Das Mädchen ist inzwischen sechs. Und spricht liebevoll von seinen Eltern und seiner “Bauch-Mama“.

Im Wohnzimmer bullert ein gemütlicher Kaminofen, vor dem Sofa liegt Kater Gandalf und tut so, als sei er ein Flokati. Lara hat extra ein rotes Kleid angezogen und Goldbänder in ihren schwarzen Zopf geflochten, weil jemand von der Zeitung kommt. Bei der Begrüßung lächelt sie ein bisschen verlegen, dann hängt sie sich Gandalf über die Schulter und geht erst mal in ihr Zimmer, um zu malen.

Ulrike (45) und Matthias (46) B. haben ihre Tochter vor sechs Jahren in Sri Lanka adoptiert. Sie haben alles fotografiert, aufgeschrieben, ein Tagebuch für Lara angelegt. Damit sie später einmal zurückverfolgen kann, wo sie herkommt und wie es war. Was zuerst aussah wie eine endlose bürokratische Prozedur, wurde zu einer unvergesslichen emotionalen Erfahrung, zum Abenteuer ihres Lebens.

B.s hatten vergeblich versucht, ein eigenes Kind zu bekommen. Als sich der Diplomingenieur und die Speditionskauffrau nach Jahren zu einer Adoption entschlossen, habe ihnen das Jugendamt in Winsen wenig Mut gemacht. "Es gab viele Bewerber im Landkreis, aber nur etwa ein halbes Baby pro Jahr", sagt Matthias, "da beschlossen wir, es im Ausland zu versuchen." Rund ein Dutzend Vereine in Deutschland bieten adoptionswilligen Paaren ihre Hilfe an und unterhalten Kontakte zu jeweils verschiedenen Ländern. "Eltern für Kinder", eine staatlich anerkannte Auslandsvermittlungsstelle mit Sitz in Berlin, war den B.s sympathisch: Es gibt dort Beratungseltern, die selbst Adoptionserfahrung gesammelt haben und Neubewerber ehrenamtlich beraten. Der Verein vermittelt Adoptionen unter anderem in Sri Lanka, Thailand, Peru und der Mongolei.

Das Jugendamt zeigte sich damals nicht begeistert. "Sie wollten uns unsere Eignung erst nicht bescheinigen. Aber als Gerhard Schröder ein Kind aus Russland adoptierte, gab es bei uns plötzlich eine Adoptionsbeauftragte", sagt Matthias. Es kam etwas in Bewegung, inzwischen finden halbjährlich Adoptivelterntreffen statt.

Jedes Bewerberpaar wird zuerst in Deutschland auf seine Eignung hin überprüft: Sozialarbeiterinnen des Jugendamts führen Einzel- und Paargespräche, prüfen Vermögensverhältnisse, Einkommen, Gesundheitszeugnisse und fertigen einen "Sozialbericht" an. Auch die Beziehung der künftigen Eltern wird beurteilt. Wollen wirklich beide eine Adoption, oder - wie in manchen Fällen - nur die Frau?

Auch die Vereine begutachten die Paare, "Eltern für Kinder" schickte eine Psychologin. "Man konnte offen über alles sprechen. Wir hatten uns nicht festgelegt, ob es ein Junge oder ein Mädchen sein sollte", sagt Ulrike. "Sie sprach auch an, ob wir gut damit umgehen könnten, dass das Kind dunkelhäutig ist."

Für Sri Lanka sprachen mehrere Gründe. Das Kennenlernen des Kindes und die Gerichtstermine dort dauern im Schnitt vier bis fünf Wochen, Hotelkosten und Flüge sind bezahlbar, vor Ort hatten die B.s über den Verein einen Anwalt, "und wir sind Asien-Liebhaber", sagt Ulrike. In Brasilien hätten sie sich zwei bis drei Monate aufhalten müssen - zu lang. In Thailand wenige Tage - viel zu kurz, vor allem für ein Kind, das mit Fremden abreist.

Als aus Colombo ein Fax mit einem Foto kam, konnten die B.s es gar nicht aus der Hand legen. Ein kleines Menschenkind, Lara Lalithya, fünf Monate alt, wartete in einem Heim auf sie. Während des Fluges nach Colombo fand Ulrike keinen Schlaf.

Die ersehnte erste Begegnung war, wie so oft, gar nicht einfach. "Wir kamen mittags im Heim an. Als wir sie zum ersten Mal auf den Arm nahmen, war sie gerade aus dem Mittagsschlaf geweckt worden", erzählt ihr Mann. "Sie guckte in zwei weiße unbekannte Gesichter", sagt Ulrike. "Da hat sie geweint."

