunst" geholt. Gelernt hat sie ihr Metier nicht zuletzt auf der Bühne des Magiculums. Es ist das Zaubertheater, das der Magische Zirkel Hamburg seit mehr als vier Jahrzehnten unterhält und das heute seinen Sitz in Ohlsdorf hat.

"Selbstverständlich lebt die Zauberkunst vom Geheimnis", sagt Gundlach. "Aber der Magische Zirkel schottet sich keineswegs ab. Wer nicht bloß aus Neugierde, sondern mit ernsthaftem Interesse kommt, kann viel über das Zaubern erfahren und nach einer Prüfung in Theorie und Praxis Mitglied werden."

Das klingt allerdings einfacher, als es ist, denn auch in der Welt der Magie haben die Götter den Schweiß vor den verblüffenden Erfolg gesetzt. Wer wüsste nicht von der buchstäblichen "Ent"-Täuschung, wenn nicht gar Verzweiflung zu berichten, die ihm der erste Zauberkasten beschert hat. Aber hier ist Gundlach streng: "Wer Magier werden will, muss üben, üben, üben."

Unser Autor Peter Rawert ist Notar und Amateurzauberer in Hamburg. Er sammelt alte Zauberbücher.