Zum ersten Mal nach seinem Rücktritt als Bezirksamtsleiter spricht Markus Schreiber über seinen Abgang und Zukunftspläne.

Hamburg. Zehn Jahre lang war Markus Schreiber (SPD) Leiter des Bezirksamtes Mitte. Dann starb die elfjährige Chantal in einer Wilhelmsburger Pflegefamilie an einer Vergiftung durch den Heroin-Ersatzstoff Methadon. Nach heftiger Kritik stellte Markus Schreiber sein Amt zur Verfügung. Dem Abendblatt gab der 51-Jährige jetzt sein erstes Interview seit seinem Rückzug aus dem Amt.

Hamburger Abendblatt: Wie haben Sie sich gefühlt, als Sie am 10. Februar neben Bürgermeister Olaf Scholz im Rathaus standen und öffentlich um Ihre Entlassung gebeten haben?

Markus Schreiber: Die Anspannung war enorm. Ich habe nur gedacht: Wie überstehe ich die nächsten Minuten?

War Ihr Rücktritt freiwillig?

Schreiber: Ja. Ich habe als Bezirksamtsleiter die Konsequenz aus dem Tod der kleinen Chantal gezogen, der eine Katastrophe ist. Als Chef musste ich die Verantwortung für die Versäumnisse meines Jugendamts tragen.
Ich hätte zwar gerne die Umstände noch vollständig aufgeklärt und die notwendigen Veränderungen angeschoben. Doch die Diskussion um meine Person hat letztlich eine konstruktive Sacharbeit unmöglich gemacht. Aber ich habe bis zum Schluss vollen Rückhalt in der eigenen Partei gehabt.

Wie sah dieser Rückhalt aus?

Schreiber: Die SPD-Fraktion in der Bezirksversammlung hat mir immer ihre volle Unterstützung zugesichert. Insbesondere unser Kreisvorsitzender Johannes Kahrs hat mir in dieser schwierigen Zeit zur Seite gestanden. Da hat sich bewiesen, dass er nicht nur ein Parteifreund, sondern ein wahrer Freund ist - was in der Politik sehr selten ist.

+++ Biografie von Markus Schreiber +++

Wie haben Sie die Wochen nach dem Tod von Chantal bis zu Ihrem Rückzug aus dem Amt erlebt?

Schreiber: Es war eine schlimme Zeit. Der Tod von Chantal hat mich unheimlich mitgenommen. Ich wollte alles aufklären. Aber mein Problem war, dass mein eigenes Jugendamt mich zunächst nur unvollständig informiert hat und teilweise fachliche Auffassungen hatte, die ich nicht mittragen konnte.

Die Medien haben bundesweit über Sie berichtet. Die Opposition hat Sie angegriffen. Wie groß war der Druck?

Schreiber: Es war irgendwann nur noch schwer auszuhalten. Natürlich stellten sich die Medien zu Recht die Frage, wie ein Kind in der Obhut des Jugendamtes unter diesen Umständen ums Leben kommen konnte. Allerdings fühlte ich mich von einigen Medien verfolgt wie bei einer Hexenjagd. Das hatte mit einer seriösen Berichterstattung nichts mehr zu tun. Meine Frau hat zum Schluss keine Zeitung mehr gelesen. Die Opposition hat nur ihren Job gemacht, auch wenn manche Äußerungen verletzend und überzogen waren.

Haben Sie Fehler gemacht?

Schreiber: Ich war nicht mit der Betreuung von Pflegekindern betraut, sondern habe ein Bezirksamt mit mehr als 1700 Mitarbeitern geführt. Die Fehler wurden aber eben in diesem Amt gemacht und damit hatte ich die Verantwortung.

Die zuständige Jugendamtsleiterin Pia Wolters wurde nach dem Tod Chantals von ihren Aufgaben entbunden. Warum erst so spät?

+++ Chantal: Die Geschichte eines viel zu kurzen Lebens +++

Schreiber: Ich habe seit 2009 (Anm. d. Red.: Damals starb das Kleinkind Lara Mia in einer vom Jugendsamt Mitte betreuten Familie) darauf gedrängt, dass Frau Wolters in eine andere Behörde versetzt wird. Deshalb gab es mehrere Gespräche auf Staatsrats- und Senatorenebene. Aber passiert ist nichts. Ich habe daraufhin veranlasst, dass Frau Wolters von bestimmten Aufgabenbereichen entlastet wird. Mehr war beamtenrechtlich leider nicht möglich.

