Aufregung über Fritz Vahrenholts Thesen zum Klimawandel. Aber unsere Gesellschaft sollte auch Querdenker aushalten

Man kann in diesem Land vieles behaupten, auch Halbgares und Unsinniges. Man darf Schamloses ausbreiten, Langweiliges aneinanderreihen und Altbekanntes immer und immer wieder zwischen zwei Buchdeckeln pressen. Doch drei Dinge sind bei Höchststrafe geächtet:

Du darfst den Papst nicht loben!

Du darfst nicht an der multikulturellen Gesellschaft zweifeln!

Und du musst an den Klimawandel glauben.

Sonst bricht schnell ein Sturm los, ein Sturm der Empörung, der Besserwisser und der ostentativ Liberalen. Dieser Sturm nervt - und zwar aus mehreren Gründen. Zum einen bedient er genau die viel kritisierte Empörungsmaschinerie, die das Geschäft der Tabubrecher erst zum Laufen bringt, zum anderen schwächt er die Debattenkultur.

Zwar mag es immer Querdenker geben, die es genießen, gegen den Strom zu schwimmen. Doch viele andere schüchtert es ein. Dabei sollte doch eine demokratische Gesellschaft ein Gefallen an schrägen Thesen und Lösungswegen abseits der ausgetretenen Pfade haben. Wie sagte Francis Picabia einst: Der Kopf ist rund, damit das Denken die Richtung ändern kann. In Deutschland regieren allzu oft Quadratschädel.

Das bekommt dieser Tage Hamburgs ehemaliger Umweltsenator Fritz Vahrenholt zu spüren. Der promovierte Chemiker hat mit dem Geologen Sebastian Lüning "Die kalte Sonne" veröffentlicht, ein Buch, das den Klimawandel durch CO2 relativiert und gewaltig austeilt. So kritisieren die Autoren, dass der Weltklimarat den Einfluss von Sonne wie Meeresströmungen falsch eingeschätzt hat und damit den menschengemachten Klimawandel übertreibt. Zudem sei ein Drittel des Autorenteams des Klimaratberichts mit Greenpeace und WWF verbunden.

Vahrenholt prangert in seinem Buch zum Beispiel an, dass gerade in der öffentlichen Debatte mit gezinkten Karten und verkürzten Grafiken über die Temperaturentwicklung agiert, ja agitiert wird.

Die Reaktionen sind schrill: Der "Vorwärts" nennt das SPD-Mitglied Vahrenholt allen Ernstes einen "Klimaleugner", als sei die Inquisition wieder eingeführt. Medien werfen ihm Verschwörungstheorien vor und basteln zugleich an einer eigenen, indem man auf die zum Erscheinungstermin passende Kältewelle verweist oder ihm seine Tätigkeit bei RWE zum Vorwurf macht.

Für wie dämlich hält man eigentlich den Energieversorger, dass man ernsthaft dahinter eine RWE-Kampagne vermuten kann? Bevor man die Thesen angreift, geht man lieber die Autoren frontal an. "Zeit Online" reduziert Hamburgs Ex-Umweltsenator zum "Spitzenmanager des zweitgrößten CO2-Verursachers in Europa", der "wissenschaftlichen Humbug zur Klimawirksamkeit von Kohlendioxid verbreiten" darf. Dass Vahrenholt die RWE-Tochter Innogy für alternative Energien leitet, verschweigt man lieber. Genauso wie die Tatsache, dass der ehemalige Umweltpolitiker als Pionier der Ökobewegung kämpfte - als Autor des Buchs "Seveso ist überall" und als Manager des Windkraftunternehmens Repower. Er hätte verdient, ernst genommen zu werden. Man muss seine Thesen nicht unbedingt teilen, aber diskutieren sollte man sie.

Vieles erinnert an die unselige Sarrazin-Debatte: Damals wurden krude Interviewaussagen und Argumentationsschwächen des SPD-Politikers missbraucht, um diskussionswürdige Thesen zu Fehlentwicklungen im Sozialstaat gleich mit abzuräumen. Wer Sarrazin scholt, konnte sich zugleich an der eigenen moralischen Überlegenheit berauschen.

Die meisten Sarrazin-Kritiker taten es, ohne das Buch gelesen zu haben, viele gar schon vor Veröffentlichung. Es wundert wenig, dass einige besonders eifrige Kritiker auf die Pointe verweisen, dass sich Sarrazin und Vahrenholt "mit weißem Haar, Schnauzbart und grimmig nach innen gekehrtem Blick sogar ähnlich sehen". Wenn das kein Argument ist ...

Cora Stephan hat einmal die "intellektuelle Windstille" in Deutschland kritisiert. Es ist eine Ironie der Zeitgeschichte, dass ausgerechnet ein Windenergiemanager diese Flaute hautnah zu spüren bekommt.

Weiter Informationen unter www.kalte-sonne.de

Matthias Iken beleuchtet in der Kolumne "Hamburger KRITiken" jeden Montag Hamburg und die Welt