So einfach es ist, intime Daten und Bilder von sich im Internet zu verbreiten, so schwer kann es sein, sie wieder einzusammeln.

Hamburg. Heribert Wendholt ist ein Aufräumer, ein Saubermacher. Im Internet. In seiner Dachgeschoss-Wohnung im nordrhein-westfälischen Bocholt ist er es nicht. Auf dem Schreibtisch und im Bad liegt Staub, es riecht muffig in seinem Wohn- und Arbeitszimmer. "Ich fühl mich sauwohl hier", sagt der Mann mit dem gutmütigen Gesicht. Wendholt, 55, trägt ein schwarzes Adidas-T-Shirt, das sich über seinen beachtlichen Bauch spannt, und eine schlecht sitzende Jeans. Das hellbraune Karo-Sakko wirkt wie ein widerwilliges Zugeständnis an die Seriosität, die man als Unternehmer benötigt.

Wendholts Kunden können ihn nicht sehen. Sein Name ist für sie weniger wichtig als sein Produkt, dem sie vertrauen. "Datenwachschutz". "Toller Name, was?" sagt Wendholt und grinst. "Ein typisch deutsches Wort." Wachsam sein, Schutz anbieten. Ein deutscher Name allein kann schon Vertrauen bieten im World Wide Web.

Die Kunden, die die Dienste von Heribert Wendholt benötigen, vertrauen ihm. Sie offenbaren ihm ihre Passwörter und genehmigen ihm einen Blick in ihre Intimsphäre im Netz. Mehr als das: Sie beichten ihm ihre größten Dummheiten. Weil sie verzweifelt sind.

57 Millionen Deutsche sind online, jeder zweite davon stellt private Daten von sich ins Internet. Neun von zehn Surfern im Alter zwischen 14 und 29 sind in Internet-Gemeinschaften wie Facebook oder StudiVZ aktiv.

Sie chatten in Foren. Sie erzählen über sich in Blogs. Stellen Fotos in soziale Netzwerke wie Facebook. Laden Videos hoch. Das Internet saugt alles auf. Es unterscheidet nicht, ob die Einträge verfassungsfeindlich sind oder die Fotos in die Intimsphäre anderer Menschen eingreifen. Schon gar nicht kann das Netz verhindern, dass Menschen in Foren, Blogs oder auf Internetseiten verunglimpft werden. Da ist der Ex-Freund, der Sex-Bilder von seiner Verflossenen der ganzen Welt präsentiert. Da ist der Student, der das Bild von einem Saufgelage veröffentlicht und damit die Berufschancen seiner Saufkameraden schmälert. Und da ist der Gastronom, der im Netz über seinen Konkurrenten herzieht. Frauen werden häufiger Opfer von Online-Diffamierung als Männer.

"Wir helfen Ihnen beim Löschen von Daten im Internet", verspricht www.datenwachschutz.de . Das, was Menschen wie Heribert Wendholt beruflich machen, nennt sich Online-Reputationsmanagement. Wendholt, der früher als Programmierer arbeitete, räumt der Generation Web 2.0 hinterher. Er verwischt Spuren im Netz. Oder besser: Er versucht, Spuren zu verwischen. Denn oft hat sich das heikle Material schon weiterverbreitet. Webseiten-Betreiber lassen sich selten von den Reputationsmanagern beeindrucken. Vor allem wenn sie im Ausland sitzen.

Heribert Wendholt ist ein Mann fürs Grobe. Er sitzt in seiner muffigen Wohnung und betrachtet seinen Computerbildschirm. "Wollen Sie mal einen richtig scharfen Fall sehen?" Er grinst wieder. Einer Frau würde er das ja nicht zeigen, sagt er, und summt vor sich hin, als er umständlich die E-Mail einer Kundin öffnet. Die Frau hat ihm Links geschickt, sie führen auf die Bildergalerie einer Pornoseite. Die Kundin ist erkennbar, auch ihr Nickname steht auf der Seite. Die Bilder sollen weg. Möglichst schnell. Wendholt hat in seinem Berufsleben schon viele Pornobilder angesehen. "Eine nackte Frau und ein nackter Mann sind doch nichts Besonderes." Für seine Kunden schon. Vor allem, wenn sie es selber sind.