Die B.s wussten, dass auch Laras Mutter noch in dem Heim lebte, das der Orden von Mutter Teresa betreibt. Man hatte ihnen gesagt, dass dort junge, unverheiratete Mütter nach der Entbindung noch bei ihren Babys bleiben können, bis sie zurück in ihre Dörfer gehen. Mit einem nichtehelichen Kind wären ihre künftigen Heiratschancen gering. Laras Mutter, eine Hausangestellte in Colombo, war über 30 und hatte bereits eine Tochter. "Sie war ein sehr scheues Wesen. Zuerst guckte sie nur um die Ecke, um uns zu sehen", sagt Matthias. Sie stillte Lara noch. Herrin ihres Schicksals war sie nicht. Sie wollte zu ihrem Arbeitgeber zurückkehren. Aber sie wollte auch die Menschen sehen, die ihr Kind annehmen würden. Und ob sie es liebevoll behandeln.

In den ersten beiden Wochen verbrachten die B.s jeden Tag sechs Stunden in dem Heim, ließen sich von Laras Mutter alles zeigen, trugen Lara umher. Dann der erste und wichtigste Termin vor dem Jugendgericht in Colombo: Wenn alle Formalitäten erfüllt sind, muss die Mutter vor den Augen des Richters das Kind den Adoptiveltern übergeben. Danach hat sie noch eine Frist von drei Tagen, ihre Entscheidung zu widerrufen.

"Wir hatten schon eine so starke Beziehung zu Lara aufgebaut, wie man es gar nicht glaubt", sagt Ulrike. "Jetzt begann das große Zittern: Was kann noch schief gehen?" Im Heim sei alles sehr entspannt gewesen, aber der Auftritt vor dem Richter "emotional enorm anstrengend", erinnert sich ihr Mann. "Man kommt sich völlig ausgeliefert vor. Willkür kann alles umwerfen." Hätte sich Laras Mutter anders entschieden, wären auch alle Ausgaben umsonst gewesen. Rund 14 000 Euro, inklusive Kosten für beglaubigte Dokumente, deren Übersetzung ins Singalesische, Gesundheitsatteste, Aids-Tests.

Laras Mutter warf nichts um. Wie die B.s später erfuhren, hatte sie selbst Angst, das deutsche Paar könnte noch einen Rückzieher machen. Inzwischen nahmen die B.s Lara auch mit ins Hotel, badeten und wickelten sie dort. "Wir mussten ja noch üben. Das erste Füttern ging daneben", sagt Ulrike und lacht. "Lara kannte das Fläschchen noch nicht. Wir haben im Hotel am Laptop gesessen und uns Tipps auf Rundumsbaby.de geholt." Bei der Botschaft in Colombo musste ein Pass für Lara beantragt werden. Wirklich befreit war Ulrike erst bei der Landung in Deutschland: "Da habe ich vor Erleichterung geheult."

Das Adoptions-Prozedere ist damit noch nicht abgeschlossen. Das Gericht in Sri Lanka nahm seine Fürsorgepflicht sehr ernst: Monatlich müssen die B.s mindestens 50 Euro für Lara auf ein Sparbuch einzahlen, für ihre spätere Mitgift. Und sie müssen einmal im Jahr einen Integrationsbericht nach Colombo schicken. "Der Richter hat auf den Fotos von unserem Haus auch das Auto, einen BMW, gesehen", sagt Matthias. "Da schlug er vor, dass Lara später auch das Auto erben soll."

Lara ist inzwischen wieder hereingekommen, Gandalf im Schlepptau. Nach dem Kindergarten geht sie jetzt seit einem Jahr zur Schule, erzählt sie durch ihre Zahnlücke, denn vor kurzem hat sie ihre Milchschneidezähne verloren. Am schönsten findet sie "Schwimmen, Tanzen, Singen und Keyboard".

In einem Regal stehen dicht gedrängt Fotoalben und Videofilme. Denn vor zwei Jahren sind alle drei noch einmal zusammen nach Sri Lanka gefahren und haben Laras Mutter besucht, "meine Bauch-Mama", wie Lara sagt. Das Treffen fand in dem Kinderheim statt und hat Ulrike sehr gerührt: "Lara ging ganz unbefangen zu ihr und nahm sie in den Arm. Da flossen bei ihr die Tränen."

Später, sagt Lara, möchte sie vielleicht Singalesisch lernen. Ihre Bauch-Mama wird sie sicher wieder sehen. Findet sie Sri Lanka schön? Ja, sagt sie, "nur die Märkte nicht. Da hat es ganz komisch gerochen."