Pastor Frank Rutkowsky im Abendblatt-Interview über die Sorgen und Nöte der Hamburger Polizisten, die zunehmend angegriffen werden.

Hamburg. Er besucht Dienststellen, begleitet die Beamten bei den Großeinsätzen und berät sie in Einzelgesprächen: Wohl kaum einer kennt die Sorgen und Nöte der Hamburger Polizisten besser als Pastor Frank Rutkowsky.

Hamburger Abendblatt: Herr Rutkowsky, merken Sie als Polizeiseelsorger, dass die Gewalt gegen Beamte zugenommen hat?

Frank Rutkowsky: Nicht generell. Auch wenn natürlich hinter dem jüngsten Anschlag auf das Polizeikommissariat 16 an der Lerchenstraße eine ungeheuere Aggressivität steckt. Wenn da jemand von Mordversuch spricht, kann ich das gut nachvollziehen. Was ich aber schon seit Jahren von Polizisten höre, ist, dass in einigen Stadtteilen der Respekt gegenüber den Beamten erheblich gesunken ist.

Abendblatt: Warum werden Menschen in Uniform nicht mehr so respektiert wie früher?

Rutkowsky: Wir leben nicht mehr in einer so autoritären Gesellschaft wie vor 50 Jahren, und das ist ja auch gut. Aber es gibt in der Gesellschaft gewisse Verwahrlosungserscheinungen. Und Polizisten haben natürlich besonders viel mit Menschen zu tun, deren Lebensumstände schwierig sind. Dazu gehören Bevölkerungsgruppen, die schlecht integriert sind und beim Auftreten der Polizei gleich rotsehen.

Abendblatt: Ist der Polizeiberuf nicht mehr so angesehen?

Rutkowsky: Im Gegenteil. In jeder Umfrage landet er ganz vorne, aber die Polizisten selbst haben Mühe, das zu glauben, weil sie es eben hauptsächlich mit Personen zu tun haben, die über ihre Anwesenheit nicht gerade erfreut sind. Polizeiliche Erfahrung ist ja eine Sondererfahrung, weil die Beamten ständig mit den Schattenseiten der Gesellschaft zu tun haben.

Abendblatt: Wie oft werden Sie aufgesucht?

Rutkowsky: Im engeren Sinne führe ich fünf bis zehn Seelsorge-Gespräche pro Woche, hinzu kommen Gespräche bei meinen Besuchen an den Dienststellen, bei Einsätzen oder bei anderen Gelegenheiten.

Abendblatt: Was sind die größten Sorgen der Beamten?

Rutkowsky: Neben privaten Problemen geht es um den beruflichen Alltag sowie um scheinbar ganz normale Fälle wie die Ruhestörung in der Nachbarschaft, die von einer Sekunde auf die andere eskalieren, wenn die Beamten an der Wohnungstür klingeln und sofort mit dem Messer attackiert werden. So etwas passiert zum Glück nur wenige Male im Jahr.

Abendblatt: Wie können Sie Polizisten, die solche extremen Erfahrungen gemacht haben, helfen?

Rutkowsky: Das Wichtigste ist, dass ich nicht gleich Ratschläge oder tröstliche Worte gebe, sondern dass ich versuche, meinen Gesprächspartner wirklich zu verstehen. Darauf baut alles auf. Ich versuche auch nicht, die Leute zu missionieren. Allerdings werden durch ein schlimmes Ereignis oder eine Lebenskrise manchmal religiöse und moralische Fragen berührt, über die der Polizist oder die Polizistin sprechen möchte. Dann gehört das natürlich dazu.

Abendblatt: Verstehen sich die meisten Polizisten heute noch als starke Menschen, die niemals eine Schwäche zeigen dürfen?

Rutkowsky: Ich glaube, es gibt mittlerweile ein neues Selbstbild bei vielen Polizisten, dass sie Menschen sind, die auch Angst haben dürfen und manchmal auch nicht mehr weiterwissen. Es ist viel wert, wenn sie das zumindest vor sich selbst zugeben. Und wenn sie es vor Kollegen zugeben, ist es noch besser. Wenn Polizisten diese Seite ihres Lebens verleugnen, finde ich das schade. Denn sie versperren sich damit auch gute Erfahrungen und Begegnungen. Wie kann ein Polizist, der immer den starken Mann markiert und sozusagen mit einer Polizistenfassade herumläuft, in einen sensiblen Kontakt mit dem Bürger treten? Das passt nicht zusammen. Nur wer sich selbst als Mensch kennt und annimmt, kann mit seinem Gegenüber menschlich umgehen.

Abendblatt: Nun sagen Polizisten, dass früher galt: Unsere stärkste Waffe ist das Wort. Und dass das heute oft nicht mehr möglich sei, weil sofort zugeschlagen wird.

Rutkowsky: Wenn sie angegriffen werden, geht es nicht mehr um Einfühlungsvermögen, sondern um Selbstverteidigung. Um Entschlossenheit, Mut und Beherrschung der Gewaltmittel. Da ist dann Unterscheidung gefordert.

Abendblatt: Ist für Sie Gewalt ein Mittel zur Problemlösung?

Rutkowsky: Ich könnte nicht Polizeiseelsorger sein, wenn ich Gewalt unter allen Umständen ablehnen würde. Zum Polizeiberuf gehört wesentlich das Gewaltmonopol. Andererseits ruft Jesus zur Sanftmut auf und dazu, die andere Wange hinzuhalten. Deshalb kann man auch mit guten Gründen radikaler Pazifist sein, aber dann kann man eben nicht Polizeiseelsorger sein. Für mich ist Gewalt eine Art Notbehelf, um schlimmere Gewalt abzuwenden. Das ist die Aufgabe der Polizei. Ein Polizist darf sich nicht in Gewalt verlieben, sondern sie nur anwenden, wenn es nicht anders geht. Das ist eine der großen Herausforderungen in diesem Beruf: Dass ein moralisch hoch entwickelter Mensch etwas mit Entschlossenheit tun soll, was er zugleich problematisch findet.

Abendblatt: Er muss sensibel und entschlossen zugleich sein ...

Rutkowsky: ... und genau darin liegt die Kunst. Das gibt es nicht in vielen anderen Berufen. Wir Pastoren oder auch Sozialarbeiter haben gut reden und können immer an das Gute im Menschen appellieren. Wir helfen und beraten, aber wir müssen keine Schwerverbrecher mit aller Härte zur Strecke bringen. Solange wir die Polizei brauchen, soll Kirche dazu stehen und anerkennen, wie wertvoll die Arbeit der Beamten ist, die täglich mit viel Elend und Verzweiflung zu tun haben.

Abendblatt: Ihr Weihnachtswunsch für die Polizisten?

Rutkowsky: Ich wünsche allen Polizistinnen und Polizisten, dass sie immer wieder Liebe erleben und mit Liebe handeln können, obwohl das natürlich nicht immer geht. Bei einigen, die Gewalt gegen Polizisten anwenden, ist richtiger Hass im Spiel, und ich frage mich, gegen wen sich der eigentlich richtet. Vielleicht ist es ein Hass, der sich die Polizei als Gegner sucht, aber in Wirklichkeit einer tieferen Feindseligkeit gegenüber dem Leben entspringt. Dann muss man fragen: Woher kommt die? Manchmal glaube ich, dass auch eine unglaubliche Unkenntnis darüber dabei ist, was man mit seinen Taten anrichten kann.