Das Abendblatt begleitete Karlheinz Römer und Dietrich Petersen, während sie die “Rio de Janeiro“ zum Terminal lotsten.

Hamburg. Der schwache Widerschein kleiner Lampen, Instrumente und Bildschirme taucht die Brücke der "Rio de Janeiro" in diffuses Dämmerlicht. Nur noch als Silhouetten sind die Männer dort zu erkennen, die starr nach vorne auf den Fluss blicken. Draußen ist die Wintersonne längst untergegangen. "Straight ahead", sagt eine Stimme aus dem Dunkel. "Yes Sir", kommt es aus der Mitte des Raumes, wo der Rudergänger kaum zu sehen ist. Der riesige Containerfrachter der Reederei Hamburg Süd ist nach sechswöchiger Reise planmäßig wieder in Hamburg angekommen. Höhe Blankenese sind die beiden Hafenlotsen Karlheinz Römer (64) und Dietrich Petersen (64) vom Versetzboot aus zugestiegen und koordinieren nun das Anlegemanöver.

Eigentlich ein Routinejob - auch wenn der starke Flutstrom, Nieselregen und Wind es heute nicht einfach machen. Und doch ist diesmal etwas anders. Ein passierendes Schiff lässt einen langen Ton seines Horns ertönen, ein Schlepper auch. Weitere Hörner dröhnen in den dunklen Himmel. "Das ist für dich", sagt Petersen und grinst seinen Kollegen an: Für beide Losten ist es eben eine besondere Tour diesmal. Beide sind die dienstältesten Hafenlotsen Hamburgs. Für Römer ist es die letzte Lotsung. "Der 11 003. Einsatz", sagt er. Darüber führt er genau Buch. Petersen wird im Juni seinen letzten Einsatz als Hafenlotse haben und wie Römer in den Ruhestand gehen. Nun machen sie noch einmal eine Fahrt zusammen. Als gemeinsamer Abschied, sozusagen.

Mit den beiden geht damit eine kleine Ära im Hafen zu Ende, daher auch das Begleitkonzert anderer Schiffe. Römer gilt das "wandelnde Lexikon" der Hafenlotsen. Tiefgang, Länge, Breite, PS-Zahl - das hat der erfahrene Nautiker nahezu bei jedem Frachter im Kopf. Und Petersen ist der Mann für die schwierigen Fälle, den Blohm + Voss anfordert, wenn es zu einer Probefahrt geht, bekannt auch als Dirigent des Schlepperballetts beim Hafengeburtstag.

Beide haben 1962 mit der Seefahrt angefangen. Auf die damals übliche harte Tour, als Schiffsjunge, der sich bis zum Kapitän weiterbildet. "So lernt man Seefahrt am besten", sagt Römer. 1979 wurden beide Hafenlotse in Hamburg. Damals noch Aufgabe von Beamten der Stadt. 1981 wurde der Lotsendienst neu in einer Brüderschaft als Verbund von Freiberuflern organisiert.

Viel hat sich seitdem geändert: Die Schiffe sind größer geworden - und dort, wo früher ein Kompass und einige wenige nautische Geräte standen, erinnern die Kommandobrücken heute eher an ein Raumschiff. Doch bei aller Technik bleibt das Gespür für die Natur immer noch wichtiges Handwerkzeugs, sagen beide Lotsen.

Die "Rio de Janeiro" schiebt sich im starken Flutstrom weiter auf die Terminals zu. "Acht Knoten Fahrt", sagt Petersen mit einem kurzen Blick aufs Wasser.

Er klebt draußen auf dem Brücken-Nock, einer Art Balkon, einen kleinen Zettel auf die Reling. Als Zielhilfe, um das 286 Meter lange Schiff später exakt auf den Punkt am Kai zum Stehen zu bekommen. Römer bleibt drinnen und gibt Kommandos an Rudergänger und über Funk an zwei Schlepper, die nun das Manöver unterstützen sollen.

Vor dem Anlegen wollen die Lotsen das Schiff im Strom drehen, um mit dem Heck voran am Terminal gegenüber von Neumühlen festzumachen. Jetzt kommt es auf Stromstärke und Wind an. "Gegen die Natur kann man nicht arbeiten", sagt Petersen. Wie stark ist die Strömung, wie wirkt der Wind dagegen? Das müssen die Lotsen jetzt nicht nur wissen, das müssen sie spüren. "Wir lassen ihn reinsacken", sagt Petersen dazu, während sich das mächtige Schiff wie von einer unsichtbaren Kraft gehalten in der Elbe dreht. Eine scheinbar gemächliche Wende, die das Gefühl vermittelt, als würde man aus einem Hochhaus blicken, das vor dem Panorama der Stadt um die eigene Achse kreist.

Tatsächlich aber geht das Manöver sehr schnell, sagt Lotse Petersen. Andere Frachter melden sich im Funk, sie sollen nicht warten. Fährt ein großer Pott aber in diesem kritischen Augenblick vorbei, kann die Verdrängung von Zigtausenden Tonnen Wasser jede Feinarbeit der Lotsen zunichtemachen. "Wir sind ein enger Hafen, hier muss zügig gearbeitet werden", sagte Petersen.

Etwa 12 000 Handelsschiffe laufen jedes Jahr den Hamburger Hafen an. Ein schnelle Abfertigung, wenig Wartezeit - das sind die Standortvorteile, auf die es ankommt. Doch trotz allen Tempos passieren wenige Unfälle, die Zahl liegt im Null-Kommanull-Bereich.

Inzwischen hat sein Kollege Römer die "Rio de Janeiro" quer zum Terminal in Position und manövriert die letzten Meter von draußen auf dem Nock. Wie ein Dirigent ein Orchester, so leitet er nun das Zusammenspiel von Schlepper und Schiff. Sein Handfunkgerät ist der Taktstock. Meter für Meter schiebt sich das Schiff zum Land.

Unten warten schon einige Männer, die Rettungswesten tragen. Festmacher, die gleich die Leinen annehmen werden. Ein kaum spürbarer Ruck - dann ist es geschafft. Das Zittern der 60 000-PS-Maschine erstirbt, und schon rollen die großen Containerkräne ran, um die ersten Boxen vom Schiff zu bekommen. Zeit ist Geld in dieser Branche. Am nächsten Tag wird die "Rio de Janeiro" wieder auslaufen.

"Na ja", sagt Hafenlotse Römer, "nur für mich war's das nun."