Vor 75 Jahren setzten die Nazis das Groß-Hamburg-Gesetz in Kraft, wodurch sich die Stadt von 415 auf 745 Quadratkilometer vergrößerte.

Hamburg. Für Adolf Hitler war Hamburg eine besonders wichtige Stadt. Mindestens 33-mal hat der "Führer" allein zwischen 1925 und 1939 die Hansestadt besucht, die sich nach Kriegsende die Legende zulegte, hier sei alles halb so "braun" und halb so schlimm gewesen. 1935 ließ sich Hitler zum Beispiel mit dem Ausflugsschiff "Jan Molsen" elbabwärts fahren. Dabei, so heißt es, wies man ihn auf die problematische Nachbarschaft zwischen Hamburg und Altona hin, worauf er die Anregung für eine umfassende Gebietsreform erteilt habe.

Mehrere solcher Barkassenfahrten mit der "Jan Molsen" sind verbürgt, aber ob der Diktator bei einer dieser Gelegenheiten jene für die Zukunft Hamburgs so wichtige Weichenstellung einleitete, bleibt Spekulation. Entscheidender für das Zustandekommen des Groß-Hamburg-Gesetzes, das vor genau 75 Jahren in Kraft trat, war eine andere Nazi-Größe: Hermann Göring. Er war es, der jene enorme Veränderung auf den Weg brachte, die am 27. Januar 1937 im Reichsgesetzblatt als "Gesetz über Groß-Hamburg und andere Gebietsbereinigungen" veröffentlicht wurde. Dieses Gesetz trat am 1. April in Kraft und vergrößerte das Hamburger Staatsgebiet von 415 auf 745 Quadratkilometer. Das waren stattliche 80 Prozent. Die Bevölkerung wuchs von 1,19 Millionen auf 1,68 Millionen um rund 40 Prozent.

"Persönliche Beziehungen spielten in der NS-Zeit zur Durchsetzung von politischen Interessen eine besonders wichtige Rolle, und Hamburg war mit der Führung in Berlin bestens vernetzt", sagt der Historiker Frank Bajohr von der Forschungsstelle für Zeitgeschichte in Hamburg. So unterhielt Hermann Göring enge Kontakte in die Hansestadt, schon weil er 1935 die Schauspielerin Emmy Sonnemann, eine Hamburger Fabrikantentochter, geheiratet hatte. Zur Hochzeit war auch Hamburgs NS-Bürgermeister Carl Vincent Krogmann eingeladen, dessen Frau zum Freundeskreis der Braut gehörte. Er habe ein "wertvolles Stück Hamburg enteignet", soll Krogmann zu Göring gesagt und scherzhaft eine Kompensation in Gestalt von preußischen Gebieten gefordert haben.

Auch Karl Kaufmann, der als NSDAP-Gauleiter noch mächtiger war als der Bürgermeister, hatte Göring im November 1936, als sich dieser zur Beerdigung seines Schwiegervaters in Hamburg aufhielt, auf die Notwendigkeit einer Gebietserweiterung hingewiesen. Daraufhin erteilte der preußische Ministerpräsident dem Hamburger Gauleiter einige Befugnisse für benachbarte preußische Dienststellen, womit sich aber kaum etwas positiv verändern ließ.

Göring stand vor einem Interessenkonflikt, denn als preußischer Ministerpräsident wollte er nur ungern Gebiete an Hamburg abtreten, zugleich war er aber "Beauftragter für den Vierjahresplan", den er mit allen Mitteln vorantreiben musste. In dieser Funktion musste ihm daran gelegen sein, dass die wirtschaftliche Dynamik Hamburgs nicht länger durch unnötige Rivalitäten und Kompetenzstreitigkeiten zwischen der Hansestadt und ihren benachbarten preußischen Landkreisen und kreisfreien Städten behindert würde.

Der Vierjahresplan war nicht nur eines von Hitlers Prestigeprojekten, sondern diente ganz klar der Kriegsvorbereitung. Hitler, der 1933 mit der Parole "Gebt mir vier Jahre Zeit" angetreten war, ließ die Wirtschaft damit in den Dienst der Aufrüstung stellen, um innerhalb einer kurzen Zeit Deutschlands "Kriegsfähigkeit" zu erreichen. Zu den wichtigsten Zielen des Planes, der 1936 auf dem Nürnberger Reichsparteitag mit viel Pomp vorgestellt worden war, gehörte es, Deutschland möglichst unabhängig von auswärtigen Rohstofflieferungen zu machen. Da Hamburg hier eine Schlüsselstellung einnehmen sollte, stellte Göring preußische Interessen zurück und entschied sich für eine wirklich umfassende Gebietsreform:

