Viele Franzosen stimmen nicht für Hollande, sondern gegen Sarkozy als Präsidenten

Er sei "reizbar, aufbrausend, übertrieben selbstbewusst" und lasse "keinerlei Raum für Zweifel, am wenigsten an sich selber", hat der frühere französische Staatspräsident Jacques Chirac in seinen Memoiren über seinen Nachfolger Nicolas Sarkozy vermerkt. Es ist ein Urteil, das offenbar viele Franzosen teilen. Sarkozy läuft akute Gefahr, der erste Präsident Frankreichs seit Giscard d'Estaing 1981 zu werden, der eine zweite Amtszeit an der Urne verpasst. Umfragen deuten auf einen Sieg des Sozialisten François Hollande bei der Stichwahl am 6. Mai hin.

Dies wäre dann allerdings weniger eine Entscheidung für den blassen Hollande als gegen "hyper-president" Sarkozy. Dessen Stil zwischen Sonnenkönig und Springteufel geht vielen Franzosen zunehmend auf die Nerven. Zudem hat der Präsident sein erklärtes Hauptziel, die Stabilisierung der französischen Wirtschaft und Arbeitswelt, klar verfehlt. Die Arbeitslosigkeit liegt doppelt so hoch, wie Sarkozy bei Amtsantritt versprochen hatte; die Sozialsysteme Frankreichs sind dank Reformstau nach wie vor ein Fass ohne Boden, und die Wirtschaft hinkt der deutschen erbarmungswürdig hinterher. Es ist Sarkozy, der die zehnprozentige Arbeitslosenquote und den Verlust der Bonitätsnote AAA politisch zu verantworten hat. Die 2007 mit Pathos angekündigte "rupture", der Bruch mit dem Stillstand, ist weitgehend gescheitert. Es bleibt die Erhöhung des Rentenalters von 60 auf 62 Jahre - die Hollande sofort rückgängig machen will. Während dessen Motto "Wandel jetzt" geradezu einen obamaschen Charme entfaltet, ringt Sarkozy verzweifelt um ein politisches Leitmotiv. Sein plakatives "Das starke Frankreich" bleibt seltsam blutleer und vermag die unter der Krise leidenden Bürger kaum zu begeistern.

Ausgerechnet der Sohn eines ungarischen Immigranten und einer Griechischstämmigen sucht nun sein Heil im fremdenkritischen Rechtspopulismus - etwa wenn er illegalen Einwanderern den Kampf ansagt, Tausende Roma ausweist und öffentlich erklärt, der afrikanische Mensch habe "nur unzureichend die Geschichte betreten". Da schimmert er dann wieder durch, der stramme Innenminister Sarkozy, der 2005 die Pariser Vorstädte mit dem Kärcher von "Gesindel" reinigen wollte und zwei Jahre später als Präsident gewählt wurde. Mögen auch viele Franzosen applaudieren, wenn Sarkozy der rechtsradikalen Marine Le Pen damit Wähler abjagen will: Die Misere der Wirtschaft dürfte den Urnengang eher entscheiden. Man hört geradezu Bill Clinton rufen: "It's the economy, stupid!", es geht um die Wirtschaft, du Dummerchen! Und in dieser Hinsicht ist es zweifelhaft, ob Hollande, der Wohlhabende irrwitzig hoch besteuern und ein Füllhorn über Benachteiligte ausschütten will, wirklich die besseren Erfolgsrezepte auf Lager hat.

Außenpolitisch hat Nicolas Sarkozy durchaus reüssiert - gemeinsam mit Angela Merkel in der europäischen Krise und im Alleingang als Initiator eines Friedensplans 2008 im Georgien-Konflikt sowie in der Handhabung der Libyen-Krise.

Doch nun im Wahlkampf ist Sarkozy programmatisch ständig in nervöser Bewegung, ändert seine Meinungen, improvisiert und agitiert. Zweifelnd erlebt Frankreich einen Zappelphilipp, der sich als Supermann in der Trikolore verkaufen will. Dem ungekrönten König der "Sarkonarchie" mangelt es zudem am Gespür in der Krise, wenn sein Élysée-Palast pro Jahr für Glitzer-Repräsentation so viel Steuergelder verbrät wie Weißes Haus und Kanzleramt zusammen.

Sein biederer Rivale hat es vergleichsweise leichter. Politische Fehler können Hollande kaum angelastet werden - er hat ja noch nie ein Regierungsamt ausgeübt.