Der Chinese wird von seiner Frau verraten. Eine abenteuerliche Flucht beginnt in Peking, endet in Hamburg - seiner neuen Heimat.

Hamburg. Sein fröhliches Lachen nimmt jeden ein, seine ehrliche Freundlichkeit verblüfft, und seine Lebensgeschichte bewegt zutiefst. Der in Hamburg lebende chinesische Sinologieprofessor Yu Chien Kuan (78) ist eine faszinierende Persönlichkeit. Der Mann, der in China geboren und aufgewachsen ist und nun bereits seit 40 Jahren in Deutschland wohnt, nimmt einen mit seinen Erzählungen über seine Vergangenheit und sein immer noch bewegtes Leben gefangen.

Begonnen hat dieses Leben im Februar 1931 in der chinesischen Provinz Kanton. Dort wurde Yu Chien Kuan als Sohn eines Universitätsprofessors und einer Lehrerin geboren. "Mein Vater taufte mich ursprünglich Yu - der Überflüssige. Später wählte meine Mutter ein anders Schriftzeichen mit der gleichen Aussprache, damit mich die Bedeutung des Namens nicht verletzte. Künftig hieß ich Yu - der Bescheidene", sagt Kuan.

Kurz nach der Geburt des Jungen wurde seine Familie durch die japanische Besetzung von Peking nach Shanghai getrieben. Sein Vater schloss sich dem kommunistischen Widerstand an und tauchte unter, um als Weggefährte Maos die Japaner zu verjagen. "Also musste meine Mutter uns drei Kinder allein durchbringen."

Von der neuen Volksrepublik China war der junge Kuan anfangs begeistert. "Die Partei, der Kommunismus und die Ideen Mao Zedong genossen mein uneingeschränktes Vertrauen", schreibt er so auch in seinem autobiografischen Roman "Mein Leben unter zwei Himmeln" über diese Zeit. Kuan begann das Sprachenstudium in Shanghai. Aber mit jeder Denunziation seiner Kommilitonen, mit jeder neuen Einschränkung wurde seine Einstellung zum Regime kritischer.

Nach dem Studium arbeitete der junge Mann als Dolmetscher im chinesischen Finanzministerium. Ganz plötzlich, ganz unvermittelt, wurde allerdings auch er Opfer der Anschwärzungen - während der sogenannten Anti-echts-Kampagne, bei der alle Regimekritiker ausfindig gemacht werden sollten. Kuan wurde weit weg in die Provinz verbannt und überlebt den Hunger in den folgenden drei Jahren nur knapp, bis er 1962 endlich nach Peking zurückkehren durfte. Sein zwischenzeitlich so aufregendes Leben schien sich zu beruhigen. Doch dann geschah das für ihn bis heute Unfassbare. Seine Frau zeigte Kuan im Rahmen der Kulturrevolution als Ehebrecher an. "Aus Angst, im Gefängnis zu landen, habe ich meine Flucht geplant." Ein chancenloses Unterfangen, hätte der junge Mann nicht Zugang zu ausländischen Pässen gehabt.

Und so schafft er das Unmögliche und landete mit dem Pass eines Japaners schließlich in Kairo. Doch von einem freien Leben war Kuan vorerst weit entfernt. Die Ägypter nahmen den Flüchtling in Schutzhaft. Eine Weiterreise in die USA lehnte er ab und blieb lieber weiter im Gefängnis. "Mir war klar, dass ich dann in China als Verräter gelten und meine Familie damit gefährden würde", sagt er heute über die Entscheidung.

Erst 1969 begann Kuan sein "zweites Leben", wie er heute sagt. Ein Leben in Deutschland und in Hamburg. Seine neue Heimat war ihm zuerst unheimlich und fremd, schließlich sprach er nicht ein Wort Deutsch. Kein Wunder, denn Kuan war eigentlich nur zufällig durch die Vermittlung des Deutschen Roten Kreuzes hier gelandet. Doch schnell fand er Gefallen an dem Land. Der zierliche Mann begann ein Studium in Hamburg und fand hier nach dem Abschluss auch eine Anstellung.

Der Hamburger Universität hat Kuan aber noch mehr, noch viel mehr als nur eine Ausbildung, einen Job oder Freunde zu verdanken: Hier lernte er seine Frau Petra kennen. Eine aufgeweckte junge Frau, die seine Studentin wurde und ihn in diesen ersten Jahren unterstützte. Wie sie sich in ihren Dozenten verliebte, weiß Petra Häring-Kuan (59) heute nicht mehr so genau. "Ich hatte eigentlich gar keine besondere Verbindung zu China. Aber ich fand schwarzhaarige Männer toll", sagt sie über das Kennenlernen. Und ihr Mann ergänzt: "Ich habe schon eine Weile gebraucht, um mir meiner Gefühle klar zu werden."

Yu Chien Kuan ist mittlerweile nicht nur in Hamburg ein anerkannter Wissenschaftler und Buchautor. So hat ihn die Hansestadt bereits mit der Medaille für Kunst und Wissenschaft ausgezeichnet. Persönlichkeiten wie Helmut Schmidt schätzen den engagierten Mann. Aus diesem Grund hat der Altkanzler ein Geleitwort zu Yu Chien Kuans neuem Buch "Die Langnasen" verfasst, das er vor Kurzem mit seiner Frau herausgebracht hat. Ein Buch, das Lustiges und Nachdenkliches darüber zusammenträgt, was die Chinesen über die Deutschen denken. Insgesamt hat der engagierte grauhaarige Mann rund 20 Bücher geschrieben. Zu den größten Erfolgen zählen sein autobiografischer Roman und der "China-Knigge".

Die Sehnsucht nach seiner ersten Heimat, China, hat Kuan lange Zeit nicht losgelassen. Besonders in den Jahren, in denen er seine Familie und seine Freunde weder sprechen noch besuchen konnte, machten ihm zu schaffen. Seit den 80er-Jahren, seit er in der Volksrepublik rehabilitiert wurde, fährt Kuan aber wieder regelmäßig nach China. Auch hier ist er heute ein anerkannter Autor und muss keine Verfolgung mehr fürchten.

Dabei ist Hamburg zu seiner Heimat geworden. "Hier bin ich zu Hause, und hier möchte ich alt werden", sagt der 78-Jährige und lehnt sich auf seinem Sofa zurück. Dennoch, beinahe die Hälfte des Jahres verbringt Kuan noch immer in Shanghai. "Das Leben dort ist abwechslungsreicher", sagt auch seine Frau. Um sich dann jedes Mal wieder auf die gemütliche Wohnung an der Alster und die ruhigen Spaziergänge drum herum zu freuen. Und auf die Ruhe nach den turbulenten Jahren.