883 Gewalt-Fälle an Hamburgs Schulen. Die CDU sieht “alarmierenden Anstieg“. Schul-Senator Rabe glaubt an die Wirkung der Berichtspflicht.

Hamburg. Die Zahl der von den Hamburger Schulen gemeldeten Gewaltvorfälle hat sich im Laufe eines Jahres fast verdoppelt. Wurden im Schuljahr 2008/09 noch 320 einfache Körperverletzungen registriert, waren es im Schuljahr darauf 587 Fälle. Zählt man die gemeldeten Diebstähle, schweren Beleidigungen und Sachbeschädigungen hinzu, dann stieg die Zahl der Meldungen von 348 auf 662 Fälle.

Das ist das Ergebnis einer Senatsantwort auf eine Große Anfrage der CDU-Bürgerschaftsfraktion. Auch im Bereich schwerer Straftaten - Sexualdelikte, Raub, Erpressung, gefährliche Körperverletzung, Nötigung und Bedrohung - war ein Anstieg zu verzeichnen: von 159 auf 221 gemeldete Taten. Hier stechen vor allem die Bedrohungen mit einem Zuwachs von 57 auf 99 Fälle heraus. Die Zahl der gefährlichen Körperverletzungen sank hingegen von 50 auf 38 Taten.

+++ Hamburger Schulen werden sensibler bei Gewalttaten+++

"Der alarmierende Anstieg an derartigen Vorfällen trotz der Ausweitung des Präventionsunterrichts und sozialen Trainingskursen gibt Anlass zum Handeln", sagte der CDU-Familienpolitiker Christoph de Vries. Der SPD-geführte Senat müsse erklären, wie er der Entwicklung Einhalt gebieten wolle.

"Die Zahlen sind ernst zu nehmen, bedeuten allerdings nicht notwendigerweise, dass die Gewaltbereitschaft stark zugenommen hätte", entgegnete Schulsenator Ties Rabe (SPD). Tatsächlich kämen auf jede Schule im Schnitt zwei Gewaltdelikte pro Jahr. Die 2008 eingeführte Meldepflicht für Schulen werde inzwischen konsequenter angewandt. "Deshalb werden Gewaltdelikte erfasst, die bislang verschwiegen wurden." Ob die Gewalt wirklich zugenommen habe oder nur endlich besser erfasst werde, sei nicht sicher zu sagen. "Trotzdem: Jeder Fall ist einer zu viel", sagte Rabe. Das gelte besonders bei Sexualdelikten, gefährlichen Körperverletzungen und schweren Bedrohungen.

Christian Böhm, der Leiter der Beratungsstelle Gewaltprävention im Landesinstitut für Lehrerbildung, weist darauf hin, dass Wellenbewegungen bei Gewaltvorfällen an Schulen üblich seien. "Nach einem Amoklauf an einer Schule in Deutschland oder anderswo kommt es häufig zu entsprechenden Ankündigungen von Trittbrettfahrern bei uns", sagte Böhm. Dann schreibe zum Beispiel ein Schüler das Wort "Amok" an eine Wand, oder ein anderer drohe mit dem Satz "Ich bringe alle um". Böhms Beratungsstelle geht allen Hinweisen sofort nach und bespricht mit den betroffenen Schulen und der Polizei, was akut zu tun sei. Auch wenn die Polizei solche Schüleräußerungen als nicht gefährlich einstuft, kann es dennoch passieren, dass eine Schule vorsorglich evakuiert wird, um sicherzugehen. Im vergangenen Jahr ist das bei einer Bergedorfer Schule nach einem vergleichbaren Vorfall geschehen.

Auch Böhm macht ein verändertes Meldeverhalten der Schulen für den Anstieg der Zahlen mitverantwortlich. So sei der deutliche Zuwachs im Bereich der einfachen Körperverletzungen auch dadurch zu erklären, dass eine Schubserei unter Schülern auf dem Schulhof heute häufig der Behörde als Gewaltvorfall berichtet werde. Zudem meldeten Sonderschullehrer zum Beispiel Beißereien von Schülern heute häufiger als früher. "Ich würde die Steigerungen der Angaben von Schulen insgesamt nicht übergewichten", sagte Böhm.