Die Stimmung im Stadtteil Jenfeld ist gespalten: Einige demonstrieren noch immer täglich, andere haben sich bereits arrangiert. Ein Ortstermin.

Jenfeld. Die Hundewiese am Holstenhofweg: Man grüßt sich, kennt sich, redet miteinander. Eine kleine Gruppe Hundehalter steht wie jeden Mittag am Rand der grünen Auslauffläche. Einer, der fast dazugehört, ist Hans-Peter W. Wie die anderen führt auch der 55-Jährige seinen Hund täglich zu der Wiese zwischen Helmut-Schmidt-Universität und Autobahn. Seinen Labradorrüden Marley mögen die Leute. Mit Hans-Peter W. ist das nicht unkompliziert. Jeder hier weiß, dass er vor mehr als 30 Jahren zwei Frauen vergewaltigt hat.

"Am Anfang hatten wir gemischte Gefühle, wenn Hans-Peter mit seinem Hund hier war", sagt eine Frau Anfang 40, die mit Sohn und Ehemann in Jenfeld lebt und ihren Namen wie die meisten Nachbarn nicht in der Zeitung lesen möchte. "Inzwischen grüßt man sich höflich. Wir haben ja gute Manieren."

+++ Das entscheidende Urteil +++

Einige unterhalten sich beim Gassigehen auch mit dem Mann, der 29 Jahre in Gefängnis und Sicherungsverwahrung war und seit Mitte Januar mit den beiden Ex-Sicherungsverwahrten Karsten D. und Jens B. in einem gelben Klinkerbau lebt.

"Sein Hund ist sehr gut erzogen und spielt immer mit meinem", sagt eine andere Anwohnerin. Die 42 Jahre alte Jenfelderin lebt seit mehr als einem Jahrzehnt in dem Stadtteil. Das Tier könne ja nichts für sein Herrchen. "Außerdem sieht Hans-Peter wie ein gebrochener alter Mann aus", sagt sie. Wirklich gefährlich, nein, so wirke er nicht. "Wüssten wir nichts von seiner Vergangenheit und würde er nicht permanent von Polizisten begleitet, würde er sicher hier bei uns Hundebesitzern stehen."

Die Mehrheit der Hundehalter akzeptiert den Ex-Häftling, einige nehmen ihn sogar in Schutz. Wie etwa neulich, als er von einem Mann massiv beschimpft wurde. "Auf diese Stufe wollen wir uns nicht begeben", sagt die 42-Jährige. "Wäre Hans-Peter der einzige Schwerverbrecher, der vorübergehend bei uns wohnt, wäre das okay." Aber die anderen beiden entlassenen Sicherungsverwahrten - die sind vielen Jenfeldern ein Dorn im Auge. Zumal nur die wenigsten wissen, wie der 1993 wegen Totschlags verurteilte Karsten D. und der Sexualstraftäter Jens B. aussehen. "Bei jedem unbekannten Mann, der einem auf der Straße begegnet, ist der erste Gedanke: Ist es einer von denen oder nicht?", sagt die Anwohnerin.

Nein, so richtig in Ordnung ist die Welt für die Jenfelder hier nicht. Anfang Dezember vergangenen Jahres geriet sie für viele ins Wanken. Damals wurde der Plan des Senats bekannt, entlassene Sicherungsverwahrte in einem leer stehenden Haus unterzubringen. Am 15. Januar zog der Sexualstraftäter Hans-Peter W. in Begleitung von Polizisten in sein neues Zuhause ein, das im gutbürgerlichen Teil Jenfelds liegt. In einer Nachbarschaft mit akkuraten Gärten und geputzten Fenstern. Kurz darauf bezogen auch die verurteilten Schwerverbrecher Karsten D. und Jens B. Wohnungen im ersten Stock des Gebäudes. Für einige Anwohner ist es nach wie vor ein Skandal, dass die drei Männer bis Ende des Jahres ganz in ihrer Nähe leben werden. Dass sie offiziell freie Männer sind, das fällt ihnen schwer zu akzeptieren.

"Der Ruf Jenfelds ist seit Jahren nicht der Feinste", sagt eine Rentnerin. Seit 66 Jahren ist der Wandsbeker Stadtteil ihr Zuhause. "Seitdem diese Männer hier wohnen, ist der Ruf noch schlechter geworden." Seitdem herrsche Unruhe in der Nachbarschaft. Die rüstige Seniorin zählt zu den Anwohnern, für die die Ex-Sicherungsverwahrten noch immer das Gesprächsthema Nummer eins sind. Manchmal sind es 15, manchmal nur fünf Jenfelder, die sich nach wie vor jeden Abend um 18 Uhr zu einer Mahnwache treffen. "Wir wollen dem Senat zeigen, dass wir mit der Unterbringung der Straftäter hier in Jenfeld nicht einverstanden sind", sagt die Rentnerin. Seit mehr als drei Monaten protestieren sie. Weil sie sich nicht geschlagen geben wollen.