Die Motive seiner Kunden, Fotos, Videos und Einträge aus dem Netz löschen zu wollen, kennt Wendholt nicht im Einzelnen. Viele von ihnen haben sich freiwillig zur Schau gestellt - und bedauern das mittlerweile. Andere sind zum Rufmord-Opfer geworden. Wendholt interessieren nur die Links, die er beseitigen soll. Für einen gelöschten Beitrag berechnet er 19,95 Euro.

Wendholt erzählt von einer Kundin aus Ostdeutschland mit rechtsradikaler Vergangenheit, die immer wieder zum Vorschein kommt, wenn man ihren Namen bei Google eingibt. Obwohl sie längst mit der rechten Szene gebrochen hat. Wendholt berichtet von dem höhergestellten Beamten, der ein Bordell besuchte. Dummerweise wurde er dabei gefilmt, die Bilder fand sein Chef beim Googeln. Und dann war da ein Schwuler, der sich nicht outen wollte. Wenn man seinen Namen durch die Suchmaschinen jagte, zeigten sie ein Foto des Mannes, in inniger Umarmung mit einem Mann. Das Internet vergisst nie.

Wenn Heribert Wendholt von seinen Kunden die Links bekommt, die gelöscht werden sollen, sucht er nach dem Anbieter der Internetseite, die das unerwünschte Material zeigt. In Deutschland ist die Suche einfach, jede Seite muss ein Impressum enthalten. Wendholt greift zum Telefon und ruft beim Betreiber an, sagt, dass er der Mann vom Datenwachschutz ist. "Ich mach das auf die diplomatische Art und Weise", sagt er. Wenn er nett frage, ob man ein Bild, ein Video oder einen Eintrag aus dem Blog oder Forum löschen könne, führe das eher zum Erfolg als das Drohen mit dem Anwalt. Wendholt erwähnt in seinen Telefonaten das Recht auf informationelle Selbstbestimmung, falsche Tatsachenbehauptungen, Rufschädigung. Das hilft, sagt er.

Es wäre schön, wenn alles so einfach klappte, wie Herr Wendholt es erklärt. Wenn man einfach so alles löschen könnte, was im Netz ist. Ein Anruf genügt. Aber so einfach ist das nicht. Das muss auch Wendholt einräumen.

Es gibt noch andere Firmen, die in Deutschland Reputationsmanagement anbieten. Diese sind nicht bereit, sich bei ihrer Arbeit über die Schulter gucken zu lassen. Zu sensibel seien die Daten der Kunden, heißt es. 13 Mitarbeiter hat die Firma dein-guter-ruf.de. Sie sind spezialisiert auf die schwierigen Fälle. "Wenn auf einem Portal ein Video hochgeladen wird, gibt es fünf andere, die diese Videos nicht nur verlinken, sondern auch auf ihre eigenen Server kopieren", sagt Christian Keppel von dein-guter-ruf.de. Ganz schlimm wird es, wenn die Daten in einem Fileshare-Netzwerk landen, einer gigantischen Tauschbörse. Die Bilder und Filme verbreiten sich automatisch auf Festplatten in aller Welt - auch Reputationsmanager sind dagegen machtlos.

"Ich nenne das, was wir tun, detektivische Arbeit", sagt Keppel. Wenn er vom Kunden "ein Mandat" erhält, jagt er den Namen, den Nicknamen oder die entsprechenden Datei-Namen durch diverse Suchmaschinen. Um zu schauen, wie weit sich die digitale Spur schon im Netz verbreitet hat. In vielen Ländern gibt es keine Impressumspflicht. Dort kommt man an die Multiplikatoren der heiklen Daten kaum ran. Keppel und seine Kollegen schauen in Datenbanken, wer als Betreiber der Seite eingetragen ist. Sie finden oft nur die Namen von Providern, die die Seite den Betreibern zur Verfügung stellen aber deren Kontaktdaten nicht herausrücken. Keppel und Kollegen schreiben nette Mails, recherchieren weiter. Manchmal hat ein Forum einen anderen Betreiber als die eigentliche Seite und der Forums-Betreiber ist eher bereit zu löschen. Manchmal müssen die Saubermacher einen Webseiten-Betreiber beim Provider anschwärzen.

