Eignerwechsel ohne Aufsehen bei einer Institution: Blohm + Voss, die letzte Hamburger Großwerft, soll arabisch werden. Eine Reportage.

Hamburg. An der Wand im Büro von Herbert Oetting hängt ein Plakat, darauf eine Darstellung demonstrierender Arbeiter und die Zeile "35 Stunden". Lange ist es her, dass die Gewerkschaften für die Verkürzung von Arbeitszeiten in der Industrie stritten. Heutzutage regelt das meist der Weltmarkt. Arbeitslosigkeit war bei vielen deutschen Schiffbauern im zurückliegenden Jahr die Konsequenz der Krise. Kurzarbeit, die es derzeit auch bei Blohm + Voss gibt, ist da schon eher ein Glücksfall.

In den Büros des Betriebsrats stehen Kerzen und Teller mit Weihnachtskeksen. Für die Belegschaft von Blohm + Voss hat der Mutterkonzern ThyssenKrupp zum Jahreswechsel ein besonderes Geschenk. Die Werft wird verkauft, an den Investor Abu Dhabi Mar aus den Vereinigten Arabischen Emiraten. Das Unternehmen baut sich international eine Art Edelwerftgruppe für Marineschiffe und Superyachten zusammen, und dazu soll auch Blohm + Voss gehören.

Oetting, den Vorsitzenden des Betriebsrats, beunruhigt der bevorstehende Verkauf nicht. "Wir gehörten hier auch schon mal einer Heuschrecke", sagt er in Erinnerung an einen früheren Eigentümer, einen US-Finanzinvestor. "Entscheidend ist, dass wir die kommenden eineinhalb Jahre mit Aufträgen füllen können, die uns derzeit fehlen." Von 2011 an werde dann die nächste Generation von Fregatten für die Bundesmarine gebaut, deren Konstruktion schon begonnen habe.

Fast geräuschlos laufen seit Monaten die Verhandlungen zwischen der ThyssenKrupp-Werftsparte TKMS und den arabischen Investoren. Im Januar könnte das Vertragswerk besiegelt werden. "Abu Dhabi Mar kann uns neue Märkte öffnen, vor allem im Nahen Osten", sagt Oetting. Um die Zukunft ist ihm nicht bang, obwohl es im zivilen Schiffbau nach der Ablieferung zweier Superyachten im kommenden Jahr zunächst keine Bestellungen gibt. Aber die Schiffbauer von Blohm + Voss zählen zu den besten der Welt. Das weiß man auf Steinwerder, inmitten des Hamburger Hafens, sehr genau. "Wir sind schon skeptisch, was da wohl auf uns zukommt", sagt Oetting. "Doch wir sehen das auch mit einer gewissen Gelassenheit."

Der Sommer 2008 war eine große Zeit für Hamburger Patrioten. Berichte sorgten für Aufregung, dass Hapag-Lloyd an den Staatskonzern NOL in Singapur verkauft werden könnte. Die wichtigste Reederei der Stadt, zugleich das führende Schifffahrtsunternehmen Deutschlands, in der Hand eines asiatischen Staatsfonds - für viele in der städtischen Politik und in der maritimen Wirtschaft undenkbar. Nach langem Bieterkampf setzte sich schließlich eine Investorengruppe um die Stadt Hamburg und dem Unternehmer Klaus-Michael Kühne durch und übernahm die Mehrheit an der Reederei vom TUI-Konzern. Eine "Hamburger Lösung" war gefunden.

Im Sommer 2009 sickerten Meldungen durch, wonach der Stahl- und Industriekonzern ThyssenKrupp Blohm + Voss an Abu Dhabi Mar verkaufen wolle. Ein Echo auf diese Entwicklung war in der Stadt nicht zu vernehmen, kein einziger Lokalpatriot hob die Hand, um für eine "Hamburger Lösung" bei der letzten Großwerft der Hansestadt zu werben. Lauter hätte das Schweigen im Kontrast zu Hapag-Lloyd kaum klingen können.

Blohm + Voss beschäftigt in Hamburg rund 1700 Mitarbeiter, mehr, als in der Zentrale von Hapag-Lloyd in der Stadt arbeiten. Die Werft baut technologisch, aber auch politisch hoch sensible Produkte, neben den weltgrößten Luxusyachten vor allem Marineschiffe. Außerdem wird in den Docks der Werft "alles repariert, was schwimmt", wie es in der Eigenwerbung heißt, zum Beispiel die berühmte "Queen Mary 2".

Sang- und klanglos soll der zivile Schiffbau von Blohm + Voss sowie die Hälfte des Marineschiffbaus nach Arabien verkauft werden. Vor der Weltwirtschaftskrise wäre dies ein Politikum ersten Ranges gewesen. Hatte nicht die Bundesregierung erst 2008 das Außenwirtschaftsgesetz verschärft, um ausländische Investoren - vor allem Staatsfonds aus autoritär regierten Ländern - von den Hightech-Perlen der deutschen Industrie fernzuhalten?

Im Fall Blohm + Voss aber herrscht Schweigen an der Elbe, und ebenso in Berlin. Was ist geschehen? "Bei Hapag-Lloyd drohte seinerzeit im Falle einer Übernahme durch NOL ein massiver Stellenabbau und die Verlagerung von Unternehmensteilen ins Ausland", sagt Hamburgs Wirtschaftssenator Axel Gedaschko. "Ganz anders bei Blohm + Voss: Von harschen Stellenkürzungen ist hier nicht die Rede. Und man kann eine Werft physikalisch nicht so ohne Weiteres verlagern wie den Dienstleistungsbetrieb einer Reederei."