Es ist ein ruhiger Nachmittag in der Straße mit den Einfamilienhäusern, ein angenehmer Frühlingstag. Von der angespannten Stimmung in dem Viertel zeugen nur die Spruchbänder, die Anwohner an ihren Balkonen befestigt und zwischen Bäume gespannt haben. "Wohnen auf eigene Gefahr" steht darauf. Und: "Wer schützt unsere Frauen und Kinder?" Diese Frage stellt sich Lilija nicht, die mit ihrem kleinen Sohn im Kinderwagen unterwegs ist. "Ich habe keine Angst, wenn ich hier spazieren gehe", sagt die 34-Jährige. Dass in ihrer Nachbarschaft verurteilte Schwerverbrecher leben, daran denke sie nur selten. "Irgendwo müssen die Männer ja leben", sagt auch eine ältere Dame, die im Senioren Centrum Holstenhof lebt. Die Aufregung im Stadtteil versteht sie nicht. "Erstens haben sie ihre Strafe verbüßt, und zweitens ziehen sie Ende des Jahres wieder weg."

Das bezweifeln die Kritiker jedoch. Sie trauen der Politik nicht mehr. Bei der Frage, was mit den Ex-Sicherungsverwahrten ihrer Ansicht nach passieren soll, müssen sie nicht lange überlegen: Hauptsache weg aus Jenfeld - vielleicht in ein Gewerbegebiet. "An den Pranger stellen können wir die Männer ja schlecht", sagt ein älterer Herr mit grauen Haaren und Hut. Bedauern schwingt in seiner Stimme mit.

Bei Menschen wie ihm werben die Justiz-, Sozial- und Innenbehörde nach wie vor um Verständnis. "Die Sorgen der Anwohner nehmen wir sehr ernst", sagt Pia Böert, Sprecherin der Justizbehörde. "Wir suchen weiterhin das Gespräch mit den Anwohnern." Trotz der Proteste ziehen die drei zuständigen Verwaltungen jedoch eine positive Zwischenbilanz. "Auch wenn es für alle Beteiligten eine nicht immer einfache Situation ist, sehen wir uns aber auf einem guten Weg", sagt Böert. Neben den Demonstrationen stelle man auch fest, dass es Annäherungen zwischen den Ex-Sicherungsverwahrten und Anwohnern gebe. So habe es inzwischen etwa "direkten Gesprächskontakt" gegeben. Wo die drei Männer vom 30. November an wohnen werden, das kann die Justizbehörde noch nicht sagen. "An einer Anschlussunterbringung für die ehemals sicherungsverwahrten Männer wird intensiv gearbeitet." Ergebnisse gebe es noch nicht.

Der Protest macht indes auch nicht vor dem Supermarkt halt. Den Discount-Markt an der Rodigallee/Ecke Schiffbeker Weg boykottieren einige Anwohner - weil sich in dem Supermarkt auch Hans-Peter W., Jens B. und Karsten D. ihre Lebensmittel besorgen. Für Martin, 22, ist das "total übertrieben". Es sei an der Zeit, dass endlich Ruhe in Jenfeld einkehre. "Viele vergessen, dass die Männer frei und keine Gefangenen sind." Ihm sei es egal, ob die Ex-Sicherungsverwahrten in seiner Nachbarschaft, in Eidelstedt oder Othmarschen leben. "Proteste würde es überall geben", sagt er. Jedoch könne er auch nachvollziehen, dass Familien mit Kindern in Sorge seien. So wie die zweifache Mutter Susann, die seit elf Jahren mit ihrem Mann in Jenfeld lebt. "Mir wäre es lieber, die drei wären woanders", sagt die 37-Jährige. Schon häufig sei sie von Bekannten auf das Thema angesprochen worden. "Sie fragen dann immer ganz entsetzt: Was, da wohnt ihr?" Ja, und sie geht in denselben Supermarkt wie die Männer. "Dass einer der Ex-Häftlinge an der Kasse hinter mir stehen könnte, ist aber ein merkwürdiges Gefühl."

Dass die entlassenen Sicherungsverwahrten den Eltern ein mulmiges Gefühl bereiten, kann Donald Staginnus, Inhaber der Tankstelle am Schiffbeker Weg, durchaus verstehen. Er selbst hat jedoch keine Berührungsängste. "Hans-Peter W. kauft öfter Zigaretten bei uns. Er wird wie jeder andere Kunde auch behandelt", sagt er. Unterschiede mache er da nicht. "Warum auch?"