Torsten Gems ist auch so ein Detektiv, nur dass sich seine Firma procomb auf die Suche nach Bildern und Videos spezialisiert hat. Seine Dienste bietet er ab 12,90 Euro pro Monat an. 760 Millionen Fotos und Videos hat procomb, heruntergeladen von einschlägigen Seiten, täglich kommen weitere Bilder hinzu. Von Porno-Seiten, von Gewalt-Seiten, von Kinderschänder-Seiten. Gems' Firma hat eine Software entwickelt, die Menschen anhand biometrischer Daten auf diesen Bildern erkennen kann. "Wir benötigen eine Frontalaufnahme des Kunden", sagt Gems. Das System entnimmt sich aus dem Gesichtsbereich bestimmte Punkte, danach kann es anhand dieser Punkte die betreffende Person auf den Bildern aus dem Archiv ausmachen. Sein Archiv beinhaltet auch Bilder von Vergewaltigungen oder Enthauptungen, deshalb arbeiten auch die Behörden mit Gems zusammen, um Verbrecher zu jagen.

In letzter Zeit sind die Daten-Detektive vor allem mit sozialen Netzwerken beschäftigt. Ältere Menschen wollen wissen, wie sie da wieder rauskommen, das sind die einfachen Fälle. Jüngere, sagt Keppel, melden sich, weil sie Opfer von Rufmord sind. Weil sich bei Facebook eine Mobbing-Gruppe gegen sie gebildet hat. Oder weil bei YouTube ein verfängliches Video aufgetaucht ist. Keppel wendet sich zunächst an denjenigen, der die Inhalte ins Netz gestellt hat, doch das bringt selten Erfolg. Häufig schreibt er E-Mails an die Zentralen von Facebook und Google. Von Facebook erbittet er die Löschung, und Google erinnert er daran, dass bestimmte Inhalte gelöscht wurden und bitteschön auch nicht mehr in der Google-Suche auftauchen sollen.

Denn selbst nach Löschung von Inhalten in sozialen Netzwerken zeigt Google die einmal eingestellten Fotos und Videos noch an. Suchmaschinen wie Google machen von jeder Internetseite eine Kopie. Diese Kopie bleibt so lange erhalten, bis das Suchmaschinen-Programm die Seite erneut zur Aktualisierung besucht. Und das kann dauern.

Die Reaktionen auf die Beschwerden seien höchst unterschiedlich, sagt Keppel: "Letztendlich sitzen die am längeren Hebel, und man muss auf den guten Willen hoffen." Mit dem Anwalt droht er so gut wie nie. "Gerade Blogger reagieren allergisch auf so was und veröffentlichen gerne die Schreiben der Anwälte in Netz." Das erzeuge nur noch mehr Aufmerksamkeit für den unerwünschten Datensatz. In Deutschland sind die Erfolgschancen einer Klage gegen den Verstoß gegen das Recht am eigenen Bild oder einer Klage wegen Verleumdung noch einigermaßen gut. Im Ausland sieht es schlecht aus.

Alle Reputationsmanager betonen, dass sie keine Hacker seien, die auf die betreffenden Seiten gehen und die Inhalte einfach löschen. Denn die Grenzen zwischen dem Schutz der Privatsphäre und Zensur sind fließend. "Wir sind an vermittelnder Stelle tätig", sagt Keppel. Aus ihrer Machtlosigkeit gegenüber dem Internet haben sie ein neues Geschäftsfeld geschaffen: Personal Branding heißt es, persönliche Markenpflege. Die Image-Berater entwickeln Blogs für ihre Kunden, eigene Internetseiten. Auf denen können sie sich von ihrer besten Seite präsentieren. Das wichtigste: Diese Seiten tauchen bei der Google-Suche ganz vorne auf und verdrängen die negativen Einträge nach und nach. Das "Premium"-Paket bei dein-guter-ruf.de kostet im Monatsabo 129,95 Euro.

Solange Internetnutzer so tun, als verlören sich ihre Liebeserklärungen, Schmähungen und Hasstiraden im Nichts, werden Saubermacher wie Heribert Wendholt gut zu tun haben. Doch Forscher der Universität von Washington im US-Bundesstaat Seattle arbeiten an einem digitalen Radiergummi: Sie entwickeln eine Software mit dem Namen "Vanish", übersetzt "verschwinden". Das Programm soll Daten im Netz rosten lassen. Bis sie weg sind. Das Verfallsdatum bestimmt der Nutzer selbst.