Was muss sich bei der Jugendhilfe ändern?

Schreiber: Die Kontrolle der Familien muss verschärft werden. Das heißt auch, dass der Betreuer der Familie - der notwendigerweise ein Vertrauensverhältnis aufbauen muss - nicht gleichzeitig auch die Kontrolle der Familien übernimmt. Insgesamt müssen die Mitarbeiter des Bezirksamtes wieder mehr Aufgaben übernehmen und die Zuständigkeiten der zahllosen freien Träger eingeschränkt werden. Die haben nämlich auch wirtschaftliche Interessen, die nicht zu ihrer Aufgabe passen. Dafür braucht das Jugendamt mehr Personal.

Zehn Jahre lang waren Sie Bezirksbürgermeister. Wie haben Sie den Verlust dieses Amtes verarbeitet?

Schreiber: Ich hätte mir ein anderes Ende gewünscht, bin aber nicht in ein tiefes schwarzes Loch gefallen. Besonders geholfen hat mir, dass ich Hunderte Briefe und E-Mails von Bürgern erhalten habe, in denen mir für meinen Einsatz im Bezirk gedankt wurde.

Wenn Sie die zehn Jahre Revue passieren lassen, wie sieht Ihr Fazit aus?

Schreiber: Meine Mitarbeiter und ich haben viel bewegt. Im Bereich Stadtentwicklung wurde viel erreicht. Zum Beispiel das innerstädtische Wohnen in den Wallhöfen oder im Brahms-Quartier. Aber auch, dass viele Millionen Euro nach Billstedt und Horn geflossen sind, um die Lebensqualität der Menschen vor Ort zu verbessern.

Aber es gab auch Kritik, zum Beispiel, als Sie einen Zaun an der Kersten-Miles-Brücke errichten ließen, unter der Obdachlose hausten, oder auch, als Sie die Zomia-Bauwagengruppe nicht weiter in Wilhelmsburg duldeten. Wie sehen Sie das rückblickend?

Schreiber: In beiden Fällen musste ich auf Anwohnerbeschwerden hin tätig werden. Recht und Ordnung sind ein hohes Gut und müssen von der Stadt gerade für die Menschen gewährleistet werden, die sich keinen Sicherheitsdienst leisten können. Der Zaun war zwar das falsche Symbol, aber ich finde immer noch, dass es ein schlechtes Licht auf die Stadt wirft, dass Menschen in Hamburg unter Brücken hausen müssen.

Wie sieht Ihr Alltag zurzeit aus?

Schreiber: Ich bin entspannt. Mein Körper dankt mir, dass ich jetzt nicht mehr bis zu 16 Stunden am Tag arbeiten muss. Ich jogge dreimal die Woche, habe Zeit, alte Freunde nach Jahren wiederzutreffen, und greife zu Hause auch mal zu Kochlöffel und Staubsauger.

Was planen Sie beruflich in Zukunft?

Schreiber: Ich habe schon entschieden, dass ich nicht mehr als Lehrer vor eine Klasse treten werde. Ich habe den Senat gebeten, mir ein Angebot zu unterbreiten. Ich könnte mir vorstellen, in eine Behörde zu wechseln. Aber auch ein Wechsel in die Immobilienwirtschaft und damit ein Abschied vom Beamtendasein wären reizvoll.

Werden Sie in der Politik weiter mitmischen?

Schreiber: Ja, ich werde mich intensiv einbringen. Im Juni werde ich wieder für den SPD-Landesvorstand kandidieren.

Wie sieht es mit einer Kandidatur bei den nächsten Bürgerschaftswahlen aus?

Schreiber: Die sind doch erst 2015. Aber eine interessante Option wäre ein Bürgerschaftsmandat schon.

+++ Nachfolger: Zehn Kandidaten, ein Chefposten +++

Als aussichtsreicher Kandidat für Ihre Nachfolge als Bezirksamtsleiter wird Andy Grote gehandelt. Eine gute Wahl?

Schreiber: Ja. Andy Grote ist ein exzellenter Kenner des Bezirks und wäre ein idealer Nachfolger.