Sie vereint Stadt, Land, Fluss. Hamburger lieben sie, nicht nur beim Eisvergnügen

Es war ein genialer Gedanke, dieses Flüsschen zum See aufzustauen. Dafür bedurfte es keines teuren Masterplans und keiner Vision zur Stadtentwicklung für die künftigen Jahrhunderte. Als man die Alster im 12. Jahrhundert aufstaute, ging es nur darum, eine Mühle zu betreiben.

Aber der bescheidene Fluss wuchs zu einem respektablen See, der sich seit dem Bau der Wallanlagen Anfang des 17. Jahrhunderts in Binnen- und Außenalster gliedert. Stadt, Land und Fluss verschmolzen immer stärker, bis sich die zum See gestaute Alster Anfang des 20. Jahrhunderts inmitten einer Millionenstadt wiederfand.

Verschwenderisch viel Platz nimmt diese Wasserfläche im Zentrum ein, die nicht bebaut werden kann und der Stadt damit Weite und Großzügigkeit verleiht. "Der Elbe Schifffahrt macht uns reicher, die Alster lehrt gesellig sein!", so schreibt Friedrich Hagedorn in der zweiten Strophe seines berühmten Alster-Gedichts und bringt damit eine bis heute gültige Unterscheidung auf den poetischen Nenner: Die Elbgegend - sei sie in manchem Garten im Blankeneser Treppenviertel noch so verwunschen - bleibt stets auf Verkehr und Wirtschaft, auf Schifffahrt und Hafen bezogen, während sich rings um die Alster zwar auch mancher Betrieb findet, der See selbst aber vor allem als Freizeitrevier geschätzt wird.

An den Ufern waren im 19. Jahrhundert prächtige und manchmal protzige Villen entstanden, aber auch Schwimmbäder, Bootsverleihstationen, Cafés und Restaurants. Alsterdampfer kreuzten, Ruderer wichen den Alsterschwänen aus, die in Hamburg seit 1664 unter besonderem Schutz stehen. Max Liebermann oder der französische Maler Pierre Bonnard haben vor dem Ersten Weltkrieg die bürgerliche Freizeitkultur der Alster in faszinierenden Gemälden wiedergegeben.

Und obwohl sich die Menschen heute anders kleiden und anders miteinander umgehen, hat sich ihr Verhältnis zur Alster kaum verändert. An und auf der Alster gibt sich Hamburg privat und entspannt. Man joggt, geht spazieren, genießt den Blick, trinkt Latte macchiato und füttert die ewig hungrigen Enten. Die Alster gliedert die Stadt und verbindet Menschen. So beim jährlichen Schachturnier rechtes Alsterufer gegen linkes Alsterufer. Eine der weltweit größten Veranstaltungen dieser Art.

Das "Kunstwerk Hamburg", eine Prägung des berühmten Oberbaudirektors Fritz Schumacher, wäre ohne die Alster nicht denkbar. Denn sie bietet die wunderbare Möglichkeit der Begegnungen von Architektur und Landschaft, Stein und Wasser, Urbanität und Idylle, Natur und Kultur im Zentrum einer modernen Großstadt.

Wohl vor allem deshalb ist die Alster untrennbar mit der Identität der Hamburger verbunden. Auf die Alster ist man nicht stolz, man liebt sie. Man liebt den Blick auf die bunten Segel der Boote im Sommer und erinnert sich noch Jahrzehnte später an das Gewimmel und die Fröhlichkeit der unendlich vielen Spaziergänger, die sich zu einem der seltenen Alstereisvergnügen auf dem zugefrorenen Stadtsee tummelten.

Und am Ende taugt die geniale Idee, die im 12. Jahrhundert nur entstanden war, weil man genügend Wasserdruck zum Betrieb einer großen Kornmühle brauchte, dann doch für einen zukunftsweisenden Masterplan zur Stadtentwicklung. Allerdings nicht hier, sondern in Luchao, einer neu entstehenden Stadt unweit von Shanghai. Dort baut der Hamburger Architekt Meinhard von Gerkan für 300 000 Bewohner eine City, in deren Mitte es einen See gibt, der nicht zufällig an das Hamburger Vorbild erinnert. Ein heiterer See inmitten einer geschäftigen Großstadt: Dieses Modell funktioniert offenbar nicht nur bei uns, sondern auch in einer chinesischen Retortenstadt des 21. Jahrhunderts. Nur zufrieren wird diese chinesische Alster wohl kaum.