Die Hamburger Künstlerin und Ex-Journalistin Anna Schellberg wurde Opfer schwerer Gewalt. Die Kunst hilft. Das Erlebte verarbeitet sie in Bildern.

Hamburg. Es gibt einen Satz, der für Anna Schellberg zu einem Credo geworden ist, einem Mutmacher und einer Durchhalteparole. Er lautet: "Du kannst mich schlagen, aber du wirst mich nicht besiegen." Seit fast 15 Jahren begleitet der Satz die Hamburger Künstlerin und Ex-Journalistin. Wenn nicht auf Schritt und Tritt, dann doch an jedem Tag. Und in manchen Situationen muss sie ihn sich immer wieder ins Gedächtnis rufen: dann, wenn die Erinnerungen mit allzu großer Wucht zurückkommen. Wie Schellberg werden Jahr für Jahr allein in Hamburg rund 10.000 Menschen zu Opfern schwerer Gewalttaten. Fast alle haben mit den psychischen Folgen lange zu kämpfen.

Ein Mittwochabend im Jahr 1997 in Hannover. Im Fernsehen kam "Derrick", Anna Schellberg, damals Volontärin der "Neuen Presse", hatte sich auf einen entspannenden Abend in ihrer Wohnung eingestellt. Ihr Freund arbeitete als Reporter in Leipzig. Sie betrat ihre leere Wohnung, was ihr nie behagte, wie sie sagt, seit sie sich zuvor aus einer "unguten Beziehung" zu lösen gewagt hatte, deren anderer Teil das Wort "Nein" nicht verstand.

Es waren Zeiten, in denen es das Gewaltschutzgesetz noch nicht gab - und das Bewusstsein für den Straftatbestand Stalking noch kaum vorhanden war. Ihr Ex-Lebensgefährte, der Mann, der ihr Nein nicht akzeptieren wollte, überwältigte Anna Schellberg im Hausflur, stieß sie in die Wohnung und schloss die Tür von innen. Er holte Handschellen aus der Tasche, Messer und Scheren. Er fesselte Anna Schellberg an die Heizung, schor ihr die langen Haare, knebelte sie mit ihrem eigenen Schal und sagte: "Ich wusste, dass du dich wehren würdest." Eine Nacht lang hielt er Anna Schellberg gefangen. Er schlug sie, quälte sie, bedrohte sie mit dem Tod.

"Es war die logische Konsequenz einer Reihe sich steigernder Ereignisse", sagt Anna Schellberg heute. Vor der furchtbaren Nacht hatte der Ex-Freund sie monatelang verfolgt, ihr Tausende Briefe geschrieben, angerufen, gefleht und gedroht, ihr Auto mit Kot beschmiert - was Polizisten damals mit dem Tipp abkanzelten, sie solle einfach in die Waschanlage fahren - und Ziegelsteine in ihr Fenster geworfen.

Die Nacht, in der sie fast ihr Leben verlor, beendete Anna Schellberg durch eine couragierte Flucht: "Als er sagte: 'Dein Lächeln, das haben die Menschen immer geliebt', da wusste ich, dass ich nur noch diese eine Chance habe", sagt die Künstlerin im Rückblick. Ein Nachbar kam zu Hilfe, die Polizei fahndete, doch der Täter war weggelaufen. Die damals 29-Jährige ließ sich in ein Krankenhaus fahren, wo die körperlichen Wunden behandelt wurden. An der Heilung der psychischen Wunden arbeitet sie noch immer.

Der Täter war ein Jahr nach der Tat verurteilt worden. Er bekam eineinhalb Jahre auf Bewährung, entschuldigte sich im Prozess kurz und bot seiner früheren Freundin an, sie könne immer zu ihm kommen, wenn sie mal jemanden zum Reden bräuchte. Seitdem, so erzählt Anna Schellberg, hat sie ihre Heimatstadt Hannover nie mehr betreten. Zu groß ist bis heute die Angst, dem Täter noch einmal zu begegnen.

"Das ganze alte Leben war plötzlich weg", sagt die Künstlerin, die mit ihrem Ehemann, dem damaligen Reporter, in Hamburg lebt und arbeitet: "Seit dieser Nacht hege ich eine Skepsis gegenüber Menschen. Wenn das Telefon klingelt, und niemand ist dran, dann glaube ich nicht daran, dass sich einfach jemand verwählt haben könnte. Freunde finde ich nur noch schwer. Wenn ich die Kontrolle abgeben muss, zum Beispiel beim Fliegen, beschleicht mich Panik." Doch sie sei auch stärker geworden, sagt Anna Schellberg. Was sich auch in ihrer Malerei widerspiegele: "Früher habe ich dekorativ gemalt. Heute will ich Geschichten erzählen."

Großformatige Bilder eines Zyklus über häusliche Gewalt ( www.element-of-crime.com ), aus dem auch das Selbstporträt stammt, wird die Malerin Anna Schellberg auf dem zweiten Festgottesdienst vorstellen, den der Weiße Ring am Donnerstag, 22. März, dem Tag der Kriminalitätsopfer, von 18 Uhr an in St. Jacobi (Steinstraße/ Jakobikirchhof) veranstaltet. Bischöfin Kirsten Fehrs wird den Gottesdienst leiten.