Altona, der einstige Konkurrent, wurde aus der preußischen Provinz Schleswig-Holstein ebenso nach Hamburg eingemeindet wie Wandsbek, die Gemeinden Bergstedt, Billstedt, Bramfeld, Duvenstedt, Hummelsbüttel, Lemsahl-Mellingstedt, Lohbrügge, Poppenbüttel, Rahlstedt, Sasel, Steilshoop und Wellingsbüttel. Doch damit nicht genug: Die Landkreise Pinneberg und Herzogtum Lauenburg wurden zur Ader gelassen, wie auch der zur preußischen Provinz Hannover gehörende Regierungsbezirk Lüneburg, der als großen Brocken die damals schon mehr als 100 000 Einwohner zählende Stadt Harburg-Wilhelmsburg hergeben musste.

Das machte den Betroffenen gewiss nicht nur Freude, zumal mancher Besitzstand und manches Privileg dabei unter die Räder geriet, doch die allgemeine Stimmung war euphorisch. Dass auch Hamburg einige Gebiete, wie zum Beispiel Geesthacht (an das Herzogtum Lauenburg), abgeben musste, fiel nicht groß ins Gewicht.

Frank Bajohr nennt noch weitere Gründe für das Zustandekommen des Gesetzes: "In den ersten Jahren hatte die auf Rüstung und Autarkie ausgerichtete nationalsozialistische Wirtschaftspolitik Hamburg sehr geschadet. Die Stadt litt unter dem Rückgang des Außenhandels, hatte eine überdurchschnittlich hohe Arbeitslosigkeit und verlor von 1933 bis 1936 mehr als 35 000 Einwohner", sagt der Historiker, und fügt hinzu: "Der NS-Führung war klar, dass hier etwas geschehen musste. Das Gesetz war zwar noch nicht die Lösung, aber es schuf eine wichtige Voraussetzung für Hamburgs neue Rolle in der nationalsozialistischen Wirtschaft."

Trotz seiner Machtfülle musste Göring allerdings einige Spielregeln beachten, denn durch den Hamburger Zugewinn brachte er die Machtbalance innerhalb der NS-Hierarchie durcheinander. Einerseits stärkte er die Stellung von Karl Kaufmann, schwächte aber zugleich die Gauleiter Hinrich Lohse (Schleswig-Holstein) und Otto Telschow (Ost-Hannover). Damit sich deren Gesichtsverlust in Grenzen hielt, verlor die Hansestadt Lübeck - quasi als Kollateralschaden des Groß-Hamburg-Gesetzes - ihre Eigenständigkeit und wurde Teil der Provinz Schleswig-Holstein. Und Cuxhaven sowie das Amt Ritzebüttel wurden dem Gau Ost-Hannover zugeschlagen, der mit Harburg-Wilhelmsburg sogar seine Hauptstadt eingebüßt hatte.

Am Abend des 31. März rollten vor dem Hamburger Rathaus schwarze Staatskarossen an, denen Nazigrößen wie der aus Berlin angereiste Reichsinnenminister Wilhelm Frick entstiegen. Drinnen gab es einen Festakt, bei dem man das neue nationalsozialistische Groß-Hamburg feierte. Tags darauf versank der Rathausmarkt, der damals schon fast vier Jahre lang Adolf-Hitler-Platz hieß, in einem Meer aus Hakenkreuzfahnen zur Großkundgebung, bei der Rudolf Heß, der "Stellvertreter des Führers", als Hauptredner auftrat. Der Jubel war groß und in weiten Teilen wohl auch echt, denn viele Hamburger betrachteten diese Gebietsreform als längst überfällig.

Und das war sie tatsächlich, denn angesichts der wirtschaftlichen Dynamik und des Bevölkerungswachstums hatte sich die historisch eher gewucherte als gewachsene Gebietsstruktur schon seit Jahrzehnten mehr und mehr als anachronistisch erwiesen. Auch wenn es nicht primär um Aufrüstung und Kriegsvorbereitung gegangen wäre, hätte sich eine deutliche Erweiterung des Hamburger Staatsgebiets aus wirtschaftlichen Gründen nicht dauerhaft verhindern lassen. Bereits vor dem Ersten Weltkrieg hatte der Senat den ersten entsprechenden Vorstoß unternommen, was aber ebenso folgenlos blieb wie die "Denkschrift über die Notwendigkeit einer Erweiterung des hamburgischen Gebietes", die Hamburgs Stadtregierung 1922 an die Berliner Reichsregierung schickte. Hamburg forderte, dass 34 Gemeinden mit einer Gesamtfläche von mehr als 19 000 Quadratmetern dem hamburgischen Staatsgebiet zugeschlagen werden sollten. Stattdessen gewannen die preußischen Gebiete jenseits der Stadtgrenze an Gewicht. Durch die Vereinigung der Stadtkreise Harburg und Wilhelmsburg entstand 1927 mit Harburg-Wilhelmsburg eine weitere Großstadt. Unter den labilen politischen Verhältnissen der Weimarer Zeit war an eine tief greifende Gebietsreform überhaupt nicht zu denken. Ende 1928 gelang es lediglich, den Frachtverkehr in den Häfen von Hamburg, Altona und Harburg mithilfe des Preußisch-Hamburgischen Hafenvertrags etwas zu erleichtern.

