Ex-Oberbaudirektor Kossak sieht Hamburg seine Identität durch gewagte Neubauten verspielen. Experten: “Städtebauliches Leitbild fehlt“.

Hamburg. Egbert Kossak, von 1981 bis 1999 Oberbaudirektor in Hamburg, ist hart mit seiner Heimatstadt ins Gericht gegangen. In seinem gestrigen Debattenbeitrag fürs Abendblatt kritisierte er, dass die Hansestadt seit Jahren ihre Identität, ihre Würde und ihre Baukultur verspiele. In der HafenCity reihe sich beliebige Architektur aneinander, Hochhäuser hätten die grandiose Hafenkrone von Fritz Schumacher zerstört, an entscheidenden Stellen der Stadt prägten Bauvorhaben minderer Qualität das Stadtbild. In der Politik fehle eine konkrete Vision für die künftig nachhaltig wirksamen Elemente des Stadtbildes, so Kossak. Hamburg brauche einen grundsätzlich neuen Ansatz für einen Städtebau und eine Baukulturpolitik, die der Bedeutung der beanspruchten Metropolfunktion auch gerecht werde.

Kossaks Kritik stößt bei Hamburgs Architekturexperten in Teilen auf Zustimmung. Ullrich Schwarz, Geschäftsführer der Hamburgischen Architektenkammer, spricht von einem "wunden Punkt", den Kossak berührt habe. "Hamburg verfügt seit einiger Zeit über kein städtebauliches Leitbild mehr", sagt Schwarz. Auch das von der Behörde für Stadtentwicklung und Umwelt (BSU) 2010 vorgestellte Innenstadtkonzept enthalte dieses nicht, es sei vielmehr "eine verdienstvolle Ansammlung empirischer Fakten".

+++ Hamburg verspielt seine Baukultur +++

Gebe es keine städtebauliche Idee, liege der Identitätsverlust der Stadt auf der Hand: Die Grundstückseigentümer wollten eine maximale Ausnutzung, das Bauvorhaben laufe auf einen Kompromiss hinaus, dessen Wirkung auf die Umgebung meist nicht berücksichtigt werde. Gut zu erkennen sei das am Unilever-Hochhaus, das einst als Solitär gedacht und jetzt umbaut worden sei, oder am "Spiegel"-Hochhaus, das ebenfalls mit Gebäuderiegeln umgeben werden soll. "Hamburg braucht eine breite öffentliche Diskussion", fordert Schwarz. Das dürften aber keine Alibi-Veranstaltungen sein wie beim Vorstellen des BSU-Innenstadtkonzepts, als Öffentlichkeit und Medien nicht eingeladen waren. Große Hoffnungen setzt Schwarz auf die von der BSU geplante Stadtwerkstatt, in der sich verschiedene Gremien an der Stadtplanung beteiligen sollen. "Das könnte ein Diskussionsforum werden, wie Hamburg es braucht", sagt er.

Andy Grote, Stadtentwicklungsexperte bei der SPD, stimmt Kossaks Kritik nur in Teilen zu. "In Sachen HafenCity ist sie nicht ganz unberechtigt", sagt er. Das Überseequartier als Zentrum der HafenCity sei in der Tat nicht sehr gelungen, einige der frühen Bauwerke am Kaiserkai dagegen architektonische Highlights. "Die HafenCity hat eine differenzierte Betrachtung verdient, keine herablassende Pauschalkritik", so Grote. Das Problem der von Kossak angeprangerten "Klotzigkeit" ergebe sich aus der investorengesteuerten Architektur. "Bei einer maximalen Flächenausnutzung kann man nicht unbedingt Qualität erwarten."

Er sei nicht Kossaks Ansicht, dass Hamburg städtebaulich und baukulturell daniederliege, sagt Volker Roscher, Geschäftsführer des Bundes Deutscher Architekten. "Hamburg ist auf einem guten Weg", betont er. Allerdings müsse bei einer so rasant wachsenden Stadt die "stürmische Entwicklung" in Bahnen gelenkt werden. Der Wohnungsauftrag sei für die Bezirke eine "Riesenaufgabe". Um dort Baukultur zu gewährleisten, müsse es Instanzen geben, die prüften, dass der Städtebau in den Bezirken auch Hamburg zuträglich sei. Dafür müsse es aber genügend Personal geben. "Die Aufstellung ist zu dünn", sagt er. "Bau- und Planungsfachleute müssen sich neuerdings auch um Wirtschaft und Umwelt kümmern." Das Amt eines Oberbaudirektors sei ein wichtiger Garant für die Baukultur - er habe die Fäden in der Hand und müsse über Durchsetzungskraft verfügen.

Jörn Walter, seit 1999 Hamburgs Oberbaudirektor und damit für die von Kossak angeprangerte Entwicklung verantwortlich, wollte sich nach Angaben seines Sprechers momentan nicht an der Diskussion beteiligen.