Diakonieverein will Kinder aus Problemfamilien in Sasel ansiedeln. Die Anwohner fürchten um ihr Wohngebiet. Heute fällt die Entscheidung.

Sasel. Seine Hoffnung ruht auf einem Dokument aus dem Jahr 1955. Wenn heute Abend im Ortsamt Alstertal über die geplante Ansiedlung einer Wohngruppe für Jugendliche am Heideknick entschieden wird, setzt Anwohner Peter Jacobsen auf den per Hand gezeichneten Baustufenplan.

Auf dem war die kleine Straße einst mit einem "W" für Wohngebiet gekennzeichnet worden, das nach Baupolizeiverordnung von 1936 auch noch als "besonders geschützt" gilt. "In diesen Wohngebieten werden soziale Einrichtungen nicht zugelassen", teilt das zuständige Bezirksamt Wandsbek mit. Dennoch hat der Diakonieverein Großstadt-Mission Hamburg-Altona am Heideknick ein Grundstück gekauft und will dort von Mai an acht Kinder und Jugendliche aus schwierigen Familienverhältnissen beheimaten.

Das wird voraussichtlich genehmigt werden. "Der Bauprüfausschuss Alstertal ist mehrheitlich der Meinung, dass die Wohngruppe in diesem Gebiet verträglich ist", sagt der Vorsitzende Heinz Seier (CDU). Diese Schlussfolgerung ist möglich, da die Wohngruppe nicht als soziale Einrichtung geltend gemacht werden kann. Anwohner Peter Jacobsen ist darüber verärgert. "Hier wird gültiges Baurecht ausgehebelt. Es wurde ein Antrag auf Nutzungsänderung gestellt. Die Betreuer arbeiten im Schichtdienst. Die Kinder erhalten womöglich Therapien. Für mich ist das eine soziale Einrichtung", sagt er. Das Bezirksamt Wandsbek hält dagegen: "Bei diesem Vorhaben geht es schwerpunktmäßig um das Wohnen", heißt es.

Ob betreute Wohngruppen oder Kitas in einer "besonders geschützten Wohnstraße" erlaubt sind, entscheidet sich immer im Einzelfall. Philip Buse (CDU), Fraktionsvorsitzender der Bezirksversammlung Wandsbek und Fachsprecher für Planung, klärt auf: "Entscheidend ist die Frage, was steht im Vordergrund: Betreuung oder Wohnen?" Für die geplante Wohngruppe der Großstadtmission könnte die Formulierung "besonders geschütztes Wohngebiet" sogar von Vorteil sein. "Geschützt werden soll das Wohnen, wozu auch betreutes Wohnen gehören kann", sagt auch Bezirkssprecherin Anne Bauer. "Fraglich ist, ob diese alten Festsetzungen noch mit der Wirklichkeit übereinstimmen."

Auch in den anderen Hamburger Bezirken spielten die alten Baustufenpläne bei neuen Bauvorhaben mehrfach eine wichtige Rolle. An der Reventlowstraße in Othmarschen will die Kita SterniPark seit Jahren die Zahl der Plätze verdoppeln, doch der Protest der Nachbarn und die Festlegung als geschütztes Wohngebiet im Baustufenplan verhinderten das Vorhaben. Weil Bezirksamt und die örtlichen Politiker das Projekt aber grundsätzlich befürworten, planten sie seit 2009 für das Gebiet den neuen Bebauungsplan Othmarschen 36. Darin ist die Reventlowstraße als allgemeine Wohnstraße eingestuft. Einer erhöhten Zahl an Kita-Kindern steht damit dann nichts mehr im Wege.

Während es im Bezirk Harburg mit dem Villenviertel in Heimfeld nur noch ein geschütztes Wohngebiet gibt, gehören die Anwohnerstraßen in weiten Teilen der Walddörfer und des Alstertals im Bezirk Wandsbek zu dieser Kategorie. Allerdings werden die alten Baustufenpläne in den Bezirken immer häufiger durch neue Bebauungspläne ersetzt. Besonders geschützte Wohngebiete werden dabei meist durch die Kategorie "reines Wohngebiet", wie sie heute an der Bellevue in Winterhude oder der alten Landstraße in Poppenbüttel zu finden sind, ersetzt. Soziale Einrichtungen haben es dann noch schwerer, sich dort anzusiedeln. So war der Bau einer Kita im Bebauungsplan Marienthal 27 von 2006 nicht möglich.

Weil sich die Sozialbehörde zum Ziel gesetzt hat, die Hilfe zur Erziehung von Kindern und Jugendlichen aus Hamburg vermehrt in der Stadt zu betreiben, wird die Nachfrage und die Nutzung von Objekten für Wohngruppen in Wohngebieten steigen. Der Anfang könnte heute mit einem positiven Vorentscheid für die Großstadtmission am Heideknick gemacht werden. Auch wenn Nachbar Peter Jacobsen ankündigt, gegen eine solche Entscheidung Klage einzureichen. Eine Bürgerinitiative hat er bereits gegründet, weit mehr als 100 Unterschriften gesammelt. "Wir haben nichts gegen Kinder. Aber dieses Projekt ist eine erhebliche Einschränkung für die Anwohner", sagt Peter Jacobsen.