Für die gescheiterten Bemühungen ihrer Vorgänger hatten die NS-Machthaber nur Hohn und Spott übrig. Frick sagte in seiner Rede, die er vom Rathausbalkon aus hielt: "Es ist zusammengeschlossen, was notwendigerweise längst zusammengehörte: Groß-Hamburg ist Wirklichkeit geworden." Und das war mehr, als sich die Hamburger Interessenvertreter noch vor wenigen Monaten hatten träumen lassen. Auch wenn Hitler wahrscheinlich nicht selbst den Anstoß gegeben hat, war das Gesetz ganz in seinem Sinne, denn für die von ihm angestoßenen Planungen, Hamburg zur "Hauptstadt der deutschen Schifffahrt" auszubauen, wären die alten Stadtgrenzen hinderlich gewesen.

Nach Kriegsende behauptete Bürgermeister Krogmann, das Bauprojekt, das unter anderem eine Hochbrücke, ein 250 Meter hohes Gauhochhaus und eine gigantische Volkshalle umfasste, sei der eigentliche Grund für das Groß-Hamburg-Gesetz gewesen - wofür sich jedoch keine Belege finden lassen.

Resümierend stellt Frank Bajohr, der als einer der besten Kenner der NS-Zeit in Hamburg gilt, fest: "Natürlich ging es Göring nicht um das Wohl Hamburgs. Wenn es angesichts des Meeres an Blut und Tränen, das das Regime verursacht hat, nicht zynisch klingen würde, könnte man aber sagen: Das Groß-Hamburg-Gesetz war die einzig sinnvolle Hinterlassenschaft des 'Dritten Reiches'."

Großdeutschland ging im Mai 1945 unter, Groß-Hamburg blieb weiter bestehen, obwohl es in der britischen Militärregierung zunächst Bestrebungen gab, das "Nazi-Gesetz" außer Kraft zu setzen. Einerseits setzten die Briten auf dezentrale Strukturen, waren sich aber andererseits der Vorteile der vorhandenen Gebietsstruktur bewusst, sodass sie sie letztlich nicht antasteten. Allerdings gab es in den eingemeindeten Gebieten Separationsbestrebungen, vor allem in Altona und in Harburg. Aber weder die Wählergemeinschaft Harburg noch die Initiative "Altonaer Freiheit - weg von Hamburg!" konnten eine größere Anhängerschaft für ihre sezessionistischen Ziele mobilisieren.

Gleichwohl gibt es bis heute bei nicht wenigen Bewohnern sowohl in Harburg und Wilhelmsburg als auch in Altona eine Identität, die sich von Hamburg abhebt und auf die eigene Kultur und Geschichte bezieht. Zuletzt zeigte sich das im Herbst 2010 bei der Protestbewegung gegen die vom damaligen schwarz-grünen Senat geplante Schließung des Altonaer Museums.

Unmittelbar davor steht der im Jahr 1900 eingeweihte Stuhlmannbrunnen, dessen siebeneinhalb Meter hohe Figurengruppe zwei Zentauren zeigt, die sich um einen gewaltigen Fisch streiten. Sie symbolisieren die Konkurrenz der Nachbarstädte Hamburg und Altona, nicht nur auf dem Gebiet des Fischfangs.

Tatsächlich ist der Streit längst entschieden, aber die Initiative "Altonaer Freiheit" gibt es bis heute. Und manchmal kann die überparteiliche Organisation sogar kleine Siege verbuchen: So haben die Separatisten zwar den eher augenzwinkernd geforderten Anschluss an Dänemark nicht durchsetzen können, dafür aber eine symbolische Geste: Jeden vierten Donnerstag im Monat - dann tagt die Bezirksversammlung - wird vor dem historischen Altonaer Rathaus nicht nur die Hamburger, sondern auch die Altonaer Fahne gehisst.

Morgen lesen Sie im "Magazin" einen Beitrag über die nie verwirklichten Bauwerke des Groß-Hamburg-Gesetzes.