Beim Fußballgucken haben wir es mit Gestaltungskunst zu tun: Hamburger Designer entwerfen die meisten der internationalen Bierkästen.

Hamburg. Es ist zu vermuten, dass vom kommenden Freitag an nicht nur in Deutschland der Bierkonsum ansteigen wird. Dass sich dabei gleichzeitig auch der Designkonsum vervielfacht, werden die meisten wohl eher unterbewusst wahrnehmen. Auf Balkonen, bei WM-Partys und überall, wo Fußballfans beim Public Viewing in Bierlaune geraten , bekommen sie es mit Hamburger Design zu tun. Das Gros der Kisten, die zur Weltmeisterschaft tonnenweise aus Supermärkten geschleppt werden, trägt hanseatisches Design.

Bierkästen sind nämlich nicht mehr das, was sie mal waren: Mit gerundeten Kanten, asymmetrischen Durchblicken und neuen Farben setzen sie Akzente in den zu riesigen Flächen aufgetürmten Kisten. "Ein gutes Stapelbild", sagen Fachleute wie der Designer Jörg Ratzlaff dazu. Seine Firma "justblue.design" hat einen Stein ins Rollen gebracht, als sie vor rund zehn Jahren dem ersten Bierkasten für Beck's ein neues Outfit verpasste. Seitdem wollen sich Brauereien mehr denn je durch ausgefallenes Kästendesign voneinander abheben und kommen dafür nach Hamburg.

Ratzlaff hatte mit Sebastian Beck damals das Designstudio "justblue" gegründet und für den Beck's-Kasten unter anderem weiche Griffe entwickelt. Ein Luxuskasten, doppelt so teuer wie der alte. Statt Grün trägt er heute eine edle Kombination aus Grün und Grau. Der Kasten beflügelte die ganze Branche. "Nach einiger Zeit wollten alle Bierbrauer den Quantensprung im Bierkasten-Design", sagt Ratzlaff.

Dabei ist es für Brauereien eine logistische Höchstleistung, alte Kästen durch neue zu ersetzen. Auch wenn sich viele Kisten beim Stapeln mischen lassen, weil die Grundmaße für eine Europalette genormt sind, möchte der Handel ein neues Modell gern zeitnah austauschen. Ratzlaff erlebte, dass sein zweiter Kunde, Krombacher, rund sechs Millionen neue Kisten über fast ein Jahr vorproduzierte, einlagerte und dafür Felder und Schuppen mietete, nur damit der Austausch mit einem Schlag ablaufen konnte.

Neue Kästen waren Anfang des Jahrtausends auch deshalb gefragt, weil innovative Technologien in der Spritzgusstechnik ausgefeilte Formen möglich machten. Mit ihnen ließen sich auch bald Kästen ohne scharfe Kanten produzieren, für die keine weichen Griffe mehr nötig waren. Doch die meisten wollen nicht mehr auf sie verzichten. Und es sollte noch viel luxuriöser kommen: "Wie in einer Schmuckschatulle wirken die Radeberger Flaschenhälse", erklärt Ratzlaff. In Goldfolie gewickelt, kontrastieren sie mit einem roten Innenfutter - einer "Unterspritzung" - in einem anthrazitfarbenen leicht rundlichen Kasten. Ein besonderer Auftrag, bei dem Ratzlaff nicht nur den Kasten sondern auch die Grafik und eine schlanke Flaschenform ersann.

Auf einen Luxuskasten ist auch ein anderer Hamburger stolz: Arne Schultchen schwärmt von einer silbergrauen Bierkiste mit Riffelung, die sein Büro, Feldmann + Schultchen, für die Biersorte Duckstein entwarf. Die Riffelung ist unempfindlich gegen Kratzer und verleiht hohe Stabilität bei geringem Materialeinsatz. Die noble Schöpfung kam zur letzten Fußball-Europameisterschaft heraus und beim Brauereiriesen Carlsberg gut an. "Nehmt doch einen Kasten für alle!", empfahl Schultchen und machte den grauen Ducksteiner-Kasten auch für Holsten, Astra und andere Carlsberg-Marken tauglich. Auf runden Flächen an den vier Seiten des vergrößerten Kastens finden die Markennamen Platz, sonst ist alles gleich und grau.

Feldmann + Schultchen sind alles andere als Edel-Designer. "Wir sind lustig, menschlich und cool", findet Schultchen und lacht. Sein Favorit ist immer noch das Logo, das sein Büro für Astra Ende der Neunziger erfand: Ein Anker vor rotem Herz hatte es schnell zu Popularität gebracht. "Solche Zeichen liebt man hier", weiß Schultchen. Dass Astra zur Kultmarke wurde, ist auch einer Werbekampagne der Agentur Philip und Keuntje zu verdanken. Die zeigte unzählige Varianten von trinkfesten Astra-Trinkern, die sich im Kiezmilieu auskennen und frech fragen: "Was dagegen?"

Herz-Anker und grau geriffelter Bierkasten kommen so gut an, dass die Einrichter des Hotels Superbude den Frühstücksraum statt mit Stühlen mit gepolsterten Astra-Kästen ausstatteten. Die Gäste der preiswerten Herberge in Hamburgs Spaldingstraße fühlen sich in dem Interieur "very stylish" im Billigsegment. Arne Schultchen schmeichelt es, dass der Astra-Kasten als Hotelmobiliar taugt.

Der Auftragslage der Designer tut es in der Krise gut, dass Brauereien neue Sorten - von Fun und Ice bis Zero - auf den Markt bringen. Viele Kästen brauchen auch dafür ein neues Design. Sie müssen Einblicke auf die Flaschen offen lassen, damit man sehen kann, was in ihnen steckt. "Solche Display-Kästen können eine anspruchsvolle Aufgabe sein", sagt Ratzlaff, denn in den Logistikzentren der Brauereien stehen oft fünf volle Europaletten aufeinander. Ratzlaff freut, dass Bierkästen länger halten als manches Möbel: Zwölf bis 15 Jahre reisen sie durch die Welt, bis sie komplett recycelt werden.