Aufgeplatzte Hosennaht, gestoßener Zeh, psychische Krise oder kein Dach überm Kopf - die Bahnhofsmission am Hamburger Hauptbahnhof hilft in kleinen und großen Notlagen. Rund um die Uhr, an jedem Tag im Jahr, stehen die rund 70 Mitarbeiter Hilfesuchenden mit Rat und Tat zur Seite. Ebenso bereitwillig wie Nähzeug und Pflaster geben sie Auskunft über Fahrplan, soziale Dienste und Notunterkünfte. Seit 1910 arbeiten evangelischer, katholischer und - bis ihn die Nazis 1933 verboten - jüdischer Bahnhofsdienst zusammen. Das 100. Jubiläum feiert die Hamburger Bahnhofsmission am heutigen Sonnabend um 10.30 Uhr mit einer ökumenischen Andacht. Eingeladen dazu sind auch Bischöfin Maria Jepsen und Weihbischof Hans-Jochen Jaschke.

"Unsere Tätigkeitsbereiche haben sich in den vergangenen 100 Jahren sehr verändert", sagt Hans-Werner Schulz-Ehlers, der seit 18 Jahren in der Hamburger Bahnhofsmission arbeitet und momentan ihr kommissarischer Leiter ist. "Sie sind so komplex, dass wir zu einer Art Sozialambulanz geworden sind." Ursprünglich wurde die Hilfseinrichtung von frommen Stadtfrauen gegründet, um jungen Mädchen vom Lande bei der Stellensuche in der Großstadt zu helfen - und zu verhindern, dass sie in den Bordellen der Stadt landen. Nach den beiden Weltkriegen und der Finanzkrise in den 30er-Jahren, als Ströme von Kriegsheimkehrern, Entwurzelten und Arbeitsuchenden unterwegs waren, wurde die Bahnhofsmission hauptsächlich als Orientierungshilfe beim Umsteigen und als Suppenküche für die Reisenden genutzt.

Zu den Hilfesuchenden, die die Einrichtung am Steintorwall heute aufsuchen, gehören viele, die Hilfe beim Umsteigen benötigen - etwa Senioren oder Behinderte. Auch Menschen in psychischen Ausnahmesituationen kommen oft. "Das hat in den vergangenen Jahren zugenommen", sagt Schulz-Ehlers. "Besonders am Wochenende, da spitzen sich familiäre Krisen zu." Auch Obdachlose kommen oft, zum Zeitunglesen, Teetrinken oder Aufwärmen. "Wir können und wollen hier aber keine Regelversorgung leisten", sagt Schulz-Ehlers, "für Notfälle haben wir allerdings fast alles da." Natürlich werde niemand weggeschickt, der dringend Kleidung oder etwas zu essen benötige - doch sei die Bahnhofsmission weder Kleiderkammer, Suppenküche noch Schlafstätte.

Unter den Gästen sind auch zunehmend Frauen. "Wir glauben, dass unsere niedrigschwellige Anlaufmöglichkeit ein Grund ist, warum immer mehr weibliche Besucher kommen", sagt Schulz-Ehlers. Waren es 2008 noch rund 27 700 Kontakte, wurden im vergangenen Jahr weit über 32 000 gezählt, eine Steigerung von fast 16 Prozent.

Insgesamt hatten die Mitarbeiter 2008 rund 130 000 Kontakte zu Reisenden und Hilfesuchenden in der Hamburger Bahnhofsmission, darunter sowohl sehr junge als auch alte Menschen. "Anders als andere Sozialeinrichtungen haben wir keine bestimmte Zielgruppe", sagt Schulz-Ehlers. "Jeder, der hier Hilfe braucht, ist ein Fall für die Bahnhofsmission." Zwar sei die Einrichtung so zu sehen wie eine "Kirche im Bahnhof", doch sei das Missionieren nicht Intention. "Wir sind aber für religiöse Gespräche offen und veranstalten jeden Mittwochnachmittag eine kurze Andacht", sagt Schulz-Ehlers.

Als einen besonderen Service bietet die Bahnhofsmission seit etwa sechs Jahren das Begleiten allein reisender Kinder an. Dann fahren ehrenamtliche Helfer mit, die mit ihnen spielen, reden oder ihnen etwas vorlesen. Leon (7) aus Groß Borstel reist häufig auf diese Weise zu Vater und Großeltern nach Hannover. "Ich finde das cool", sagt er. "Manchmal sind viele Kinder dabei, heute bin ich alleine mit meiner Begleitung." Leons Mutter Dana Porzberg weiß ihren Sohn bei den Mitarbeitern der Bahnhofsmission in guten Händen. "Das ist eine absolut sichere Sache", sagt sie.