Die Wirtschaft soll es selbst richten, sagt der Wirtschaftssenator zum Verkauf von Blohm + Voss. So marktwirtschaftlich sauber hat die Stadt in den vergangenen Jahren nicht immer gehandelt. Die Liebe zur Marktwirtschaft dürfte denn auch nicht der einzige Grund dafür sein, dass Blohm + Voss bald arabisch wird. "Das hängt sicher auch damit zusammen, dass die Reeder in Hamburg, die Kaufleute, in der Stadt traditionell eine höhere Wertschätzung genießen als die Schiffbauer", sagt Werner Lundt, Hauptgeschäftsführer des Schiffbauverbandes VSM. "Die Werften wurden und werden hier eher als Erfüllungsgehilfen gesehen."

Die Luft ist eisig kalt an diesem Dezember-Morgen, der Blick auf die Werft dafür klar und deutlich. Zwei Kreuzfahrtschiffe liegen nebeneinander im Dock 17, ein seltener Anblick selbst bei Blohm + Voss. Die Hamburger Werft ist das Schaufenster des deutschen Schiffbaus schlechthin. Millionen Touristen flanieren jährlich am Hafenrand entlang oder schippern bei einer Hafenrundfahrt um die Docks herum. Das spektakulärste Schiff, das die Werft derzeit baut, ist allerdings so geheim, dass es im Schwimmdock 10 vor den neugierigen Blicken der Öffentlichkeit eigens verhüllt wurde. Unter grünen und weißen Planen geht dort die "Eclipse" ihrer Fertigstellung entgegen, mit 163 Meter Länge die größte Luxusyacht der Welt, gebaut für den russischen Milliardär Roman Abramowitsch. Doch selbst solche Megaprojekte für Hunderte Millionen Euro werfen für den Eigner ThyssenKrupp keinen ausreichend attraktiven Gewinn ab, Branchenkenner halten den Yachtbau bei Blohm + Voss gar für chronisch defizitär. Deshalb wird der größte Teil der Werft nach Arabien verkauft.

"Der zivile Schiffbau hat bei ThyssenKrupp immer nur die Lücken des Marineschiffbaus gefüllt. Das Management war und ist immer auf die Marineschiffe konzentriert", sagt Jutta Blankau, die Leiterin des Bezirks Küste bei der Gewerkschaft IG Metall. "ThyssenKrupp schmiedet jetzt einen maritimen Rüstungskonzern. Das macht mir Sorge." Zu groß seien die politischen Unwägbarkeiten von Rüstungsmärkten, zu groß wird ihrer Meinung nach die Abhängigkeit der Werft vom Militärgeschäft sein.

Die ersten Imbisse auf den Landungsbrücken öffnen. Blankau ist auf dem Weg zu einem Morgenkaffee. Eine alte Barkasse tuckert vorbei, eines jener Boote, die früher Tag für Tag Tausende Arbeiter zu und von den Werften am anderen Elbufer brachten. Heute befördern sie Touristen. Eine der Attraktionen im Hafen ist Blohm + Voss, gleichermaßen Denkmal wie bis heute auch Zentrum des Hamburger Schiffbaus.

Hamburger Werften wie Howaldt, Deutsche Werft, Stülcken oder Schlieker haben die Krisen der vergangenen Jahrzehnte nicht überlebt. Übrig blieben das Familienunternehmen Sietas in Neuenfelde mit seinem Tochterunternehmen Norderwerft im Hafen - und Blohm + Voss. "Deutschland ist als Schiffbaustandort mittlerweile sehr klein geworden. Die Werftindustrie wird hier aber nicht abwandern oder verschwinden, sondern sich immer wieder anpassen und besser werden", sagt Blankau beim Kaffee. Ein solcher Schritt steht nun auch Blohm + Voss bevor. Wie viele Arbeitsplätze der neue Investor erhalten oder ob er gar neue schaffen wird, steht allerdings noch nicht fest. "Im Hinblick auf Abu Dhabi Mar ist eine einzige Frage entscheidend", sagt Blankau. "Bringt der Investor neue Aufträge für Blohm + Voss? Mir ist ein solventer Investor lieber als keiner."

Die Gewerkschafterin kann nicht verstehen, dass sich die maritime Wirtschaft nicht selbst hilft - immerhin betreibt Deutschland die drittgrößte Handelsflotte der Welt, darunter besonders viele Containerschiffe. "Die deutschen Reedereien bitten um Staatshilfe oder haben sie - wie Hapag-Lloyd - bereits bekommen, gleichzeitig schütten sie ihr Geld für Neubauten in Asien aus. Das eine müsste doch im Zusammenhang mit dem anderen gesehen werden."

Es waren vor allem deutsche Reedereien, die die heimischen Werften zu Beginn der Krise schmählich im Stich ließen und reihenweise Schiffe stornierten. Das fiel ihnen leichter als in Asien, denn die deutschen Schiffbauer nahmen nur geringe Anzahlungen. "Es ist überhaupt nicht nachvollziehbar, warum es ausgerechnet die deutschen Werften den Reedereien so leicht gemacht haben, Aufträge zu stornieren", sagt Blankau, "warum sie sich in der Boomphase auf so schlechte Verträge einließen."

Der deutsche Schiffbau wird auch diese Krise überstehen, davon ist sie überzeugt. Doch es werde ein anderer Schiffbau sein als bisher: "Das Motto kann nur heißen: besser statt billiger", sagt die Bezirksleiterin auf dem Weg zurück in die Kälte. "Schiffe von der Stange wird es von deutschen Werften nicht mehr geben."