“In Hamburg sagt man Tschüs“ - Teil 6 der Abendblatt-Serie: Mehr als 500-mal spielte sie ihre Paraderolle im Ohnsorg-Theater und im TV.

Herrschaftszeiten, hebbt wi lacht! Als das alte Tratschmaul Meta Boldt heimlich unter der Treppe lauschte, um anschließend nach allen Regeln der Kunst Gift zu verspritzen. Einen gegen den anderen lustvoll auszuspielen und fiese Gerüchte zu säen, da war die intrigante Zimtzicke Meta Hamburger Meisterin. Mindestens. Es wurde geflunkert und geschludert, was die spitze Zunge hergab. Unten im Publikum hielten sie sich den Bauch vor Lachen und hatten noch nach der Vorstellung feuchte Augen.

Dieses Kunststück schaffte nur eine: Heidi Kabel. Und die plietsche Klatschbase Meta Boldt in "Tratsch op de Trepp" war ihre Paraderolle. Umtriebig spann sie Fallstricke, legte eine Mine nach der anderen und schwindelte, dass sich die Balken im Ohnsorg-Theater bogen - im Einklang mit den Zuschauern im Parkett. "Heidi brachte die Leute zum Quieken", schrieb ein offensichtlich gleichsam beglückter Boulevardjournalist.

Mehr als 500-mal vollbrachte die Königin unter den Volksschauspielerinnen dieses kleine Wunder. Nur mit diesem Stück, allein in Hamburg. Weil sämtliche Voraussetzungen für einen herzerfrischenden Klamauk gegeben waren.

Denn im Mietshaus von Schlachtermeister Tramsen ging's rund. Zustände wie bei Hempels unterm Sofa, sprich die Problemwelt kleiner Leute ganz groß im Scheinwerferlicht. Kennt jeder irgendwie. Zudem Wäsche auf dem Balkon, laute Musik, ungeputzte Treppen, frei laufende Kaninchen gar. Als Witwe Knoop, meisterhaft gespielt von Hilde Sicks, dann noch eine fesche Deern in ihre Kemenate einquartierte, lief Meta Boldt alias Heidi Kabel zur Hochform auf.

Dass es Gezänk und Giftpfeile ebenso im richtigen Leben gibt, bewies das Ohnsorg-Theater nicht nur einmal. Hinter den Kulissen und sehr öffentlich vor Gericht. Oft war es alles andere als zum Lachen, was sich an der Heimstätte des Humors abspielte.

Der Begriff "Platt" war dann auch anders auslegbar.

Apropos: Die anfänglichen Dispute, damals noch inhaltlicher Natur, drehten sich um das hamburgische Idiom. Da der Nordwestdeutsche Rundfunk als Kontrast zu Willy Millowitschs kölschen Jecken sowie Burlesken aus Bayern 1954 das Ohnsorg-Theater ins noch blutjunge Fernsehfeld führen wollte, gab es eine Bedingung an Intendanz und Schauspieler: bitte hochdeutsch sprechen! Schließlich wollte man bundesweit Gehör und Ansehen finden. Nur "Moin!" und "schoin" und ein bisschen übern "s-pitzen S-tein s-tolpern" und "Bononä" statt Banane und ansonsten normales Deutsch, das schien manchem wider Ohnsorgs Grundsätze zu sein. "Nur über meine Leiche!", wetterte Heidi Kabels Ehemann Hans Mahler, als Intendant Boss vom Ganzen. "Das Risiko ist kalkulierbar", hielt Geschäftsführer Walter Scherau dagegen. "Wi mokt dat."

Und Scheraus Wort hatte Gewicht. Nicht nur weil der pfundige Koloss den Großteil des Ensembles hinter sich wusste, sondern auch weil er als Hauptdarsteller in "Seine Majestät Gustav Krause" von Bedeutung war. "Der Dicke", so Scheraus von Respekt geprägter Kosename, war schlicht zum Kugeln. Sogar als er mit Babymütze, Jäckchen und Fingerhandschuhen in "Dat Herrschaftskind" posierte. Der Mann setzte sich durch.

Und im Duett mit diesem starken Typen brachte sich auch Heidi Kabel zusehends in Szene. Spielte sie zu Beginn der Fernsehära nur eine Nebenrolle, erntete die schlagfertige Deern mit dem enormen Mutterwitz alsbald Lachsalven in Serie: Der mit der Plautze und die mit dem Kittel kamen ganz groß raus. Sogar im Süden.

Der Prinzipienstreit um Plattdütsch oder nicht war längst ad acta gelegt. Bei der Uraufführung 1962 lief der Schwank noch unter dem Titel "Sluderee op de Trepp", 1974 wurde daraus das anderswo verständlichere "Tratsch op de Trepp". 1996 wurde die gleiche Komödie dann als "Tratsch im Treppenhaus" serviert. Dann übrigens mit Heidi Mahler in der Rolle der ollen Kratzbürste Meta. "Ich bin stolz", sagte Heidi Kabel damals ergriffen.

Doch zurück zum brüllend komischen Duo Kabel/Scherau. Als dann noch der grantelnde Gnadderbär "Opa" Henry Vahl ins Spiel kam, war es um die Lachmuskeln der Nation geschehen. In Sachen Fernsehspaß stand Ohnsorg ganz oben in Deutschland.

Immer mehr sahen zu, als "Uns Heidi" in "Suuregurkentied", "Willem sein Willen" oder "Mudder Mews" nach allen Regeln der Schauspielkunst auftrumpfte. Bei "Der Bürgermeister" durfte auch der kleine Ole, heute selbst in diesem Amt, länger aufbleiben und auf dem elterlichen Sofa miterleben, dass Humor aus Hamburg wahrlich nicht "extra dry" sein muss. Das war Familienunterhaltung vom Feinsten. Ebenfalls kein Gerücht ist es, dass der HSV sich bei der Terminierung einiger Spiele nach dem Ohnsorg-Programm richtete. "Denn gegen Ohnsorg hätte der HSV verloren", schreibt Heidi Kabels Wegbegleiter Gerd Spiekermann in seinem beeindruckenden Buch zum 100. Geburtstag des Theaters vor acht Jahren. Damals hieß das was.

Doch wie gewonnen, so zerronnen. Nach dem plötzlichen Tod Hans Mahlers, dem Ehemann Heidi Kabels, übernahm Günther Siegmund den Chefposten. Einem kleinen Tropfen schon morgens nicht abgeneigt, fetzte er sich immer heftiger mit seinem Geschäftsführer Karl-Otto Ragotzky. Vor Gericht bezichtigten sich beider der Sauferei. "Bei Ohnsorgs regiert der Alkohol!" schrieb der "Gong". Nachdem zuvor schon Henry Vahl das Weite gesucht hatte und im St.-Pauli-Theater an Bord ging, sagte im Januar 1979 auch Heidi Kabel überhaupt nicht leise Tschüs. "Endgültig! Heidi Kabel nimmt Abschied vom Ohnsorg-Theater", titelte "Das Goldene Blatt" betroffen.

Überhaupt nicht zum Lachen, eher zum Heulen war das Ganze.

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